Eine stürmische Liebe

Das „Wickaninnish Inn“ an der Westküste Kanadas lockt seine Gäste nicht mit Schönwetter, sondern einem elementaren Erlebnis: der Konfrontation mit dem wütenden Ozean

Auf der Fahrt zum „Wickaninnish Inn“ zeigt sich der Pazifik ein einziges Mal, danach ist er nur noch durch die riesigen Bäume entlang dem Strand zu hören. Kurz vor Tofino windet sich die Straße in den Dschungel, vorbei an Fichten, Farn und Tannen, und endet vor einer hoch überdachten Auffahrt. Vogelgezwitscher begleitet die Abenddämmerung, der Duft des Regenwalds vermischt sich mit der Seeluft, das Wellenrauschen ist jetzt ganz nah. Ein Säulengang aus Zedernholz führt den Gast zu einer großen Flügeltür, in die zwei Adler geschnitzt sind. Und erst in der Eingangshalle öffnet sich durch ein großes Panoramafenster wieder der Blick auf den Ozean.

Anfang der fünfziger Jahre kommt Howard McDiarmid nach Tofino, um hier im Hospital seine Arbeit als Arzt aufzunehmen. Niemand zog damals freiwillig an diese Küste. In dem kleinen Dorf lebten ein paar hundert Leute, die meisten von ihnen Fischer. McDiarmid hatte sich vom Bürgermeister überzeugen lassen, der dringend medizinische Unterstützung für seine Gemeinde suchte.

Er baute ein kleines Sommerhaus an der Küste und kam bald auf die Idee, dass die nahen Felsen des Chesterman Beach der perfekte Ort für ein Hotel sein könnten. Warum dort und nicht ein paar Kilometer weiter, an der Innenseite des Clayoquot Sound, abgewandt von der ewigen Brandung des Ozeans? Vielleicht war es der Gegensatz: vor den Augen der end-lose Pazifik, voll satten Lebens, und im Rücken das schützende Grün des kraftvoll gewachsenen Regenwalds. Stück für Stück kaufte Howard diesen Teil des Strandes und auch den Namen eines bekannten Hotels, das es vorher schon an anderer Stelle gegeben hatte und bei der Errichtung des Nationalparks weichen musste.

Es ist eine schroffe Küste, die Regenwahrscheinlichkeit eine der höchsten in Britisch-Kolumbien. Im Hafen von Tofino endet der Transcanadian Highway; weiter westlich führt hier keine Straße. Es ist nicht der Ort, an dem man ein Luxushotel erwartet. Howard ist unentschlossen, und erst nach langem Zögern lässt er sich von seiner Familie überzeugen, den Bau des „Wickaninnish Inn“ zu wagen.

Vor zehn Jahren hat Sohn Charles den Traum seines Vaters vollendet – und auch seinen eigenen: ein Hotel so zu gestalten, als seien Regenwald, Strand, Ozean und Geschichte dieser Küste Vorlage gewesen. Das Holz für die Ausstattung der Häuser und die Möbel, die Steine, die Bücher stützen, eine verwitterte Baumwurzel, die eine gläserne Tischplatte trägt – alles kommt aus der Umgebung.

Im „Pointe Restaurant“ mischen sich Wellenrauschen und Gespräche. Selbst im „Ancient Cedar Spa“ ist der Ozean präsent, wenn er die Gischt auf die Terrasse hinter den Felsen wirft. Das Hotel hat die Natur nach innen geholt. Und es steht an einem Strand, an dem es in den stürmischen Monaten des Jahres am schönsten ist.

„Die Menschen sind fasziniert von Extremen“, sagt Charles. Nichts soll von dieser Faszination ablenken. In jedem Zimmer gibt ein Panoramafenster den Blick auf den Pazifik frei. Man sinkt in einen der tiefen Sessel, das Kaminfeuer brennt, und dicht vor einem tobt das Meer. So, als habe man das Draußen gar nicht verlassen, sondern nur gegen eine komfortablere, wärmere Variante eingetauscht. Ganz gleich, wo man sich gerade befindet, ob in der Bibliothek oder in der Lounge, das Gefühl, hier richtig zu sein, begleitet den Gast auf jedem Schritt.

Wen es an den Strand oder in den Regenwald zieht, findet Regenjacke und -hose im Schrank. Gummistiefel gibt es auch. Für diejenigen, die selbst in der Nacht hinaus ans Wasser wollen, steht eine Taschenlampe neben der Eingangstür bereit.

Bei Flut drängt der Ozean dicht an das Hotel heran, bei Ebbe ist der Strand breit, und weit draußen donnern die Wellen auf das Land. Manchmal schleichen sich ihre Ausläufer so überraschend schnell und kraftvoll heran, dass ein Ausweichen kaum noch möglich ist. Sneaky waves sagen die Leute hier dazu, diese verstohlenen Wellen, die unversehens nach den Füßen der Wanderer greifen. Ob das Wetter gut ist oder schlecht, spielt keine Rolle. Die Sinne machen eine Erfrischungskur.


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mare No. 60

No. 60Februar / März 2007

Von Wiebke Böse und Ingo Glaesmer

Wiebke Böse, Jahrgang 1970, mare-Online-Redakteurin, und Fotograf Ingo Glaesmer, geboren 1966, leben in Hamburg. Für beide war es die erste Reise nach Vancouver Island – und sicher nicht die letzte: Zur nächsten Sturmsaison kommen sie wieder.

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Vita Wiebke Böse, Jahrgang 1970, mare-Online-Redakteurin, und Fotograf Ingo Glaesmer, geboren 1966, leben in Hamburg. Für beide war es die erste Reise nach Vancouver Island – und sicher nicht die letzte: Zur nächsten Sturmsaison kommen sie wieder.
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Vita Wiebke Böse, Jahrgang 1970, mare-Online-Redakteurin, und Fotograf Ingo Glaesmer, geboren 1966, leben in Hamburg. Für beide war es die erste Reise nach Vancouver Island – und sicher nicht die letzte: Zur nächsten Sturmsaison kommen sie wieder.
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