Feuer! Feuer an Bord!

Brennende Schiffe: die Wunderwaffen früherer Jahrhunderte

Wie sehr sind wir es gewohnt, Wasser und Feuer als Elemente zu betrachten, die einander aufheben. Das eine schützt uns vor dem andern, denken wir, solange wir festen Grund unter den Füßen haben. Doch wer sich auf einem Schiff, noch dazu auf einem Segelschiff, einem hölzernen gar, aufs Meer hinauswagt, dem ist das Feuer der ärgste Feind. Rasch ist ein Schiffsleib aufgezehrt. Und das Wasser droht den zu verschlingen, den das Feuer verschont hat. Rettung ist nirgends, und das menschliche Genie erschöpft sich in der verzweifelten Anstrengung, mit der sich der Körper an eine Planke klammert.

Wir wissen nicht, wer die Menschen auf Joseph Mallord William Turners spätem Gemälde „Fire at Sea“ (Abbildung siehe Seite 24) sind. Ohnehin haben Namen keine Bedeutung. Rollen und Titel sind auf dem Schiff, dessen Rumpf sich im Bildhintergrund schwarz von den gelben Flammen abhebt, ebenso verbrannt wie die Kleider der Überlebenden. Nackt treiben sie auf einem Floß aus zusammengezimmerten Wrackteilen, während Wolken und Wellen sich zu einem finsteren Gewölbe um sie schließen, das vom Funkenregen gespenstisch erhellt wird.

Turners Bild von 1835 bezieht sich nicht auf eine historische Begebenheit wie etwa Théodore Géricaults „Floß der Medusa“ von 1819. Es entstand unter dem Eindruck des großen Brandes von Westminster ein Jahr zuvor, aus dem Anblick der Flammen, die aus dem alten Parlamentsgebäude aufschossen und sich im Wasser der Themse spiegelten. Unmittelbar nach dem Brand, solange seine Eindrücke frisch waren, fertigte Turner neun Aquarelle in Serie an. Aber die Aquarelle hatten bloß den Charakter von Studien für Turners eigentliche Absicht: die Darstellung der Apokalypse. Dazu verlegte er den Brand aufs Meer, und so erscheint „Fire at Sea“ als eine Mischung aus Landschafts- und Historiengemälde in Anlehnung an ein biblisches Thema. Tatsächlich ähneln die verzweifelten Gesten, die schreckerfüllten Blicke der auf dem Floß treibenden Menschen denen der Auferstehenden in Darstellungen des Jüngsten Gerichts. Nur thront kein Gott über der Szene, und die See rollt in vernichtender Gleichgültigkeit über die Ausgesetzten hinweg.

Turner kannte das Meer und verstand sich auf die Schiffe seiner Zeit. Anders als die meisten vor ihm malte er die Menschen und ihr Schicksal auf See kompromißloser, unheroischer. Vielleicht hätte Turner auch die Schlachten des 16. und 17. Jahrhunderts anders gemalt, hätte er sie miterlebt, anders als die von ihm so sehr bewunderten holländischen Meister, als ein Vroom, ein Storck oder als die beiden Willem van de Velde, die die Schlachten mit dem Skizzenblock von einem Fischkutter aus mitverfolgten und detailgetreue Gemälde mit viel Sinn für Effekte anfertigten. Doch im Zentrum dieser Bilder stehen in der Regel die prunkvollen Schiffe der Admirale, mächtige Schlachtschiffe mit von Schnitzwerk und Gold starrenden Spiegeln, die einander rollende Breitseiten über eine nicht selten zur Vervollständigung der Wirkung stürmische See hinweg zuschicken. Vielleicht hätte Turner jenes Drama gemalt, das sich am 28. Mai 1672 während der Schlacht in der Bucht von Southwold zutrug, als das Flaggschiff der Engländer, die „Royal James“, bei einem Angriff der Holländer von jener Waffe getroffen wurde, die im Zeitalter der Segelschiffe verheerender wirkte als Geschützfeuer und Entermannschaften zusammen: die Brander.

Vor Southwold wurde die „Royal James“ von einem solchen Schiff getroffen, das in seinem Innern, in speziell gemauerten Backsteinkammern, Tonnen von Sprengstoff bewahrte, von der Besatzung auf den Feind zugesteuert und im letzten Augenblick vor dem Zusammenstoß angezündet wurde. Augenzeugen der Schlacht wollen den nahezu drei Zentner schweren Earl of Sandwich, den Oberbefehlshaber der englischen Flotte, gesehen haben, wie er von Flammen umzingelt auf dem Achterdeck gestanden habe – wild und verzweifelt gestikulierend. Seine Leiche wurde später bei Harwich an den Strand gespült. Mit ihm rund die Hälfte der tausendköpfigen Besatzung der „Royal James“.

Die Darstellungen von Brandern, so häufig sie zum Einsatz kamen, ob in Seeschlachten oder bei Piratenüberfällen, sind selten. Der größte Schrecken der Seeleute, die Konfrontation mit dem Feuer, blieb dort ungemalt, wo am häufigsten damit zu rechnen war: in den unzähligen Schlachten des 16., 17., 18. und 19. Jahrhunderts.

Wohl ist der erste eigentliche Brandereinsatz, der 1585 vor Antwerpen stattfand, in einer Illustration festgehalten. Doch der zeitgenössische Stich gibt allenfalls darüber Aufschluß, welche Sprengwirkung die vom Italiener Federigo Giambelli entwickelten und erstmals von den Wassergeusen gegen die spanischen Belagerer geschickten Schiffe hatten. Von der Wirkung auf die Augenzeugen, auf die spanischen Soldaten und Matrosen vor allem, von denen 800 in den Tod gerissen und unzählige verletzt wurden, als ein Teil einer Brücke zwischen zwei spanischen Forts von der Explosion weggerissen wurde, darüber sagt der Stich nichts aus. Und doch war es diese Wirkung, die Erinnerung an Antwerpen, welche die spanischen Seeleute 1588 in Panik ausbrechen ließ, als die Engländer acht brennende Schiffe auf die vor Calais ankernde Armada zutreiben ließen. In überstürzter Hast kappten die spanischen Kapitäne die Ankertrossen und flohen. Die englischen Schiffe, keineswegs richtige Brander, sondern bloß entbehrliche Segler, verrauchten auf dem Strand, ohne größeren Schaden anzurichten. Aber die spanische Armada war auseinandergebrochen, und manchem Schiff fehlte in den kommenden Stürmen auf dem Heimweg rund um die britischen Inseln jener Anker bitter, den es vor Calais gelassen hatte.

Immerhin ist der berühmteste Brandereinsatz der Geschichte, der keiner war, auf verschiedenen Bildwerken festgehalten. Doch es gehört zur Überheblichkeit der Sieger, daß sie den Sieg lieber ihrem eigenen Mut als der Angst des Gegners zuschreiben. In einer seiner Darstellungen des Brandereinsatzes half Hendrick Vroom deshalb der Wirklichkeit nach und erfand ein Kanonenduell zwischen einer mächtigen spanischen Galeone und einem dreisten Engländer, das er in den Vordergrund seines Gemäldes rückte, während die Brander weit im Hintergrund allenfalls dekorativ übers Wasser gleiten.

Die wahrscheinlich realistischste Darstellung der Begegnung vor Calais wurde zwar ebenfalls nach Entwürfen von Hendrick Cornelisz Vroom angefertigt. Ausgeführt allerdings als Wandteppich, gewebt von François Spierincx aus Delft. Der Bildteppich, der zu einer Serie von zehn Darstellungen der Niederlage der spanischen Armada gehörte, wurde von Lord Howard Effingham, dem Oberkommandierenden der Engländer, bestellt. Ausgerechnet dieses Werk fiel seinerseits dem Feuer zum Opfer. Die Teppiche gingen in jenem für Turner so nachhaltig wirksamen Brand von Westminster 1834 verloren. Nur dank einem gewieften Kupferstecher blieben die Bilder der Nachwelt erhalten. Schon 1739 hatte John Pine Kopien von ihnen angefertigt. Mit diesen hatte er das britische Nationalbewußtsein gestärkt und seine Kasse gefüllt.

Brander waren so wirkungsvolle wie unheroische Waffen. Die Marinemaler, die von ihren Auftraggebern abhingen, zogen es deshalb vor, die Taten der Admiralität zu verherrlichen, indem sie die Flotten in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit darstellten und die Vernichtung des Gegners kraft der Kanonen zu dokumentieren versuchten. Diese Darstellungen verzichten auch weitgehend darauf, einen Eindruck vom Gemetzel zu vermitteln, von den beengten Verhältnissen in den Zwischendecks, vom Lärm und schließlich vom Schrecken der Schlacht.


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mare No. 9

No. 9August / September 1998

Von Ronald Schenkel

Ronald Schenkel, 34, lebt als freier Journalist in Zürich. Er schrieb in mare No. 4 eine Reportage über eine Glasbrücke in Venedig

Die im Text beschriebenen Gemälde sind in den folgenden Museen zu besichtigen:

  • William Turner, „Fire at Sea“, Tate Gallery, London
  • Willem van der Velde, „Überfall auf die ,Royal James‘“, Nederlands Scheepvaartmuseum Amsterdam
  • Hendrick Vroom, Spanische Armada vor Calais, Ferdinandmuseum, Innsbruck
  • Hendrick Vroom, François Spierincx, Stiche nach Bildteppichen von John Pine, Library of Congress
  • Benjamin West, „Der Tod Lord Nelsons“, Greenwich, National Maritime Museum
  • A.W. Davis, „Der Tod Lord Nelsons“, Greenwich, National Maritime Museum
  • Anthonis van Dyck, „Die Beweinung Christi“, Alte Pinakothek, München

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Vita Ronald Schenkel, 34, lebt als freier Journalist in Zürich. Er schrieb in mare No. 4 eine Reportage über eine Glasbrücke in Venedig

Die im Text beschriebenen Gemälde sind in den folgenden Museen zu besichtigen:
  • William Turner, „Fire at Sea“, Tate Gallery, London
  • Willem van der Velde, „Überfall auf die ,Royal James‘“, Nederlands Scheepvaartmuseum Amsterdam
  • Hendrick Vroom, Spanische Armada vor Calais, Ferdinandmuseum, Innsbruck
  • Hendrick Vroom, François Spierincx, Stiche nach Bildteppichen von John Pine, Library of Congress
  • Benjamin West, „Der Tod Lord Nelsons“, Greenwich, National Maritime Museum
  • A.W. Davis, „Der Tod Lord Nelsons“, Greenwich, National Maritime Museum
  • Anthonis van Dyck, „Die Beweinung Christi“, Alte Pinakothek, München
Person Von Ronald Schenkel
Vita Ronald Schenkel, 34, lebt als freier Journalist in Zürich. Er schrieb in mare No. 4 eine Reportage über eine Glasbrücke in Venedig

Die im Text beschriebenen Gemälde sind in den folgenden Museen zu besichtigen:
  • William Turner, „Fire at Sea“, Tate Gallery, London
  • Willem van der Velde, „Überfall auf die ,Royal James‘“, Nederlands Scheepvaartmuseum Amsterdam
  • Hendrick Vroom, Spanische Armada vor Calais, Ferdinandmuseum, Innsbruck
  • Hendrick Vroom, François Spierincx, Stiche nach Bildteppichen von John Pine, Library of Congress
  • Benjamin West, „Der Tod Lord Nelsons“, Greenwich, National Maritime Museum
  • A.W. Davis, „Der Tod Lord Nelsons“, Greenwich, National Maritime Museum
  • Anthonis van Dyck, „Die Beweinung Christi“, Alte Pinakothek, München
Person Von Ronald Schenkel