Eiskalter Krieg

In schwierigen Zeiten verlangt es nach kreativen und ungewöhnlichen Lösungen. Der Brite Geoffrey Pyke ersann mitten im Zweiten Weltkrieg einen Flugzeugträger, der aus Eis bestand, unsink­bar und gewaltig groß. Premier Churchill war begeistert

Nordatlantik, Sommer 1942. Ein Konvoi aus amerikanischen Frachtern und Tankern hält Kurs auf England. An Bord befinden sich Munition, Ersatzteile, Maschinen, Treibstoff und Getreide, Nachschub, den die Briten dringend benötigen. Zu dem Geleitzug gehören auch einige Korvetten und zwei Zerstörer. Auf einmal erhellen schwere Explosionen den frühmorgendlichen Himmel. Deutsche U-Boote! Sie greifen nach bewährter Rudeltaktik an: Ein U-Boot dient als Köder und lockt die Bewacher von den Frachtern weg. Die ersten Schiffe brennen und sinken schnell.

Als die US-Zerstörer reagieren, sind die U-Boote bereits wieder verschwunden. Flugzeuge brauchen die Deutschen in dieser Region des Nordatlantiks nicht zu fürchten, denn die Luftwaffenstützpunkte an den Küsten liegen weit entfernt. Nur wenige umgebaute Liberator-Bomber können die Konvoirouten erreichen. Und die Flugzeugträger der Alliierten haben andere Aufgaben zu erledigen.

Die Folgen sind verheerend. Im Lauf des Jahres 1942 werden 1155 Schiffe durch deutsche U-Boote versenkt. Im Gegenzug gelingt es den Alliierten lediglich, 87 U-Boote auszuschalten. Zu wenig, wenn man bedenkt, dass die deutschen Werften im selben Zeitraum 212 U-Boote vom Stapel lassen. Im britischen Verteidigungsministerium wird nachgerechnet: Steigen die Verluste an Nachschub aus den USA von aktuell 650 000 Tonnen im Monat auf 800 000 Tonnen an, droht der Zusammenbruch der Kriegswirtschaft. Das deutsche Konzept des „Tonnagekriegs“ könnte somit tatsächlich aufgehen.

Die Lücke, die in der Luftüberwachung klafft, „mid-Atlantic air gap“ genannt, sowie die prekäre Nachschubsituation werden von der militärischen Führung permanent diskutiert. Sie kommen auch dem britischen Journalisten und Erfinder Geoffrey Pyke zu Ohren, einem Allrounder, der schon viele Berufe ausgeübt hat und auch schon in Deutschland als Spion aktiv war. Erst kürzlich hat er für den Einsatz in Schnee und Eis ein neuartiges Kettenfahrzeug entwickelt.

Pyke, bekannt für seine ausgefallenen Ideen, arbeitet für das Combined Operations Headquarters (COHQ), das für die Planung und Durchführung von Landungsoperationen zuständig ist. Es untersteht Lord Louis Mountbatten, einem Mitglied der königlichen Familie und der Admiralität der Royal Navy. Auch einer von Pykes besten Freunden, der britische Physiker John Desmond Bernal, ist beim COHQ tätig. Mountbatten wiederum bewundert beide, vor allem jedoch Pyke, weil der Lord selbst als Gelegenheitserfinder in Erscheinung tritt.

Als sich Pyke in den USA um den Bau und die Erprobung seines Kettenfahrzeugs kümmert, kommt ihm eine spontane Idee. Der rasche Bau von Flugzeugen und Schiffen ist vor allem ein Materialproblem. Stahl und Aluminium sind teuer, und die amerikanische Rüstungsindustrie läuft noch nicht auf Hochtouren. Eis hingegen ist fast umsonst, steht in unbegrenzter Menge zur Verfügung und ist leicht zu bearbeiten. Warum also nicht einen Geleitflugzeugträger aus Eis bauen? Einen sehr großen, der allein aufgrund seiner Dimension jedem denkbaren Angriff widersteht? Umgehend macht sich Pyke an die ersten Pläne.

Ob der passionierte Erfinder diese verblüffende Idee tatsächlich selbst entwickelt hat, bleibt offen. Ihm könnte nämlich auch die Ausgabe des populärwissenschaftlichen Magazins „Modern Mechanix“ vom Oktober 1932 in die Hände gefallen sein. Dort wäre er auf einen Artikel über Gerke von Waldenburg und dessen Versuche auf dem Zürichsee gestoßen.

Dem deutschen Physiker war es 1930 gelungen, mithilfe von Kühlmaschinen und Wasserpumpen einen künstlichen Eisberg zu erschaffen. Ziel des Forschers sei es gewesen, erklärt der Autor des Artikels, Eis als Baumaterial für eine „mid-Atlantic way station of ice“ zu testen, eine künstliche, schwimmende Insel mit Hafen und Flugplatz, die eine Zwischenlandung bei Atlantiküberquerungen ermöglichen soll.

Dass Flugzeuge auf Eis landen können, hatte kurz zuvor der schwedische Pilot Einar Lundborg bewiesen. Nach der Havarie des Luftschiffs „Italia“ war es ihm am 23. Juni 1928 gelungen, auf dem Packeis östlich von Spitzbergen zu landen, den verletzten General Umberto Nobile an Bord zu nehmen und wieder zu starten. Die Nachricht war eine Weltsensation.

Auch Pykes Idee soll eine Sensation werden. Auf 230 Seiten skizziert er das größte Schiff der Welt und lässt sie via Diplomatenpost seinem Dienstherrn zukommen. Pyke setzt zunächst nicht auf Kunsteis, sondern will einen Eisberg in arktischen Gewässern vor Grönland requirieren und von Schleppern auf eine geeignete Position ziehen lassen.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 92. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 92

No. 92Juni / Juli 2012

Von Bernd Flessner

Als Bernd Flessner, Jahrgang 1957, freier Autor im mittelfränkischen Uehlfeld, in einer Ausgabe des US-Technikmagazins Modern Mechanix von 1932 stöberte, entdeckte er einen Artikel über Schiffe aus Eis. Er blieb der kuriosen Idee auf der Spur, die ihn schließlich zum Flugzeugträger „Habbakuk“ führte.

Mehr Informationen
Vita Als Bernd Flessner, Jahrgang 1957, freier Autor im mittelfränkischen Uehlfeld, in einer Ausgabe des US-Technikmagazins Modern Mechanix von 1932 stöberte, entdeckte er einen Artikel über Schiffe aus Eis. Er blieb der kuriosen Idee auf der Spur, die ihn schließlich zum Flugzeugträger „Habbakuk“ führte.
Person Von Bernd Flessner
Vita Als Bernd Flessner, Jahrgang 1957, freier Autor im mittelfränkischen Uehlfeld, in einer Ausgabe des US-Technikmagazins Modern Mechanix von 1932 stöberte, entdeckte er einen Artikel über Schiffe aus Eis. Er blieb der kuriosen Idee auf der Spur, die ihn schließlich zum Flugzeugträger „Habbakuk“ führte.
Person Von Bernd Flessner
Suchmaschine unterstützt von ElasticSuite