Fisch für Arbeitslose und Millionäre

Leo Burdock's ist die Fish-and-Chips-Legende in der irischen Hauptstadt Dublin

Früher, als freitags Fleisch verboten war, büßte man in Irland für seine Sünden mit einer Fischmahlzeit, auf deren Zubereitung entsprechend wenig Phantasie verwendet wurde. Erst seit der Lockerung dieses katholischen Dogmas haben nun die Inselbewohner die Fischküche entdeckt, zahlreiche Seafood-Restaurants entstanden. Eine Ausnahme freilich gab es zuvor schon: Fish and Chips. Der fritierte Fisch im Teigmantel mit Pommes frites.

„Wer glaubt, dass man bei der Zubereitung von Fish and Chips nichts falsch machen kann, irrt gewaltig“, sagt Christy. Seit 20 Jahren brät er in Leo Burdock’s Laden Fisch. „Der Teig darf nicht so dick sein, dass man den Fisch darin suchen muss, und die Pommes dürfen nicht so dünn sein, dass man gleich ein Dutzend in den Mund stopfen muss.“ Bei Burdock’s seien die Chips, wie es sich gehöre, „fingerdick und handgeschnitzt“. Der Teig für den Fisch besteht nur aus Mehl und Wasser. Und das Öl ist kochend, damit beim kurzen Braten – im Eisentopf, versteht sich – die Aromen erhalten bleiben.

Der Geruch von heißem Öl und Fisch zieht in die Nase, wenn man den Christ Church Place quert. Leo Burdock’s Fish-and-Chips-Laden, gegründet 1913, liegt gleich neben dem noblen Lord Edward, Dublins erstem Fischrestaurant, von dem Burdock sein Geschäft gemietet hat.

Mehr als ein halbes Dutzend Kunden passt nicht in den winzigen Laden. Abends nach der Sperrstunde stehen die Menschen manchmal bis zur Ecke Schlange, während im Lord Edward wochentags viele Tische leer bleiben. „Wenn man nebenan essen will, muss man Geld haben“, sagt Christy. „Zu uns kommen Arbeitslose und Millionäre, Professoren und Penner.“ Der bekannteste Obdachlose war Johnny Fourty Coats, der seine ganze Habe stets am Körper trug. Er hatte selten Geld, wurde bei Burdock’s aber nie mit leerem Magen weggeschickt.

Im Schaufenster steht ein behelmter Plastik-Wikinger im Burdock’s-T-Shirt, der seine batteriebetriebenen Arme und Beine unermüdlich von Mittag bis Mitternacht bewegt, als ob er Kabeljau aus dem Meer zieht. An der holzgetäfelten Wand neben dem Tresen hängt der Stammbaum der Wikingerkönige, die in Dublin zwei Jahrhunderte lang das Sagen hatten. „Keine dreihundert Meter von hier landeten die Wikinger im Jahr 988“, sagt Christy, wälzt die Fischfilets im flüssigen Teig und gibt sie vorsichtig in die Friteuse.

Leo Burdock, der Firmengründer, war der Urgroßvater des jetzigen Besitzers. „Von Anfang an gab es hier nur Fish and Chips“, sagt Christy. „Mit Schnickschnack wie Hamburgern oder Würstchen haben wir uns nie abgegeben.“ Immerhin sechs verschiedene Sorten Fisch sind im Angebot: Rochen, Schellfisch, Wittling, Scholle sowie frischer und geräucherter Kabeljau.

Sitzplätze gibt es nur bei schönem Wetter gegenüber auf der Parkbank. Ein Gourmet-Magazin wies mal darauf hin: Keinesfalls sei ein Teller zu verwenden, man esse von dem Zeitungspapier, in das Fisch und Pommes eingewickelt sind.

Zeitungspapier ist inzwischen verboten. „Die EU schreibt Wachspapier vor“, sagt Christy leicht amüsiert. „Dabei nahm man mehr als hundert Jahre lang Zeitungen, ohne dass sich jemand an Druckerschwärze vergiftet hätte.“ Die schnelle Mahlzeit kam aus Nordengland: Nach der Industriellen Revolution hatten die Frauen in den Spinnereien nicht viel Zeit zum Essen. Sie versorgten sich mit Fisch, der von Wanderverkäufern in großen Töpfen über Kohlefeuern gebraten wurde – damals mit Ochsenfett, heute wird in Pflanzenöl fritiert.

Warum aber ist Burdock’s der beliebteste „Chipper“ Dublins? Am dünnen Teig und dicken Pommes frites allein kann es nicht liegen. „Wir holen jeden Morgen frischen Fisch vom Markt“, sagt Christy. „Unsere Portionen sind großzügig, niemand soll danach noch Hunger haben. Und dann ist da natürlich unser Spezial-Malzessig.“ Auf dem gelben Resopaltisch neben dem Tresen stehen Limonadenflaschen voll Essig, den die Kunden über ihre Mahlzeit schütten. „Fisch und Chips ohne Essig ist wie Austern ohne Zitrone“, sagt Christy. Manche lassen sich einen Liter von dem Essig in leere Flaschen abfüllen. Er wird seit 84 Jahren nach demselben Geheimrezept hergestellt.

Am besten verkaufe sich der frische Kabeljau. „Den bestellt auch Naomi Campbell stets, wenn sie in Dublin ist“, sagt Christy und versucht, möglichst beiläufig zu klingen. Das Fotomodell führt die Liste der prominenten Kundschaft an, die in „Burdock’s Hall of Fame“ über dem gelben Resopaltisch verzeichnet ist: Mick Jagger und U2, Liam Neeson, Sinead O’Connor und Rod Stewart, Tom Cruise, Bruce Springsteen und selbst Edith Piaf haben sich bei Burdock’s die Hände fettig gemacht.


Leo Burdock’s
2 Werburgh Street, Dublin 8
Telefon: 00353–1–454 03 06
Täglich von 12.30 bis 23.30 Uhr (So. 17.30 bis 22 Uhr)

mare No. 2

No. 2Juni / Juli 1997

Von Ralf Sotscheck und Derek Speirs

Derek Speirs, geboren 1952 in Dublin, arbeitet seit 1977 als professioneller Fotograf.

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Vita Derek Speirs, geboren 1952 in Dublin, arbeitet seit 1977 als professioneller Fotograf.
Person Von Ralf Sotscheck und Derek Speirs
Vita Derek Speirs, geboren 1952 in Dublin, arbeitet seit 1977 als professioneller Fotograf.
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