Johann Behrens bleibt nichts erspart. Wie Hamburger Zeitungen im Sommer 1811 berichten, wird der „Arbeitsmann, 50 Jahre alt, breite Stirn, gewöhnliche Nase, längliches Gesicht“ zu drakonischen Strafen verurteilt: Brandmarkung mit glühendem Eisen, einstündige Zurschaustellung am Pranger, zehn Jahre Zwangsarbeit. Behrens’ Vergehen ist, 351 Kilogramm Zucker und 168 Kilogramm Kaffee nach Hamburg, seit 1806 von den Franzosen besetzt, geschmuggelt zu haben. Das Urteil folgt einem kaiserlichen Erlass, mit dem Napoleon Bonaparte die ausufernde Schmuggeltätigkeit in seinem riesigen Reich, das samt Vasallenstaaten und zeitweiligen Verbündeten wie Russland und Dänemark fast ganz Kontinentaleuropa umfasst, eindämmen will.
Auslöser für den Schleichhandel ist die Kontinentalsperre, die Napoleon I. am 21. November 1806 in Berlin verkündet hat, um den britischen Erzfeind in die Knie zu zwingen. Seit die Royal Navy unter Admiral Nelson dem aigle impérial, dem kaiserlichen Wappenadler, bei der Seeschlacht von Trafalgar 1805 gehörig die Flügel gestutzt hat, ist der Korse zur Einsicht gekommen, dass seine eigene Flotte nicht stark genug ist, das Inselreich anzugreifen und zu unterwerfen. Was ihm nicht auf dem Meer gelingen kann, versucht der Kriegsherr durch Sanktionen zu erreichen. Handel und Industrie von England sollen geschwächt und die „Tyrannen der Meere“ ausgehungert werden. Und es soll eine Revanche sein für eine Seeblockade der französischen Küste, die die Engländer ihrerseits nach der Schlacht von Trafalgar verhängt hatten.
Das Berliner Dekret sieht vor, dass alle Häfen des europäischen Kontinents für britische Schiffe geschlossen bleiben. Die Einfuhr von Waren aus England ist strikt verboten. Darunter fallen wichtige Rohstoffe wie Eisen und Baumwolle, aber auch Alltagsgegenstände wie Tafelgeschirr, Kristallvasen, Uhrwerke, Knöpfe und Handschuhe. Die Blockade greift auch in umgekehrter Richtung. So wird etwa die Ausfuhr von Getreide aus französischen Herrschaftsgebieten nach den britischen Inseln untersagt. Die weiteren Passagen des Dekrets sind nicht weniger drastisch: „Alle Briefe und Pakete, die nach England oder an Engländer adressiert oder in englischer Sprache geschrieben sind, werden konfisziert.“ Und weiter: „Jeder englische Untertan, welchen Standes er auch sei, wird gefangen genommen, wenn er in Gebieten angetroffen wird, die von unseren Truppen oder denen unserer Verbündeten besetzt sind.“
England leidet anfangs beträchtlich unter dem Boykott. In den Hafendepots verfaulen für das Festland bestimmte Kolonialwaren. Der Export von Kohle und Eisen bricht ein. Besonders hart trifft es die Textilindustrie. Im Sommer 1808 gehen in Lancashire arbeitslose Weber auf die Barrikaden, und in Manchester treten Baumwollarbeiter in den Streik. Das britische Pfund verliert an Wert. Doch die englische Wirtschaft erschließt sich schnell neue Märkte, besonders in Süd- und Mittelamerika. Weizen bezieht man nun aus Osteuropa und Holz, dringend gebraucht für den Ausbau der Flotte, aus Kanada. England bleibt unangefochten Vorreiter der Industrialisierung. Dampfmaschinen, Webstühle und Gasbeleuchtung sichern den technischen Vorsprung.
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Bei der Recherche ist Rob Kieffer, Jahrgang 1957, Autor in Luxemburg, zu dem Schluss gekommen, dass das, was Napoleon nicht vermochte, nämlich die wirtschaftliche Isolierung Großbritanniens, die Briten nun selbst vollzogen haben – mit dem Brexit.
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Vita | Bei der Recherche ist Rob Kieffer, Jahrgang 1957, Autor in Luxemburg, zu dem Schluss gekommen, dass das, was Napoleon nicht vermochte, nämlich die wirtschaftliche Isolierung Großbritanniens, die Briten nun selbst vollzogen haben – mit dem Brexit. |
Person | Von Rob Kieffer |
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Vita | Bei der Recherche ist Rob Kieffer, Jahrgang 1957, Autor in Luxemburg, zu dem Schluss gekommen, dass das, was Napoleon nicht vermochte, nämlich die wirtschaftliche Isolierung Großbritanniens, die Briten nun selbst vollzogen haben – mit dem Brexit. |
Person | Von Rob Kieffer |