Gegenbewegung

Eine neue Resolution des UN-Sicherheitsrats gibt der Völkergemeinschaft effiziente Rechtsmittel im Kampf gegen Piraten

Das Piratenproblem schien in den Weiten der Weltmeere versunken. Blackbeard fristete seine Existenz als mythische Figur auf einer einsamen Insel, fern der rauen Küsten unserer Realität. Störtebekers Schlachtruf „Gottes Freund und aller Welt Feind“, mit dem er und seine Likedeeler einst die Hanse das Fürchten gelehrt hatten, hallte nur noch zwischen Museumswänden wider. Gelegentlich begegnete uns ein Abbild des Helden aus Kindertagen im Kino, wo sexy Johnny als Captain Jack Sparrow im „Fluch der Karibik“ gar nicht spatzenhaft seine Feinde abmesserte und damit eine Pirateneuphorie auslöste, die jede Fastnachtsfeier in ein Meer aus säbelschwingenden Korsaren und rassigen Piratenbräuten verwandelte. Und stets verspürten wir Sympathie für den leicht angestaubten Macho und hoffnungslosen Romantiker, den der Wind absoluter Freiheit und der Nimbus von „Einer gegen alle“ umweht.

Doch plötzlich entern Piraten auf dem ganzen Globus die Schlagzeilen. Sie morden und entführen und fordern Lösegelder. Vor Somalias Küste rasen hochmoderne Boote von Mutterschiffen aus an die Handelsschiffe heran, die verzweifelt versuchen, die Angreifer mit Hochdruckwasserschläuchen und um das Schiff gespannten Elektrozäunen abzuschütteln. Ein Bremer Reeder rüstet seine Schiffe mit Frequenzkanonen für die somalische Seeschlacht. Die davon ausgelösten höllischen Schmerzen für das Trommelfell, Übelkeit und Bewusstlosigkeit sollen den Piraten den Gedanken an einen Enterversuch aus dem Kopf fegen.

Auch die Piraten rüsten auf. Ganze Gebiete an Somalias Küste haben vom Fischfang auf die Berufspiraterie umgesattelt – die schwache Staatsgewalt in Somalia trägt dazu bei, und auch der eine oder andere Beamte gefällt sich als Profiteur des Seeraubs. Zehn straff organisierte Piratengruppen operieren vom somalischen Festland aus. Ihre Anführer fahren schwere Luxuswagen und halten in prächtigen Villen Hof. Von Heroismus keine Spur. Die Entzauberung der Welt macht auch vor den Piraten nicht halt. Die Seeräuberrealität ist Korruption, Gewaltverbrechen und Geldgier, typische Charakteristika organisierter Kriminalität. Ru(h)m und Ehre als die Konstanten des einstigen Seeräuberlebens sind verabschiedet – was bleibt, ist eine Welle der Gewalt. Schiffeversenken für Schwerverbrecher.

Der Piratensturm peitscht durch den Welthandel. 90 Prozent des globalen Güterverkehrs finden auf dem Seeweg statt. Jeder dritte Container wird durch einen deutschen Reeder oder Charterer verschifft. Schätzungen des International Maritime Bureau beziffern den durch Piratenüberfälle im Jahr 2007 verursachten Schaden für den Welthandel auf mindestens 13 Milliarden Euro.

Brennpunkt ist der Golf von Aden, den jedes aus Europa kommende Containerschiff, das Asien ansteuert, durchquert. Seit Jahresbeginn wurden hier 60 Schiffe angegriffen, 25 davon entführt. Die einst als Piratenhochburg verschriene Straße von Malakka haben die Anrainer Indonesien und Malaysia hingegen durch Radarüberwachung, intensive Patrouillen und den Einsatz ihrer Nachrichtendienste weitgehend seeräuberfrei gemacht. Statt Schatztruhen voll glänzenden Goldes schleppt der moderne Pirat Navigationsinstrumente und Bargeld von Bord.

Auch Entführungen sind eine einträgliche Geldquelle. Am 28. Mai 2008 kaperten Piraten das deutsche Frachtschiff „Lehmann Timber“ und hielten die 15 Crewmitglieder 41 Tage in ihrer Gewalt. Der Bürgermeister der benachbarten somalischen Hafenstadt sprach stolz von einem Lösegeld von 750 000 US-Dollar, die Reederei schweigt beredt. Ein mit 33 Panzern und einer großen Menge Munition bepackter ukrainischer Frachter wurde am 29. September 2008 von somalischen Seeräubern gekapert. Eine Schießerei an Bord hat zu Todesopfern geführt. Die Vorstellung von Piraten als seeräubernde Davids gegen übermächtig herrschende Goliaths verschwindet im Golf von Aden.


Völkerrecht kennt für Piraten keine Gnade; das Interesse an reibungslos funktionierendem Seehandel ist seit je gemeinsames Anliegen aller Staaten. Bereits Cicero erklärte im ersten Jahrhundert vor Christus angesichts der im Mittelmeer herrschenden Piratenplage die Seeräuber zu Feinden der Menschheit, denen gegenüber kein Schwur gehalten werden müsse. Die Rolle als Geächtete und Außenseiter auf der Weltbühne blieb den Seeräubern. Auch im Mittelalter war der Pirat kein durchschnittlicher Rechtsbrecher, sondern hostis humani generis, Feind der gesamten menschlichen Gesellschaft. Er stand außerhalb der christlichen Gemeinschaft, verweigerte jeglicher Rechtsordnung den Gehorsam und beraubte sich folglich ihres Schutzes. Der Pirat war vogelfrei, ein Outlaw, bar aller Rechte und jedes Schutzes – eine Strafe, die uns heute aus der heimeligen Perspektive des funktionierenden Gesellschaftsvertrags als abenteuerliche Abwechslung erscheint, im Mittelalter aber regelmäßig einem Todesurteil gleichkam.

Nicht einmal das Kriegsrecht fand auf Piraten Anwendung – obwohl der Seekrieg als die grausamste Form der Kriegsführung berüchtigt ist. Der Jolly Roger, die schwarze Flagge mit gekreuztem Gebein unterm Totenkopf, zierte das Piratenschiff anstelle der seerechtlich obligaten Nationalflagge und symbolisierte den Widerstand der Piraten gegenüber jeglicher Rechtsordnung.

Mit der Erschließung der Meere in der Neuzeit erblühte der Welthandel und mit ihm die Piraterie. Als der Rechtsgelehrte Hugo Grotius Anfang des 17. Jahrhunderts den Grundsatz der Freiheit der Meere verkündete, wonach alle Nationen auf den Weltmeeren Handel treiben dürften, zog er sich nicht nur den Zorn der katholischen Kirche zu, die sein Werk „Mare liberum“ umgehend indizierte. Auch England plädierte für ein mare clausum unter britischer Herrschaft, ein Anspruch, der im Zug der niederländisch-englischen Seekriege unterging. Grotius’ Idee eines grundsätzlich herrschaftsfreien Raums der Hohen See aber schuf die Grundlage modernen Seerechts. Die Ächtung der Piraterie blieb unbestritten. Bis heute gilt die Piraterie als gegen die Gesamtheit der zivilisierten Staaten gerichtetes internationales Verbrechen, das nach dem Weltrechtsprinzip von jedem Staat unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Täter oder der Opfer strafrechtlich verfolgt werden kann. Nach dem deutschen Strafgesetzbuch droht dem Piraten eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren.


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mare No. 71

No. 71Dezember 2008 / Januar 2009

Von Stephanie Schiedermair

Stephanie Schiedermair, geboren 1977 in Heidelberg, lehrt und forscht an der Universität Mainz. Die Juristin promovierte mit einer Arbeit zum internationalen Frieden im Grundgesetz. Wissenschaftliche Tummelplätze sind das Völker- und das Europarecht sowie das Verfassungs- und das Medienrecht. Aus ihrer journalistischen Zeit blieb die Neigung zu aktuellen Themen mit juristischem Hintergrund. Die kommende Fastnacht, das hat sie sich vorgenommen, will sie als Piratin erleben.

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Vita Stephanie Schiedermair, geboren 1977 in Heidelberg, lehrt und forscht an der Universität Mainz. Die Juristin promovierte mit einer Arbeit zum internationalen Frieden im Grundgesetz. Wissenschaftliche Tummelplätze sind das Völker- und das Europarecht sowie das Verfassungs- und das Medienrecht. Aus ihrer journalistischen Zeit blieb die Neigung zu aktuellen Themen mit juristischem Hintergrund. Die kommende Fastnacht, das hat sie sich vorgenommen, will sie als Piratin erleben.
Person Von Stephanie Schiedermair
Vita Stephanie Schiedermair, geboren 1977 in Heidelberg, lehrt und forscht an der Universität Mainz. Die Juristin promovierte mit einer Arbeit zum internationalen Frieden im Grundgesetz. Wissenschaftliche Tummelplätze sind das Völker- und das Europarecht sowie das Verfassungs- und das Medienrecht. Aus ihrer journalistischen Zeit blieb die Neigung zu aktuellen Themen mit juristischem Hintergrund. Die kommende Fastnacht, das hat sie sich vorgenommen, will sie als Piratin erleben.
Person Von Stephanie Schiedermair