Gegen das Vergessen

Ein aus Braunalgen gewonnenes chinesisches Medikament gegen Alzheimer-Demenz erregt derzeit die Ärzteschaft wie Patienten in aller Welt. Sie hoffen, dass es hält, was es verspricht

Dass er etwas Besonderem beiwohnt, das ahnt Oliver Peters. Im Herbst vergangenen Jahres reist der Leiter der Gedächtnissprechstunde an der Berliner Charité durch China, um mit dortigen Universitäten über Kooperationsvorhaben zu sprechen. Auch Schanghai 

ist eine Station. Dort stellt das Pharmaunternehmen Green Valley dem Besuch aus Deutschland die Studienergebnisse zu einem neuen Alzheimermedikament namens Oligomannat vor. Es basiert auf Braunalgen und könne bei Patienten mit Alzheimerdemenz die kognitiven Fähigkeiten signifikant verbessern, so die chinesischen Wissenschaftler. „Das hat in unserer Runde für eine Menge Gesprächsstoff gesorgt“, erinnert sich der Mediziner.  

Wenig später ist Oligomannat sogar weltweit in der Wissenschaftsszene eines der Topthemen. Einige Tage nach dem Vortrag gibt die chinesische Zulassungsbehörde bekannt, dass sie Oligomannat unter Auflagen als Alzheimermedikament zulassen wird. Zum ersten Mal seit 2003 hat damit ein Alzheimerpräparat wieder eine Genehmigung erhalten – wenn auch nur für den chinesischen Markt. Ob CNN, Fachmagazine oder Wissenschaftsblogger: Sie alle berichten. 

Das Interesse ist enorm. Schließlich sind laut dem Verband Alzheimer’s Disease International weltweit 50 Millionen Menschen an Demenz erkrankt, davon bis zu drei Viertel an Alzheimer. 2030 könnten es nach Schätzungen des Verbands weltweit sogar 135 Millionen Menschen sein. Wer ein Mittel gegen Alzheimer gefunden hat oder es zumindest schafft, den Verlauf der Krankheit zu bremsen, den erwarten Milliardengewinne. 

Green Valley Pharmaceuticals aus Schanghai setzt dabei auf Braunalgen, was ein neuer Ansatz in der Forschung ist. Das Pharmaunternehmen verarbeitet einen aus der Alge gewonnenen Kohlenhydratkomplex namens GV-971 und verkauft ihn am Ende in gelben Kapseln als Oligomannat. Es soll dafür sorgen, dass sich die Darmflora normalisiert und sich dort nicht so viele Aminosäuren bilden, die wiederum zu einer Entzündung des Gehirngewebes beitragen können – eine mögliche Ursache für Alzheimer. 

Dass die Darmflora das Gehirn beeinflussen könnte, ist ein relativ neuer Forschungszweig in der Alzheimerforschung. Fast drei Jahrzehnte konzentrierte sich die Wissenschaft vor allem auf die sogenannte Amyloidthese: Die Gehirnfunktionen werden durch Eiweißablagerungen beeinträchtigt. Wissenschaftler hatten in den Gehirnen von verstorbenen Alzheimerpatienten verklumpte Eiweißstücke entdeckt. Einer dieser Eiweißformen, dem Amyloid-beta, wird unterstellt, dass es mittelbar toxische Eigenschaften hat und so das Gehirn schädigt.  

Die Chinesen legen den Fokus dagegen auf die komplexen Wechselwirkungen zwischen Gehirn und Darm. Die – stark vereinfachte – These: Wenn das Gehirn den Magen-Darm-Trakt steuern kann, so findet auch eine Rückmeldung des Darms ans Gehirn mithilfe von Sensoren statt. „Wie genau das passiert und wie es sich auf die Demenz auswirkt, ist noch nicht bekannt“, sagt Demenzexperte Peters. 

Green Valley ist mit 1500 Mitarbeitern ein relativ kleiner Pharmaspezialist. Professor Geng Meiyu, nach Angaben des Unternehmens Haupterfinderin von Oligomannat, ist zugleich stellvertrtende Leiterin des Instituts für Heilstoffe an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Schanghai und dort auch Sekretärin des Parteikomitees. Sie konzentriert sich in der Alzheimerforschung auf Braunalgen.

 

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mare No. 141

mare No. 141August / September 2020

Von Marlies Uken

Marlies Uken, Jahrgang 1977, Journalistin in Berlin, war überrascht, wie jung die Alzheimerforschung noch ist. Während bereits seit den 1970er-Jahren am Deutschen Krebsforschungszentrum systematisch zu Krebserkrankungen geforscht wird, wurde erst 2009 das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen gegründet.

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Vita Marlies Uken, Jahrgang 1977, Journalistin in Berlin, war überrascht, wie jung die Alzheimerforschung noch ist. Während bereits seit den 1970er-Jahren am Deutschen Krebsforschungszentrum systematisch zu Krebserkrankungen geforscht wird, wurde erst 2009 das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen gegründet.
Person Von Marlies Uken
Vita Marlies Uken, Jahrgang 1977, Journalistin in Berlin, war überrascht, wie jung die Alzheimerforschung noch ist. Während bereits seit den 1970er-Jahren am Deutschen Krebsforschungszentrum systematisch zu Krebserkrankungen geforscht wird, wurde erst 2009 das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen gegründet.
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