Eine Chance für „Chan Sze“

Die Ära der Garküchen in Hongkong ist noch nicht zu Ende

Das kann dabei schon mal passieren“, sagt Elaine Chan schulterzuckend und zeigt ihre alten und neuen Verbrennungen am Arm. Zur Lunchzeit geht es heiß her in dem kleinen Freiluftrestaurant mitten in Hongkong. Zwischen den kleinen Klapptischen und Hockern dreht Elaine zusammen mit fünf Angestellten ihre Runden, nimmt Bestellungen auf, Seafood Wonton oder Fisch des Tages etwa. Anschließend eilt sie zurück an ihre beiden Herdplatten und kocht das Gericht in weniger als zehn Minuten. Da kann schon mal etwas anbrennen.

Wenn Not am Mann ist, fegt sie den Boden oder wäscht ab. „Das ist meine Art, Chefin zu sein“, grinst sie. Sie mag das Leben auf der Straße, in einer der besten Lagen, wenige Meter von den Banktürmen und Supermalls der Hafenstadt entfernt. Immer an der Seite ihres Willy, mit dem sie seit 33 Jahren verheiratet ist.

Noch im größten Trubel bleibt sie freundlich und fragt die Gäste, woher sie kommen und was sie machen. So werden daraus Freunde und treue Stammkunden: Studenten, Bauarbeiter, Banker, auch viele „Gweilos“ (Ausländer auf Kantonesisch). Früher, als sie noch unter ihrem Schwiegervater Chan Sze Kee schuften musste, der das Geschäft in den 1960er Jahren gegründet hatte und dessen Namen es bis heute trägt, hatte das Lokal weniger Charme, findet Elaine. Fast aggressiv schrie man den Köchen damals die Bestellungen zu. Dafür kamen aber deutlich mehr Gäste. In den sechziger Jahren gab es in dieser Gegend nämlich kaum Restaurants.

Dai Pai Dong heißt übersetzt „große Lizenz“. Unlizenzierte Garküchen gab es hier bereits im 19. Jahrhundert, wie fast überall in Asien. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg erteilte die Kolonialregierung in Hongkong offizielle Lizenzen, vor al- lem Witwen von Staatsbediensteten oder Kriegsversehrten, um diesen ein Auskommen zu bescheren. Heute würde die Stadtregierung den Garküchen gern sofort den Garaus machen. Sie kann sich einfach nicht vorstellen, dass auf so wenig Platz wirklich sauber und gesund gekocht wird. Außerdem passen die einfachen Lokale schlecht mit dem Selbstbild der Stadt zusammen, die sich stolz „Asia’s World City“ nennt. Auch Elaine und Willy mussten letztes Jahr auf Geheiß der Behörden eine Zeitlang schließen, um die Küche von Kerosin auf nasenfreundlicheres Gas um- zustellen. „Die Hongkonger Regierung hat ja vor allem Angst“, lacht Elaine. Sie weiß, dass das Volk fest hinter ihrem Lokal steht. Mit 73 Gerichten auf der Karte haben sie das umfangreichste Angebot aller Dai Pai Dongs.

Bislang machten die Hongkonger so- wieso immer, wenn eine beliebte Garküche geschlossen werden sollte, einen riesi- gen Aufstand. Beim letzten Mal unterzeichneten 2660 Taxifahrer eine Petition, wonach ein Dai Pai Dong dringend weiter bestehen müsse. Als Kompromiss hat die Regierung verfügt, dass die existierenden Garküchen nur noch an den Ehepartner oder die eigenen Kinder weitervererbt werden dürfen. Neue Lizenzen gibt es seit den 1970er Jahren nicht mehr. So werden die letzten 28 Dai Pai Dongs in 20 bis 30 Jahren ausgestorben sein.

„Leider, leider“, nicken Elaine und Willy zugleich, beide inzwischen 60 Jahre alt. Andererseits sind sie nicht eben erpicht darauf, dass eines ihrer beiden Kinder den Laden übernimmt – zu viel Arbeit. Willy in seinem Feinrippshirt, dem einzig passenden Kleidungsstück am heißen Herd im ohnehin heißen Hongkong, hat kaum einmal Zeit, von seiner Kochplatte wegzukommen. Und wenn, dann nur, um Fisch auf dem Graham Street Market einzukaufen, dem Freiluftmarkt nebenan, der ebenso von der Schließung bedroht ist.

Zwölf Stunden nachdem sie den Laden aufgesperrt haben, beginnt um 22 Uhr für Elaine und Willy der Feierabend. Das geht so von Montag bis Samstag. So ist ihr Leben. Und sie sind schon ein wenig stolz darauf. Immerhin sehen sie sich als Hüter einer bedrohten Tradition. Aber der 29-jährige Sohn soll mal schön in seiner Bank bleiben und die Tochter bloß in ihrem Kosmetikstudio.

Rezept:
Ingwerfisch mit Sojabohnenpaste
Zutaten (für 4 Personen)
800 Gramm Petersfisch (wahlweise Heilbutt), 4 Esslöffel Pflanzenöl, 8 kleine Scheiben Ingwer, 4 Frühlingszwiebelchen (in kleine Stücke geschnitten), 0,6 Liter Hühnerbrühe, 4 Esslöffel süße Sojabohnenpaste, 300 Gramm Tofu (in Scheiben geschnitten), Salz, Pfeffer.
Zubereitung
Das Öl in einer Kasserolle auf mittlerer Stufe heiß werden lassen, danach Ingwer und 2 Frühlingszwiebeln darin schwenken. Dann die Fischfilets hinzufügen und ständig mit dem Holzlöffel wenden, damit ihre Haut nicht anbrennt. Sobald das Fleisch weiß wird, den Fisch herausnehmen und den Tofu zwei Minuten in der Kasserolle schwenken. Danach den Fisch wieder hineingeben und mit Hühnerbrühe übergießen. Anschließend die Sojabohnenpaste dazugeben. Nun das Ganze gut salzen und pfeffern. Alles zusammen etwa zehn Minuten kochen. Auf dem Teller mit den restlichen Frühlingszwiebeln anrichten.

Dai Pai Dong „Chan Sze Kee“, 74 Stanley Street, Hong Kong Central.
Geöffnet Mo bis Sa von 10 bis 22 Uhr

mare No. 101

No. 101Dezember 2013 / Januar 2014

Sie sind Freiluftküchen und gehören zu Hongkong wie Smog und Wolkenkratzer: die Dai Pai Dongs. Doch die Brutzelbuden sind von der Schließung bedroht. Zwei Köche lassen sich das Gas nicht abstellen

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Person Sie sind Freiluftküchen und gehören zu Hongkong wie Smog und Wolkenkratzer: die Dai Pai Dongs. Doch die Brutzelbuden sind von der Schließung bedroht. Zwei Köche lassen sich das Gas nicht abstellen
Person Sie sind Freiluftküchen und gehören zu Hongkong wie Smog und Wolkenkratzer: die Dai Pai Dongs. Doch die Brutzelbuden sind von der Schließung bedroht. Zwei Köche lassen sich das Gas nicht abstellen