Es geht kein Schiff nach Irgendwo

An Bord gehen, ablegen, weg sein – so hatte es sich der Autor vorgestellt, als er eine Pinisi – einen traditionellen indonesischen Holzfrachter – bestieg. Doch dann kam alles anders: Tagelang lag er im Hafen von Makassar auf Sulawesi fest

Papiere?“ Der Hafenmeister blickt erschrocken auf. „Wer will die?“ Er erhebt sich, setzt sich wieder. Er rückt den Stuhl näher an seinen Schreibtisch. Er lächelt, verbissen. Ich sehe mich um. Sein Büro ist aufgeräumt. Sehr aufgeräumt. Auf dem Schreibtisch liegt kein einziges Formular. Ein Telefon steht darauf, nichts sonst – kein Aktenordner, kein Stempel, nicht mal ein Kugelschreiber. Ein Schrank drückt sich in der Ecke, er wirkt wie ein vergessener Bittsteller. Der Hafenmeister trägt eine Art grauen Drillich, Turnschuhe und zerzaustes Haar. Offensichtlich hat er aufgegeben, es zu bändigen. Es passt zu dem Aufruhr vor seinem Fenster.

Draußen ist Makassar, das legendäre Piratennest im Süden Sulawesis. Draußen ist Pautere, sein Segelhafen. Ausschließlich Segelschiffe liegen hier, keine Yachten. Indonesien besitzt an die 14000 Inseln, rund 1000 Frachtensegler sind auf den Inter-Island-Routen unterwegs. Die ganze indonesische Schiffbaukunst reibt sich Planke an Planke in Pautere: die Parengge, friesischen Fischkuttern ähnlich; die Lopi Sande, 20 Meter lange, schlanke Renner; die Jolor, kleine Fischerboote, nicht größer als Angelkähne, hochseetüchtig dennoch. Man kann über Bordwände klettern und wieder runter und wieder auf ein neues Schiff und so weiter, bis man fast am anderen Ende des Hafens ist.

„Papiere?“, fragt der Hafenmeister. „Was haben Sie denn vor?“ Das Abenteuer meines Lebens, nichts weniger. Ein Mann sollte nicht nur ein Buch schreiben oder einen Baum einpflanzen. Er sollte auch, einmal zumindest, mit einem Schiff übers Meer fahren, und hier bietet sich eine Gelegenheit.

Ich habe meine Fantasie aufgeladen mit diversen Bildbänden über Indonesien, speziell seiner Flotte aus traditionellen Holzfrachtern. Ich weiß von den Künsten ihrer Baumeister, die kaum mehr als Hammer und Holznägel verwenden, deren Werften zwischen ihren Hütten liegen, die Kiele auf Sand gelegt, und deren Boote es dennoch bis Afrika oder Australien schaffen. Ich habe aus dem Internet geladen, aus Archiven bestellt, aus Bibliotheken geordert. Ich habe alles mehrfach gelesen, natürlich auch die Erzählungen von Joseph Conrad, vor allem die, und sie mit Folie eingeschlagen, des Spritzwassers wegen. Conrads Helden sind zumeist Verlorene, die am verlorensten im Dschungel oder in asiatischen Gewässern scheinen.

Im Koffer liegen seine Bücher gleich neben der prallen Tüte mit der Chemie gegen Seekrankheit. Sosehr mein Kopf aufs Meer drängt, so sehr sträubt sich dagegen mein Magen. Ich würde ihn gern an Land lassen, wenn das ginge. So aber habe ich gekauft, was auf dem einschlägigen Markt zu kriegen war. Zur Sicherheit plünderte ich die redaktionelle Reserve, obwohl die schon seit dem vorletzten Segelausflug überlagert ist. Bücher und Antivomita, ich wähne mich gut vorbereitet. Noch im Flugzeug nahm ich die erste Pille und schwärzte alle Stellen in meiner Reiseliteratur, in denen von höherem Wellengang die Rede ist.

Es ist mein zweiter Tag in Makassar. „Kommen Sie morgen wieder“, sagt der Hafenmeister. „Ich erkundige mich, ob Sie überhaupt Papiere brauchen.“

An die 20 Pinisis liegen im Hafen, die Flaggschiffe der indonesischen Holzflotte. Als Bugischoner kreuzen sie durch die Legenden der Seefahrer, mit hohem Bug, auch das Heck weit über Wasser, die sieben Segel gebläht vor Wind und Beutegier, denn in den Masten hauste eine wilde Schar: die Bugis, die Piraten der Javasee. Ein Volk aus Freibeutern, noch immer ansässig auf Sulawesi. Mit einer Pinisi, dem einstigen Piratenschiff, will ich übers Meer.

Die „Maru Behru“ entdeckte ich am ersten Tag, sie war wie alle anderen. Auf dem Vordeck hockte eine verschrumpelte Galionsfigur. Sie mochte an die 100 Jahre alt sein, ich konnte mein Glück nicht fassen: Kaum war ich hier, traf ich den letzen echten Piraten. Irgendwo an Bord mochte sein blutgetränktes Messer liegen, irgendwann würde er es mir zeigen. Der Greis lächelte mir zu. Es war wie eine Einladung, und ich nahm sie an. Das Boot gefiel mir: Es war weiß und neu. Es hatte nur einen Mast, doch einen japanischen Motor. Ein Angstgespinst von mir ist die Seekrankheit, das andere eine tagelange Flaute mitten auf der See, 3000 Meter Senkrechte unterm Kiel. Ich kannte die letzte Pannenstatistik für fernöstliche Autos, sie klang beruhigend.

Außerdem, so sagte der Greis, würde das Boot noch heute fahren. Ich nahm eine weitere Pille. Man muss so was lange vorher schlucken, sonst wirkt es nicht. Am Mast flatterte kein Totenkopf, sondern eine Parade trocknender Hosen.

Der Schreckensruf der Bugischoner ist verklungen, „Lastesel der See“ sind sie nurmehr, und sie transportieren alles: Getreide, Mehl, Tiere, Möbel. Ganze Kücheneinrichtungen türmen sich über Deck, die Matrosen grüßen von übereinander gestapelten Sofatürmen. Auf den Piers brüllen Ochsen, die Stauer treiben sie fluchend über schmale Stege an Bord.

Auch sonst ist Pautere, der Segelhafen, wie alle Marktplätze. Obststände reihen sich an Kioske reihen sich an kleine Restaurants an Grills. An den Kais liegen ausschließlich Segelboote, ständig fahren Lastkraftwagen vor, dann drücken verstaubte Stauer ihre Nelkenzigaretten aus und laufen ihnen entgegen. Kein einziger Kran steht in diesem Hafen, dem wichtigsten maritimen Umschlagplatz der östlichen Inseln Indonesiens.

Dafür ist er übervölkert von Kindern. Wenn sie nicht mit Mopeds durch das Gelände rasen, spielen sie gegen die Besatzungen Fußball. Die Mannschaft, die am meisten tropft, liegt im Rückstand – sie muss die Bälle aus dem Wasser fischen (daher also der Ausdruck „einen Gegner nass machen“). Schiffe legen an, wo immer ihnen eine Rotznase für ein paar Rupiahs einen Platz zuweist. Autos hupen sich durch das Chaos der Buden, den Wirrwarr der Spieler, gestoppt nur vom Hafenbecken oder schlafenden Stauern, die auf den Wegen liegen. Es gibt keine Regeln hier, außer jenen beim Fußball.


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mare No. 47

No. 47Dezember 2004 / Januar 2005

Von Maik Brandenburg

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, studierte Journalistik und arbeitet als freier Autor, u.a. für mare, Geo, Merian. Leidenschaftlicher Vater und Reportage-Fan. Er lebt mit seiner Familie auf der Insel Rügen.

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