Fernwärme für Europa

Salz treibt die mächtigsten Ströme an – und damit unser Klima

Nicht nur in die Suppe und an den Rand eines Margarita gehört es, auch im Meer ist es unverzichtbar. Und dort macht es nicht nur das Wasser salzig, es treibt auch tief reichende Wasserbewegungen und Meeresströme an, die wiederum unser Klima bestimmen. Denn nicht nur der Wind vermischt das Wasser: Temperatur und Salzgehalt erzeugen, was Ozeanografen die „thermohaline Zirkulation“ nennen.

Grundlage dieser Umschichtungen ist dabei die Dichte des Wassers. Einfach ausgedrückt, beschreibt die Dichte, wie viel ein Liter Wasser wiegt. Ein Liter reinen Wassers wiegt bei einer Temperatur von vier Grad genau ein Kilogramm. Salz macht das Meerwasser schwerer als reines Wasser, weil ja nun in einem Liter nicht nur das Wasser, sondern auch die gelösten Salze vorhanden sind. Folglich hat salzreiches Wasser eine höhere Dichte als salzarmes. Wiegt man einen Liter Meerwasser aus der Nordsee mit einem Salzgehalt von ungefähr 33 Promille, so erhält man in etwa 1,033 Kilogramm – in etwa, weil die Dichte des Wassers auch von der Temperatur abhängt. Zumindest für Meerwasser von mehr als 24,7 Promille Salzgehalt bedeutet ein Anstieg der Wassertemperatur eine Abnahme der Dichte. Bei gleicher Temperatur ist also salzarmes Wasser leichter als salzreiches, und bei gleichem Salzgehalt ist warmes Wasser leichter als kaltes.

Umwelteinflüsse verändern die Eigenschaften des Oberflächenwassers. Regen oder Schmelzwasserzufuhr verdünnen den Salzgehalt, Verdunstung erhöht ihn, und Klima und Wetter bestimmen die Wassertemperatur. Zudem werden Wassermassen unterschiedlichen Ursprungs – und damit mit unterschiedlichem Salzgehalt und Temperatur – über weite Strecken durch Strömungen verfrachtet und treffen in verschiedenen Regionen der Ozeane aufeinander. Wann immer solche unterschiedlichen Wassermassen aufeinander treffen oder sich die Eigenschaften des Oberflächenwassers ändern, sinkt das Wasser mit höherer Dichte in die Tiefe, weil es schwerer ist als das darunter liegende Wasser geringerer Dichte. Diese thermohaline Durchmischung findet sich an vielen Stellen in den Meeren, aber in einigen Regionen ist sie außerordentlich stark und kann bis in Tausende Meter Tiefe reichen. Hier dient diese Durchmischung nicht nur als „Lunge“ der Tiefsee, weil Oberflächenwasser im Kontakt mit der Atmosphäre sauerstoffreich ist und dieser Sauerstoff mit dem absinkenden Wasser in die Tiefsee gebracht wird. Diese Tiefendurchmischung dient auch als Antrieb für weit reichende ozeanische Strömungssysteme.

Eine solche Region starker Durchmischung ist der subpolare Nordatlantik, genauer gesagt die Grönlandsee im Dreieck zwischen Grönland, Island und der Insel Jan Mayen. Hier gelangt salzreiches und relativ warmes Wasser in der Oberflächenschicht durch den Norwegenstrom von Süden in die Grönlandsee. Insbesondere während des Winters kühlt sich dieses salzreiche Wasser stark ab, wodurch seine Dichte stark erhöht wird. Durch den hohen Salzgehalt braucht es nur eine geringe Abkühlung, um die Wasserdichte so zu erhöhen, dass es schwerer wird als die darunter liegenden Schichten. In mächtigen Säulen von zehn bis 50 Kilometer Durchmesser rauscht das nun etwa drei Grad kalte, 34,9 Promille salzige, schwerere Wasser mit einer Geschwindigkeit von bis zu 360 Metern pro Stunde in Tiefen von 2000 bis 3000 Metern hinab, wo es das so genannte Nordatlantische Tiefenwasser bildet und in großer Tiefe nach Süden abfließt. Auch wenn diese Kaltwassersäulen im Schnitt nur für drei bis sechs Tage bestehen – danach brechen sie zusammen, und neue Säulen bilden sich an anderer Stelle –, transportieren sie immense Mengen Oberflächenwassers in kurzer Zeit in die Tiefsee. In der Grönlandsee allein, so die Berechnungen der Ozeanografen, sinken rund 100 Millionen Liter Oberflächenwasser in jeder Sekunde in die Tiefe. Diese enormen Wassermassen, die hier in die Tiefsee rauschen, müssen an der Oberfläche wieder aufgefüllt werden, denn schließlich kann ja kein Loch in der Meeresoberfläche entstehen.

Die Suche nach der Quelle des Nachschubs führt gleichzeitig zur Quelle des hohen Salzgehalts im Nordatlantik, der die hohe Dichte und das rasche Absinken erst ermöglicht. Und diese Quelle liegt fernab des ungemütlichen Nordmeers in wohlig-warmen subtropischen Breiten. Hier, an der Südspitze Floridas, vereinen sich Oberflächenströme aus dem subtropischen Atlantik, der Karibik und aus dem Golf von Mexiko zum Golfstrom. Sonneneinstrahlung, Wärme und niedrige Niederschläge sorgen für starke Verdunstung an der Meeresoberfläche, und das zurückbleibende Meereswasser wird salziger.

Passatwinde treiben die feuchten Luftmassen gen Westen. Da Mittelamerika und der Süden der USA nur relativ niedrige Gebirgszüge besitzen, können diese Luftmassen die Landbarriere überqueren, ohne über ihr abzuregnen, was das Regenwasser wieder dem Atlantik zuführen würde. Vielmehr wird nun die Verdunstung aus dem subtropischen Atlantik – also Süßwasser – in den pazifischen Raum transportiert. Mit dem Resultat, dass der Nordatlantik im Durchschnitt salziger wird als der Nordpazifik, in den die Feuchte des subtropischen Atlantiks abregnet.

Der Golfstrom bringt das warme, salzige subtropische Wasser entlang der amerikanischen Ostküste nach Norden, bis er auf der Höhe des US-Bundesstaates North Carolina nach Osten in den offenen Atlantik abbiegt und von hier an Nordatlantischer Strom genannt wird. Seine Schnelligkeit verhindert sowohl ein starkes Abkühlen des Wassers als auch eine Verdünnung des Salzgehalts durch hohe Niederschläge in den gemäßigten Breiten, so dass die im Nordatlantischen Strom gespeicherte Wärme der Subtropen nach Nordeuropa gelangt und dort als klimatische Zentralheizung fungiert – ein wesentlicher Grund für das deutlich wärmere Klima auf der Ostseite des Nordatlantiks, vergleicht man die Durchschnittstemperaturen von Hamburg und dem auf gleicher Breite liegenden kanadischen Labrador.

Nördlich der Britischen Inseln setzt sich der Wassertransport als Norwegenstrom fort, der nun das – wenngleich bereits ein wenig kühlere – immer noch salzige Wasser in die Grönlandsee führt und damit das dort absinkende Oberflächenwasser ersetzt. Das nordatlantische Strömungssystem stellt also gleichzeitig die Quelle und die Folge der tiefen thermohalinen Zirkulation im Nordmeer dar: Es transportiert einerseits den hohen Salzgehalt subtropischen Wassers in die Grönlandsee, der das rasche Absinken dort erst ermöglicht. Andererseits ist es aber auch genau jenes Absinken der Wassermassen, das ein Wiederauffüllen des Oberflächenwassers erzwingt und dadurch quasi den Nordatlantischen Strom über den Ozean „saugt“.


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mare No. 54

No. 54Februar / März 2006

Von Frank J. Jochem

Frank J. Jochem, geboren 1961 in der meeresfernen Stahlstadt Duisburg, ist Professor für Biologische Meereskunde an der Florida International University in Miami. mare-Lesern der ersten Stunde ist er wohl bekannt: Zwischen 1996 und 1999 war er Wissenschaftsredakteur der Zeitschrift der Meere.

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Vita Frank J. Jochem, geboren 1961 in der meeresfernen Stahlstadt Duisburg, ist Professor für Biologische Meereskunde an der Florida International University in Miami. mare-Lesern der ersten Stunde ist er wohl bekannt: Zwischen 1996 und 1999 war er Wissenschaftsredakteur der Zeitschrift der Meere.
Person Von Frank J. Jochem
Vita Frank J. Jochem, geboren 1961 in der meeresfernen Stahlstadt Duisburg, ist Professor für Biologische Meereskunde an der Florida International University in Miami. mare-Lesern der ersten Stunde ist er wohl bekannt: Zwischen 1996 und 1999 war er Wissenschaftsredakteur der Zeitschrift der Meere.
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