Für Emma und England

Der Einfluss der Lady Hamilton auf den Helden von Trafalgar

Auf der Veranda eines bescheidenen Landguts sitzt eine lebhafte, kolossal dicke Frau und beugt sich über den Teller neben sich. Sie schneidet für einen unscheinbaren Mann das Fleisch wie für ein Kind und füttert ihn sogar. Er lässt es sich gern gefallen. Müde und mager sitzt er auf seinem Stuhl, sein rechtes Auge überzieht ein milchiger Schleier, und der rechte Ärmel seines Uniformrocks hängt leer herab.

Er fühlt sich ausgelaugt und erschöpft. Frieden sucht er in diesem Bauernhaus in einem Vorort Londons und ist doch der große Admiral Horatio Nelson, der glänzende Sieger über Napoleons Flotte in der Schlacht am Nil. 1795 hat er auf Korsika ein Auge verloren, 1796 bei Teneriffa seinen Arm. In wenigen Tagen wird er der Held der Schlacht von Trafalgar sein – und tot.

Es sind die letzten Septembertage des Jahres 1805 und seine letzten Tage auf dem Gut Merton. Die dicke Frau um die Vierzig, die ihn so zärtlich bemuttert, ist Lady Emma Hamilton, seine Geliebte. Mit 18 Jahren galt sie als die schönste Frau Europas. Jetzt ist ihr Körper vom üppigen Essen und viel zu viel Alkohol aufgedunsen. Ihr Gesicht aber hat die edlen Züge bewahrt.

An dem Flüsschen im Garten spielt ein vierjähriges Mädchen – die gemeinsame Tochter Horatia. Doch das darf niemand wissen. Nur hier auf dem Landgut leben sie wie eine richtige Familie. Dass Nelson eine rechtmäßige Ehefrau hat, ist unwichtig geworden, dass die kleine Horatia nur als seine Adoptivtochter gelten darf, vergessen. Bis vor kurzem hat noch Emmas Mann, Lord Hamilton, mit ihnen hier gelebt, eine Ehe zu dritt.

Es lag am Krieg zwischen England und Frankreich, dass sich Emma und Nelson jemals begegneten – und an Lord Hamilton. Der war englischer Botschafter am Königshof von Neapel-Sizilien und hatte den Sieger der Schlacht am Nil von 1798 mit allen Ehren in seinem Haus in Neapel aufgenommen. Mit Eselsmilch hatte Emma ihren Held damals gefüttert und von seiner Erschöpfung kuriert. Sie pflegte ihn lange und verliebte sich zum ersten Mal in ihrem Leben richtig. Bisher war sie nur von Mann zu Mann geschoben worden und hatte sich in ihr Schicksal gefügt.

Aber sie hatte einen langen Weg hinter sich und war auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und ihres politischen Einflusses. Dass Nelson am Nil gewinnen konnte, verdankte er ihrer Intervention am Hof: Sie hatte für ihn die Erlaubnis erwirkt, im sizilianischen Syrakus seine Schiffe für die Schlacht mit Proviant und Pulver zu versorgen, unbedingte Voraussetzung dafür, ins östliche Mittelmeer weiterzusegeln.

Emma war die engste Vertraute, und wie manche behaupteten, die Geliebte der Königin Maria Carolina, einer so hässlichen wie herzlichen Frau. Von der hieß es, sie sei der einzige Mann am Hof. In der Tat war es Maria Carolina – ganz Tochter ihrer berühmten Habsburger Mutter, der Kaiserin Maria Theresia von Österreich –, die das Königreich beherrschte und nicht ihr Gatte Ferdinand IV.

Emma hatte viel von ihr gelernt und mischte sich ein, wo sie konnte. Als Frau des englischen Botschafters nahm sie Einfluss auf alle diplomatischen Vorgänge zwischen England und dem Königreich Neapel-Sizilien. Ihre Macht ging so weit, dass der Amtsnachfolger ihres Mannes meinte, es sei nun Zeit, zu gehen. Lady Hamilton habe lange genug über das Mittelmeer geherrscht.

Diese Frau, die als Gattin des Botschafters und Vertraute der Königin Hof und Gesellschaftsleben Neapels beherrschte, kam aus einfachen Verhältnissen. Als Kind eines Hufschmieds musste sie schon mit zwölf als Dienstmädchen arbeiten. Mit vierzehn landete sie bei einer Puffmutter in London, ob als Magd oder Hure, ist unbekannt. Mit 17 gebar sie ihr erstes Kind und war die Mätresse eines verarmten Londoner Adligen. Der verkaufte sie mit 19 an seinen Onkel, den englischen Botschafter Hamilton.

Dort lernte sie endlich richtig schreiben und lesen, erhielt Literatur- und Gesangsstunden und gewöhnte sich an ein Leben mit zwanzig Dienstboten. Nach fünf Jahren Ausbildung heiratete Lord Hamilton sie endlich, und sie wurde gesellschaftsfähig. Da schloss sie die mächtigste Königin Italiens ins Herz und machte sie zur Freundin und Verbündeten. So wurde aus der kleinen Dienstmagd Amy Lyon die mächtige Lady Emma Hamilton.

Vierzehn Jahre später, am 6. November 1805, lag sie frühmorgens noch im Bett des kleinen Landgutes, als ein Bote die Nachricht vom englischen Sieg bei Trafalgar über die französische und spanische Flotte und vom Tod ihres Geliebten brachte. Der letzte von 1500 Briefen, die Nelson an Emma geschrieben hatte, war auch sein letzter überhaupt. Er schrieb ihn in seiner Kabine der „Victory“, und seine Sorge galt der Geliebten und Horatia. Der Obhut jenes Landes, dem er so treu gedient hatte, wollte er sie übergeben wissen.

Aber England kümmerte sich nicht um Emma. Die kleine Horatia wurde nachträglich zwar als Tochter anerkannt und erhielt wie die anderen Verwandten des Helden eine staatliche Rente. Emma aber, als illegitime Geliebte, ging leer aus. Die kleine Rente, die ihr aus der Ehe mit Hamilton geblieben war, reichte nicht zum Leben. Sie machte hohe Schulden, kam deswegen ins Gefängnis und floh schließlich nach Calais. Dort starb sie mit fünfzig Jahren an den Folgen ihres Alkoholismus und einer Gelbsucht, völlig verarmt.

Das paradiesische Landgut Merton, auf dem Nelson nichts als Frieden und ein normales Familienleben gesucht hatte, wurde versteigert, parzelliert und bebaut. Dass Emma und Nelson das kleine Flüsschen dort auf den Namen Nil getauft hatten, ist außer in ihren Briefen nirgends festgehalten, ebensowenig wie die heimliche „Hochzeit“, ein Gottesdienst, bei der Emma und Nelson Ringe getauscht und den Segen des Himmels erfleht hatten. Nur in einem Brief an eine Freundin schrieb Emma, wie schön das geklungen hätte: Emma Nelson.

mare No. 24

No. 24Februar / März 2001

Von Hansjörg Gadient

Hansjörg Gadient ist im August 1962 in Davos zur Welt gekommen, hat an der ETH in Zürich und der Hochschule der Künste Berlin Architektur und Städtebau studiert und 1990 diplomiert. An beiden Hochschulen hat er als Lehrbeauftragter und Oberassistent Architektur unterrichtet. Nach Engagements als Stadtplaner in Berlin und als Chefredaktor in Zürich arbeitet er heute als Professor für Landschaftarchitektur an der Hochschule für Technik in Rapperswil. Sein erster Beitrag für mare erschien in der Nullnummer und dann auch in der ersten Ausgabe im April 1997: Freiheit erleuchtet die Welt. Darin war die Freiheitsstatue in New York eines der Themen des Schwerpunktes Transatlantik. Seither hat er in unregelmäßigen Abständen Reportagen zu verschiedensten Themen in mare publiziert, unter anderem über das Lächeln eines toten Hais, über die Leichen in den Arbeiten des schottischen Künstler Steve Dilworth oder über die Liebe von Le Corbusier zu Josephine Baker.

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Vita Hansjörg Gadient ist im August 1962 in Davos zur Welt gekommen, hat an der ETH in Zürich und der Hochschule der Künste Berlin Architektur und Städtebau studiert und 1990 diplomiert. An beiden Hochschulen hat er als Lehrbeauftragter und Oberassistent Architektur unterrichtet. Nach Engagements als Stadtplaner in Berlin und als Chefredaktor in Zürich arbeitet er heute als Professor für Landschaftarchitektur an der Hochschule für Technik in Rapperswil. Sein erster Beitrag für mare erschien in der Nullnummer und dann auch in der ersten Ausgabe im April 1997: Freiheit erleuchtet die Welt. Darin war die Freiheitsstatue in New York eines der Themen des Schwerpunktes Transatlantik. Seither hat er in unregelmäßigen Abständen Reportagen zu verschiedensten Themen in mare publiziert, unter anderem über das Lächeln eines toten Hais, über die Leichen in den Arbeiten des schottischen Künstler Steve Dilworth oder über die Liebe von Le Corbusier zu Josephine Baker.
Person Von Hansjörg Gadient
Vita Hansjörg Gadient ist im August 1962 in Davos zur Welt gekommen, hat an der ETH in Zürich und der Hochschule der Künste Berlin Architektur und Städtebau studiert und 1990 diplomiert. An beiden Hochschulen hat er als Lehrbeauftragter und Oberassistent Architektur unterrichtet. Nach Engagements als Stadtplaner in Berlin und als Chefredaktor in Zürich arbeitet er heute als Professor für Landschaftarchitektur an der Hochschule für Technik in Rapperswil. Sein erster Beitrag für mare erschien in der Nullnummer und dann auch in der ersten Ausgabe im April 1997: Freiheit erleuchtet die Welt. Darin war die Freiheitsstatue in New York eines der Themen des Schwerpunktes Transatlantik. Seither hat er in unregelmäßigen Abständen Reportagen zu verschiedensten Themen in mare publiziert, unter anderem über das Lächeln eines toten Hais, über die Leichen in den Arbeiten des schottischen Künstler Steve Dilworth oder über die Liebe von Le Corbusier zu Josephine Baker.
Person Von Hansjörg Gadient