Ein schönes Stück Israel

Der Gordon Pool an der Strandpromenade Tel Avivs war 50 Jahre lang für viele Menschen der Lebensmittelpunkt. Dann wurde er geschlossen. Die Schwimmer protestierten. Es folgte ein Politikum, das viel über Israel erzählt.

Ein alter Mann in Badehose tappt im Winterwind Tel Avis barfuß über die Betonplatten vor dem Yachthafen zu einem Drahtkäfig. „Es ist nicht mehr wie früher“, sagt der Mann.

Hinter dem Zaun befindet sich, was von einem Mythos übrig blieb. Vom alten Gordon Pool an der Strandpromenade. Itamar ist fast blind, seine Augen sind trüb. „Kalt“, sagt Itamar und schüttelt sich, wenn er an den Tag vor 50 Jahren denkt, als er das erste Mal in den alten Gordon Pool sprang. Alle Schwimmer, ja ganz Tel Aviv, wie er glaubt, eint die Erinnerung an diesen ersten Sprung ins kalte Wasser.

Der alte Pool an der Strandpromenade war 50 Jahre lang der gesellschaftliche Mittelpunkt Tel Avivs, so erzählt es nicht nur der 84-jährige Itamar.

Wenn er nach Worten sucht, um die besondere Atmosphäre zu beschreiben, passt dem Israeli aus Litauen nur eine deutsche Wendung: „Es war so gemütlich“, sagt er. Die historischen Fotos von Rudi Weissenstein, mit denen Tel Aviv heute auf Postkarten wirbt, zeigen, was er meint: schöne Menschen, die sich auf einer Liegewiese aalen, Picknickkörbe leeren oder in zwei riesigen Becken planschen.

Den Yachthafen gab es damals noch nicht. Vom Schwimmbecken aus konnte man im Süden bis auf die weißen Türme des maurischen Hafens von Jaffa schauen, im Norden bis auf die 15 Kilometer entfernte Stadt Herzliya. Wo heute das „Hilton“ und andere Hoteltürme stehen, war damals Strand, darauf die letzten Baracken der armen Nachbarschaft Mahlul. Eine Lederwarenfabrik, eine Textilfabrik und eine dritte, in der unter Geheimhaltung Waffen hergestellt wurden. Dahinter lag ein alter muslimischer Friedhof.

„Jeder Jude, und ich bin einer davon, hat zwei Forderungen an Gott: einen Platz im Paradies im nächsten Leben und einen Platz am Strand von Tel Aviv in diesem“, schrieb der Journalist Shalom Asch 1937. Aber mit dem Ausbau der Infrastruktur Tel Avivs wurde das Abwasser zum Problem. In den frühen 1950ern galt der Küstenabschnitt als so verschmutzt, dass es verboten war, im Meer zu baden. Also baute man ein Stückchen Meer am Meer, ohne Quallen, Brandung und Sand, aber vor allem: hygienisch – ein Wort, für das gerade erst eine hebräische Neuschöpfung gefunden worden war: tavruah.

Architekt des Volksbads war der deutschstämmige Werner Joseph Wittkower; er entwarf im gleichen Jahr, 1954, die Universität, die Busstation – all die Institutionen, die aus der jungen Siedlerstadt eine Metropole machen sollten.

Man trotzte dem Ozean also ein Stückchen ab, zog eine Mauer ins Meer und befestigte die Wände des Pools. Drei Jahre kämpfte Bauingenieur Marl Stoller mit der Konstruktion. Den Pool mit Süßwasser zu füllen stand nicht zur Debatte. Es war die Zeit, als der Konflikt ums Wasser seine ersten Höhepunkte verzeichnete, die bald zu blutigen Kämpfen mit Syrien und später zum Sechstagekrieg führen sollten. Israel war es zudem gerade gelungen, eine neue Quelle anzuzapfen: die Grundwasserschicht, die unter dem Meer, tief im Boden, entlang der Küste von Caesarea bis nach Gaza zieht. Eine Mischung aus Regen- und Meerwasser, gefiltert durch Kalkstein und Sand, sprudelte nun jeden Morgen über drei Pumpen aus 150 Meter Tiefe ins Becken und floss abends über einen Auslauf in die See – Wasser, dessen Temperatur gleichbleibend 22 Grad beträgt, das im Winter nicht erst beheizt werden muss und im Sommer erfrischt.

Die Magie des Schwimmbads war sein besonderes Wasser, sagen die einen. Der Zauber des alten Gordon Pools waren seine Besucher aus allen Schichten, sagen die anderen: Der Satiriker Ephraim Kishon lernte hier seine erste Frau kennen. Ariel Sharon und Yitzhak Rabin zogen hier ihre Bahnen. Der Bildhauer Menashe Kadishman, dessen Skulpturen heute von Berlin bis Tokio verteilt sind, porträtierte nach dem Frühstück regelmäßig seinen besten Freund Moshe, den Anwalt, auf dem umgedrehten Pappteller.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 113. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 113

No. 113Dezember 2015 / Januar 2016

Von Agnes Fazekas

Agnes Fazekas, Jahrgang 1981, wohnt in Tel Aviv. Sie schreibt für verschiedene Gesellschaftsmagazine und die „Zeit“ und erzählt Nahostgeschichten am liebsten aus der Nussschale heraus beziehungsweise aus dem Swimmingpool.

Mehr Informationen
Vita Agnes Fazekas, Jahrgang 1981, wohnt in Tel Aviv. Sie schreibt für verschiedene Gesellschaftsmagazine und die „Zeit“ und erzählt Nahostgeschichten am liebsten aus der Nussschale heraus beziehungsweise aus dem Swimmingpool.
Person Von Agnes Fazekas
Vita Agnes Fazekas, Jahrgang 1981, wohnt in Tel Aviv. Sie schreibt für verschiedene Gesellschaftsmagazine und die „Zeit“ und erzählt Nahostgeschichten am liebsten aus der Nussschale heraus beziehungsweise aus dem Swimmingpool.
Person Von Agnes Fazekas