Freiheit ist ein Geschenk des Meeres

Ein New Yorker Kunsthändler erzählt von dem Abenteuer, wie er 2006 in Kanada einen alten Trawler kaufte und zu einem Expeditionsschiff umbaute. Zum Glück für mare – heute gehört das Schmuckstück zum Inventar des Verlags

Zwei Jahre bevor der letzte Langwellensender abgeschaltet wurde, folgten wir der Loran-C-Senderkette über die Georges Bank Richtung Nova Scotia. Die See war ruhig, anders als bei den meisten meiner Überfahrten, und eine leichte, aus Südwest heranrollende Dünung, deren Oberfläche wie Öl schimmerte, ließ den ­Trawler sanft dümpeln. Es fühlte sich an wie die atlantischen Doldrums, und ich wartete auf das Geräusch fliegender Fische, die platschend an Deck landeten.

Während Fred Johnstons Wache saß ich im Steuerhaus und sah vor mir das unbewegliche Deck und den Rundbuckel des Wetterdecks. Auf der Luke des Laderaums lag ein Stapel Stahlbleche, festgezurrt und mit einer Plane abgedeckt. Den Stahl hatte ich in Brooklyn besorgt und mithilfe eines Krans an Bord gebracht. Gekostet hat mich das einen Sechserpack Budweiser. Aus den Blechen wollte ich auf dem Hauptdeck einen Salon bauen. Das Schiff musste zudem aus dem Wasser, weil die Opferanoden fast runter waren. Geld, die Arbeiten zu bezahlen, hatte ich nicht. Wie alle Überfahrten war auch diese auf Vertrauen gebaut. Die Dinge werden sich schon regeln, dachte ich, so wie auf einem Schiff am zweiten Tag auf See alles Routine wird.

Ich habe die Geräusche eines fahrenden Schiffs geliebt. Ich habe die Bordrou­tine geliebt, die Vierstundenwachen und die Mahlzeiten. Ich habe die Geschichten vom Meer und die Albernheiten geliebt, die nach langen Phasen des Schweigens erzählt wurden. Ich habe es geliebt, Menschen zu sehen, die irgendwo an Deck ein stilles Eckchen gefunden hatten.

Die Besatzung bestand aus Freunden aus New York und Freunden aus Nova Scotia, die in der Fischerei arbeiteten. Auf See lebten wir in einer wunderbaren ­kleinen Welt, die träge und zugleich ungeheuer betriebsam war. Mir war klar, dass sie sich in Wohlgefallen auflösen würde, wenn das Schiff die Werft erreichte. Dort würde ich die Grenzen zu spüren bekommen, an die 400 Tonnen schmollender maroder Stahl stoßen. Ich besaß das Schiff seit zwei Jahren und merkte, wie sein Gewicht meine Träume erdrückte.

„Und? Wie geht’s dem Schiff?“ Seit ich es gekauft hatte, war ich nicht mehr anders begrüßt worden. Um diese Gedanken zu vertreiben, schaute ich im Restlicht auf den Horizont, atmete das Salz ein und malte mir aus, dass im Laderaum Waffen lagen, die wir jemandem brachten, der für eine gute Sache kämpfte. Ich stellte mir vor, das Blatt zu jemandes Gunsten wenden zu können. Dann kuppelte Fred den Motor aus, was er öfter machte und mich jedes Mal zusammenfahren ließ. „Hier! … hat 1986 Jim McGurie von der ,Primo‘ die Schiffsglocke aus dem Wasser gezogen, die viele Jahre vorher eine Welle vom Schoner seines Vaters gerissen hat“, sagte er. „Und x Meilen in diese Richtung“ – er wies beiläufig Richtung Westen – „hat Frankie den alten Essteller aus einem gesunkenen Kreuzer gezogen. Unbeschädigt. Den, der bei mir zu Hause hängt.“

Nach dieser kleinen Reminiszenz zog er an seiner Zigarette und atmete tief ein, den Kopf aus dem Fenster gestreckt, legte den Gang wieder ein und kehrte an seinen Platz auf der Brücke zurück. Den Unterarm auf dem Kartentisch, vornüber gebeugt, die Beine gespreizt, das linke etwas weiter vorn und leicht gebeugt, in der Rechten stets eine brennende Zigarette, von Zeit zu Zeit die Baseballkappe zurechtrückend. Die meisten alten Kapitäne aus der Fischerei nehmen auf der Brücke eine ähnliche und doch sehr charakteristische Position ein. Sie sitzen so gut wie nie. Ein Grund ist, dass sie so viel trinken, dachte ich immer. Frank trank nicht mehr. Aber die Geschichten über ihn, in denen es um Fischen und Trinken geht, sind fester Bestandteil der Atlantik­fischerei. Zeiten, in denen die Kapitäne wie Könige über die Meere herrschten, als es keine „Fangquoten“ und keine „Wirtschaftszonen“ gab, als sie noch wie Cowboys Pistolen an ihren Gürteln trugen und rivalisierende Schiffe wütend unter Feuer nahmen. Während ihrer kurzen Aufenthalte an Land fuhren sie schnelle Autos, neben ihnen Frauen mit großen Brüsten, und erinnerten sich später an nichts mehr.
Aus dem Englischen von Rudolf Mast

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mare No. 151

mare No. 151April / Mai 2022

Von Miloš Simović und Vladimir Radojičić

Miloš Simović, 1966 in Belgrad geboren, aufgewachsen in Jugoslawien, Libyen und Ostafrika, hat verschiedene Berufe, von denen einige die Arktis und Schiffe betreffen, und schreibt über äthiopische Kunst und Belletristik. Er lebt in New York, mit ausgedehnten Aufenthalten in Äthiopien, Serbien und ­Grönland. 
Vladimir Radojičić, 1958 vor Split an Bord des Segelschiffs seines Großvaters geboren, ist Fotograf und Künstler. Er arbeitete als Maschinist auf der „Cape Race“. Radojičić lebt in New York. 

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Vita Miloš Simović, 1966 in Belgrad geboren, aufgewachsen in Jugoslawien, Libyen und Ostafrika, hat verschiedene Berufe, von denen einige die Arktis und Schiffe betreffen, und schreibt über äthiopische Kunst und Belletristik. Er lebt in New York, mit ausgedehnten Aufenthalten in Äthiopien, Serbien und ­Grönland. 
Vladimir Radojičić, 1958 vor Split an Bord des Segelschiffs seines Großvaters geboren, ist Fotograf und Künstler. Er arbeitete als Maschinist auf der „Cape Race“. Radojičić lebt in New York. 
Person Von Miloš Simović und Vladimir Radojičić
Vita Miloš Simović, 1966 in Belgrad geboren, aufgewachsen in Jugoslawien, Libyen und Ostafrika, hat verschiedene Berufe, von denen einige die Arktis und Schiffe betreffen, und schreibt über äthiopische Kunst und Belletristik. Er lebt in New York, mit ausgedehnten Aufenthalten in Äthiopien, Serbien und ­Grönland. 
Vladimir Radojičić, 1958 vor Split an Bord des Segelschiffs seines Großvaters geboren, ist Fotograf und Künstler. Er arbeitete als Maschinist auf der „Cape Race“. Radojičić lebt in New York. 
Person Von Miloš Simović und Vladimir Radojičić