Eine Frau, ein Lied und ein paar Träumer

1970 sucht Folk-Star Joni Mitchell Trost für ihren Liebeskummer in Matala, Treffpunkt von „Blumenkindern“ aus aller Welt. Sie verliebt sich neu, stellt aber ernüchtert fest, dass ihr dieses Leben nicht liegt. Heraus kommt einer ihrer schönsten Songs

Sie sei die „bedeutendste und wandlungsfähigste Singer-Songwriterin des 20. Jahrhunderts“, urteilte das Magazin „Rolling Stone“ schwärmerisch über die heute 79-jährige Joni Mitchell. Die schlanke Frau mit den langen Haaren und der Gitarre, die auch Komponistin, Poetin und Malerin ist, steht als Ikone für eine ganze Generation. Ihre Musik ist von vielen Stilen beeinflusst: Pop, Rock, Klassik und Jazz, sie hat mit so gut wie allen Größen zusammengearbeitet und mehr als 20 Alben herausgebracht. Über sich selbst schrieb sie: „Ich bin eine Malerin, die Lieder schreibt. Meine Songs sind sehr visuell. Die Wörter erschaffen Szenen – in Cafés und Bars, in düsteren kleinen Zimmern, an vom Mond beschienenen Ufern, in Küchen, Krankenhäusern und Rummelplätzen.“ 

In Cafés und Bars und an vom Mond beschienenen Ufern – vielleicht hat sie dabei an Matala gedacht. Ich bin Joni Mitchell nie persönlich begegnet, aber für uns beide wurde dieser kleine Ort an der wilden Südküste Kretas mit seinen Höhlen, in denen einst Aussteiger wohnten, zu einer einschneidenden Erfahrung. Als junger Student kam ich im April 1967 mit einem Rucksack voller Träume auf dem Rücken und getrieben von Abenteuerlust und Neugier in jenem Hippie-Mekka an und wohnte einige Wochen in den Höhlen. Danach kehrte ich brav in die Bürgerlichkeit, das heißt, zu meinem Studium zurück.

Die damals 26-jährige Joni Mitchell hat im Frühjahr 1970 zwei Monate in Matala verbracht und in einer der Höhlen auf Kreta einen ihrer schönsten Songs geschrieben, „Carey“. Sie war mit ihrer Freundin Penelope nach Matala gekommen. Die beiden bezogen eine kleine Hütte in einem nahe gelegenen Mohnfeld,  aber dort sollten sie nicht lange wohnen. Denn Jonis Aufenthalt nahm durch ein erschreckendes Ereignis eine unerwartete Wendung. Als sie auf dem Weg zum Strand war, ertönte direkt hinter ihr ein ohrenbetäubender Knall, und aus der offenen Tür der Taverne „Delphini“ flog in hohem Bogen ein Mann. Durch seinen unvorsichtigen Umgang mit einem Feuerzeug war eine Gas­flasche explodiert, dem Mann war aber außer ein paar versengten Haaren nichts passiert. Sein Name war Cary Raditz, ein Amerikaner, der in der Taverne als Koch arbeitete. Joni Mitchell würde später schwärmen: „Was für ein Auftritt! Diesen Typ musste ich kennenlernen.“ 

Sie beschrieb ihn als „großartigen Charakter“, der nicht nur „flammend rote Haare“ hatte, sondern auch eine „flammend rote Persönlichkeit“. Er trug immer weiße Kleidung, auf dem Kopf einen indischen Turban und stützte sich stets auf einen kretischen Hirtenstock. Cary hielt sich für einen Gourmetkoch und hatte oft Appetit auf „flammend roten Wein“. Er konnte sehr herrisch und autoritär auftreten, ein Macho, wie er im Buch steht. Doch Joni Mitchell verliebte sich bis über beide Ohren in ihn.

Am Abend nach der Explosion ging sie mit Penelope ins „Mermaid Cafe“, wo sich die Hippie-Szene von Matala traf. Cary ermunterte sie, ein paar Raki zu trinken, die ihr überhaupt nicht bekamen. Irgendwann muss ihr der Faden gerissen sein, sie verlor vollständig den Überblick. Am nächsten Morgen wachte sie in Carys Höhle auf und hatte keinerlei Ahnung, wie sie den steilen Aufstieg in die Felsgrotte geschafft hatte. Als sie in ihre Hütte zurückkam, war Penelope nicht mehr da. Die Freundin hatte sich in derselben Nacht in einen Griechen verliebt und mit ihm das Weite gesucht. Joni Mitchell zog konsequenterweise in die Höhle zu Cary, der ihr Liebhaber und Beschützer wurde. 

Joni Mitchell hat den Alltag der Hippie-Enklave in Matala später als sehr einfach und prosaisch geschildert: mit Höhlennachbarn aus aller Welt in der Sonne liegen und im Meer baden, spazieren gehen, einkaufen, kochen, Wäsche waschen und abends im „Mermaid“ bei Wein und Raki zusammensitzen. Doch Joni Mitchell hatte 1970 bereits drei Alben veröffentlicht und einen Grammy gewonnen, sie war nicht mehr auf der Suche nach einer erfüllenden Aufgabe und hatte wohl auch keinerlei Interesse an ausuferndem Müßiggang: In ihrem Reisegepäck befand sich eine Dulcimer (eine Gitarre empfand sie für unterwegs als zu groß und klobig). In Carys Höhle komponierte sie darauf das berühmte Lied, das nur fast seinen Namen trägt, weil sie jenem in künstlerischer Freiheit ein E hinzufügte. 

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 153. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 153

mare No. 153August / September 2022

Von Arn Strohmeyer

Autor Arn Strohmeyer, geboren 1942 in Berlin, hat sich in seinen Büchern und Veröffentlichungen oft mit Griechenland beschäftigt, das ihm durch seine vielen Reisen dorthin zur zweiten Heimat geworden ist. Heute lebt und arbeitet er als Schriftsteller in Bremen.

Mehr Informationen
Vita Autor Arn Strohmeyer, geboren 1942 in Berlin, hat sich in seinen Büchern und Veröffentlichungen oft mit Griechenland beschäftigt, das ihm durch seine vielen Reisen dorthin zur zweiten Heimat geworden ist. Heute lebt und arbeitet er als Schriftsteller in Bremen.
Person Von Arn Strohmeyer
Vita Autor Arn Strohmeyer, geboren 1942 in Berlin, hat sich in seinen Büchern und Veröffentlichungen oft mit Griechenland beschäftigt, das ihm durch seine vielen Reisen dorthin zur zweiten Heimat geworden ist. Heute lebt und arbeitet er als Schriftsteller in Bremen.
Person Von Arn Strohmeyer