Flaschenpost aus Sellafield

Wenn es in der Wiederaufarbeitungsanlage an der Irischen See Probleme gibt, haben wir sie anderthalb Jahre später in der Nordsee

Erst ist die Nordsee weiss. Dann wird sie blassrot. Zwei Sekunden später schwarz, dann grün und am Ende wieder weiß. Schließlich stoppt das Programm. In seinem Labor am Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) wendet sich Hartmut Nies vom Bildschirm ab. „Unsere Computersimulation zeigt, wie sich radioaktive Abwässer aus Sellafield im Meer verteilen.“ Seit Jahrzehnten wacht die Behörde über alles, was an strahlenden Isotopen durch Nord- und Ostsee driftet.

Sellafield an der westbritischen Küste ist – wie La Hague in der Normandie – eine Wiederaufarbeitungsanlage. Sie nimmt abgefeuerte Brennstäbe aus Kernkraftwerken auf, trennt Atommüll von übrig gebliebenem Uran und Plutonium und produziert runderneuerte Brennelemente. Zum Verdruss von Umweltschützern und AKW-Gegnern spült die Anlage immer wieder messbare Mengen an radioaktivem Material in die See, was die Betreiber jahrelang hartnäckig geleugnet haben.

Gegründet wurde die Anlage ursprünglich unter dem Namen Windscale zur Gewinnung von Plutonium für den Bau von Atomwaffen. Nach einem Brand, bei dem 1957 mehr als 250 Arbeiter verstrahlt wurden, gab man dem Ort den neuen, unbelasteten, Namen Sellafield. Auch später kommt es immer wieder zu Zwischenfällen, bei denen radioaktives Material in die See gelangt.

„Und mit den Strömungen driftet es bis in die Deutsche Bucht“, sagt Nies. Regelmäßig sticht sein Team in See, entnimmt Wasserproben und analysiert sie im heimischen Labor in Hamburg-Sülldorf. Nach deutlichen Protesten von Greenpeace und anderen hält sich der nukleare Output der Brennstabfabrik mittlerweile in Grenzen. „Bei Sellafield sind es pro Jahr weniger als fünf Billionen Becquerel, bezogen auf das Isotop Cäsium-137“, sagt Nies, „1975 war es noch mehr als das 1000-fache.“

Manche Forscher aber sahen in den Nuklearschwemmen der siebziger und achtziger Jahre eine interessante Gelegenheit: Mit ihrem hoch empfindlichen Analyseinstrumentarium konnten sie feststellen, wann Sellafield oder La Hague wieder eine radioaktive Charge ins Meer leiteten. Dann hefteten sie sich hartnäckig an die Spuren des Nuklid-Cocktails, um zu se-hen, wie schnell und wohin dieser von der Meeresströmung getrieben wurde.

Fleißig nahmen die Wissenschaftler Stichproben, und über die Jahre sammelten sich endlose Messreihen aus Cäsiumkonzentrationen und Zerfallsraten an. Nach und nach ließen sie sich umrechnen in ein präzises Strömungsprofil der Nordsee „Als wenn ich eine Flaschenpost auswerfe und über viele Jahre verfolge“, meint Hartmut Nies.


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mare No. 50

No. 50Juni / Juli 2005

Von Frank Grotelüschen

Der Physiker Frank Grotelüschen, Jahrgang 1962, arbeitet als Wissenschaftsreporter in Hamburg.

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Vita Der Physiker Frank Grotelüschen, Jahrgang 1962, arbeitet als Wissenschaftsreporter in Hamburg.
Person Von Frank Grotelüschen
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