Eine Frage der Freiheit

Ein sizilianischer Fischer weigert sich, der Mafia Schutzgeld zu zahlen und wird damit zum Begründer des zivilen Widerstands

Rosario Damiano kennt den Preis der Freiheit. Sie kostet: das Meer. Eine Pistole unter dem Fenster, ein Jagdgewehr neben der Tür. Sie kostet: einen Hund. Sie kostet: Mut und Angst. Elf Jahre und mehr.

Rosario Damiano hat sich geweigert, Schutzgeld zu zahlen. Er hat sie weggeschickt, die Männer, die eines Tages auftauchten. Plötzlich. So, wie eines Tages eine riesige Schildkröte aufgetaucht ist, in einer kleinen Bucht bei Capo d’Orlando, im Norden von Sizilien, wo er lebt.

Es war kurz vor 20 Uhr an einem Abend im Juli. Rosario Damiano, den hier alle Sarino nennen, stand in der Küche des Hotels „La Tartaruga“, „die Schildkröte“, das er von seinen Eltern geerbt hatte. Ein weißer Bau mit gelben Fensterläden, verziert mit Schildkröten aus Schmiedeeisen. Vor der Tür Fahnenmasten mit Flaggen aus aller Welt, links daneben ein Pool, einmal über die Küstenstraße: das Meer. Auf der Website des Hotels hört man es rauschen.

Sarino, Koch wie sein Vater, bereitete an jenem Abend gerade die Pasta vor. Es war mitten in der Saison. Jeden Moment konnte der Ansturm zum Abendessen kommen. Stattdessen kam der Rezeptionist in die Küche: Da seien zwei Männer in der Lobby, die wollten ihn sprechen. Sie waren um die 40, trugen Jeans und T-Shirts und wollten Platz nehmen. An einem Tisch in einer stillen Ecke. Einer setzte sich rechts von Sarino, der andere links.

„Wir sind die vom Schutzgeld“, sagte der eine ohne Umschweife. „Hast du verstanden?“ Sarino hatte ihn schon einmal gesehen. In der Diskothek, die zum Hotel gehört. „Weil du es bist, weil wir dich kennen“, fuhr der Mann fort, „reichen uns zehn Millionen.“ Zehn Millionen Lire, rund 5000 Euro. Sarino dachte daran, wie seine Familie das Hotel aufgebaut hatte.

„Das Geld kann ich euch nicht geben“, sagte er. „Ihr seht, wir bauen gerade das Hotel aus. Alles, was ich habe, sind Schulden bei der Bank.“ „Nimm einen Kredit“, sagte der Mann – es sprach immer nur einer. „Mit dem Hotel als Pfand wird die Bank ihn dir gewähren.“ Es war jetzt kurz nach acht, die ersten Gäste erschienen. Die beiden Männer brachen auf. „Die Saison über lassen wir dich in Ruhe“, sagte der andere. „Danach kommen wir wieder.“

Sarino raucht. „Craxì, Armando“, sagt er, „hieß der eine, der, der sprach. Er kam aus Tortorici“, sizilianisch ausgesprochen: Tortoriisch, einem Ort in den Bergen, eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt. „Dort gab es zwei Clans. Den von Bontempo Scavo, Cesare, und den von Galati Giordano, Orlando.“ Sarino erzählt nüchtern, ruhig, reiht die Fakten aneinander, nennt die Nachnamen zuerst. Es klingt ein wenig, als mache er eine Aussage vor Gericht. Noch heute. Das Ganze ist fast 20 Jahre her.

Nur auf Nachfrage erzählt er, wie er – damals 37 Jahre alt, zwei Söhne, vier und fünf – sich gefühlt hat. Dass er keinen Kopf mehr hatte vor Angst. Dass er nicht wusste: Soll ich es meinen Eltern erzählen? Meiner Schwester? Meiner Frau? Er wollte nicht, dass sie sich Sorgen machen.

Das Hotel war ihr Leben. Der Stolz der Damianos. Sie waren Fischer gewesen, wie alle in der Bucht. Schon Sarinos Urgroßmutter, Genoveffa, fing Tintenfische, um ihre Kinder durchzubringen. Sie fuhr nachts hinaus und sang dabei, um nicht einzuschlafen. „Sie war eine sehr gute Fischerin“, sagt Sarino. Wenn sie vom Meer zurückkam, brachte sie oft Seeigel mit, öffnete sie am Strand, gab allen etwas ab und erzählte Geschichten. Die Leute scharten sich um sie und nannten sie aus Respekt Donna Genoveffa. „Sie war eine grande figura“, sagt Sarino. Ein toller Mensch. Gut, aber streng, mamma mia. Wenn die Fischer in der Bucht sich nicht benahmen, dann scheuerte sie ihnen auch mal eine.

Viele Jahre später, es war in den 1950ern und Donna Genoveffa schon alt, machten die Damianos eine Strandbar auf. Es gab kalte Getränke und Kleinigkeiten zu essen. Die Fischer kamen und spielten Karten. Aus der Bar wurde eine Trattoria. Sie hatte noch keinen Namen. Bis das Meer eines Tages eine riesige Schildkröte ausspuckte. Alle liefen zum Strand und bewunderten sie. „Tartaruga“, sagte Donna Genoveffa. „Unsere Trattoria soll ‚La Tartaruga‘ heißen.“ Später planierten die Damianos ein Stück des Zitronenwalds am Berghang, bauten eine Tanzfläche und hängten Lichter auf, das war 1959. Sie hatten jetzt einen Nachtclub. Adriano Celentano trat hier auf und auch die Kessler-Zwillinge. 1961 starb Donna Genoveffa, mit weit über 80. Zwölf Jahre später eröffneten die Damianos das Hotel.

Wenn Sarino von seiner Familie erzählt, lächelt er, dann ist sein Blick mild, das Gesicht weich, dann erzählt er Anekdoten und macht kleine Späße. Erzählt er vom Unglück, das eines Tages über sie kam, ist er kurz angebunden. Er erzählt es, weil er es für richtig hält. Und um anderen Mut zu machen. Ist er damit fertig, möchte er, dass man sieht, wie schön es hier ist, in der Bucht von San Gregorio. Dann zeigt er auf die Zitronenbäume. Das Meer, das so klar ist, dass man ihm bis auf den Grund schauen kann. Oder die Felsen, die aus dem Wasser ragen und alle Namen tragen, die Fischer ihnen gegeben haben.

Noch in jener Nacht, im Juli 1990, als die Mafia zum ersten Mal kam, erzählte Sarino seiner Frau, was passiert war, kurz darauf seiner Schwester, mit der er gemeinsam das Hotel führte. „Ich zahle nicht“, sagte er. „Und wenn sie mich umbringen.“


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mare No. 78

No. 78Februar / März 2010

Von Andrea Walter und Francesco Zizola

Andrea Walter, Jahrgang 1976, freie Journalistin in Berlin, war tief beeindruckt von den Menschen, die sie in Capo d’Orlando traf, von ihrem Mut wie von ihrer Wärme. Und nicht zuletzt von der Pasta mit Muränenfleisch, das so zart war, dass es im Mund zerfiel.

Francesco Zizola, 1962 geboren, ist Italiener und lebt als Reportagefotograf in Rom. Der Mitbegründer der Agentur Noor hat zahlreiche internationale Preise errungen, darunter „World Press Photo“ 1996. Die Bürgerinitiative Addiopizzo (Tschüs Schutzgeld) gibt einen Palermo-Plan heraus, der alle Mafia-freien Unternehmen der Stadt verzeichnet; Schirmherrin des Projekts ist die Deutsche Botschaft in Rom. Erhältlich ist die Karte in Hotels und über www.addiopizzo.org.

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Vita Andrea Walter, Jahrgang 1976, freie Journalistin in Berlin, war tief beeindruckt von den Menschen, die sie in Capo d’Orlando traf, von ihrem Mut wie von ihrer Wärme. Und nicht zuletzt von der Pasta mit Muränenfleisch, das so zart war, dass es im Mund zerfiel.

Francesco Zizola, 1962 geboren, ist Italiener und lebt als Reportagefotograf in Rom. Der Mitbegründer der Agentur Noor hat zahlreiche internationale Preise errungen, darunter „World Press Photo“ 1996. Die Bürgerinitiative Addiopizzo (Tschüs Schutzgeld) gibt einen Palermo-Plan heraus, der alle Mafia-freien Unternehmen der Stadt verzeichnet; Schirmherrin des Projekts ist die Deutsche Botschaft in Rom. Erhältlich ist die Karte in Hotels und über www.addiopizzo.org.
Person Von Andrea Walter und Francesco Zizola
Vita Andrea Walter, Jahrgang 1976, freie Journalistin in Berlin, war tief beeindruckt von den Menschen, die sie in Capo d’Orlando traf, von ihrem Mut wie von ihrer Wärme. Und nicht zuletzt von der Pasta mit Muränenfleisch, das so zart war, dass es im Mund zerfiel.

Francesco Zizola, 1962 geboren, ist Italiener und lebt als Reportagefotograf in Rom. Der Mitbegründer der Agentur Noor hat zahlreiche internationale Preise errungen, darunter „World Press Photo“ 1996. Die Bürgerinitiative Addiopizzo (Tschüs Schutzgeld) gibt einen Palermo-Plan heraus, der alle Mafia-freien Unternehmen der Stadt verzeichnet; Schirmherrin des Projekts ist die Deutsche Botschaft in Rom. Erhältlich ist die Karte in Hotels und über www.addiopizzo.org.
Person Von Andrea Walter und Francesco Zizola