Ein Reisekaiser auf Nordlandfahrt

Um 1900 erleben Kreuzfahrten in Norwegen einen ungeahnten Boom. Vor allem Deutsche lieben das schroffe Idyll. Einer von ihnen­ ist Wilhelm II., der es als „Wiege der Germanen“ verehrt

Die Betten: kurz und schmal. Die Kleiderhaken: einfache Nägel, in die Wand gehämmert. Die Toilette: ein klaffendes Loch im Boden. Eine Reise nach Norwegen bietet den Betuchten Europas um 1900 wahrlich nicht das, was sie gewohnt sind. Der Geruch der Plumpsklosetts in norwegischen Landgasthöfen, beschwert sich ein belgischer Arzt im Jahr 1906, sei noch nicht einmal das Schlimmste. „Übler ist, dass der Wind vollkommen freies Spiel hat und den Körper von Kopf bis Fuß durchdringt.“

Wie viel angenehmer lässt man es sich da an Bord der Yacht „Hohenzollern“ gehen. Dort bewohnt der prominenteste Norwegenfan seiner Zeit gleich drei Salons, natürlich mit eigenem Badezimmer. Es ist der deutsche Kaiser, der es sich von 1889 bis zum Ersten Weltkrieg in keinem Jahr nehmen lässt, durch die Fjorde Norwegens zu schippern. Begleitet wird er dabei nicht nur von Militärs, Seeleuten, Regierungsmitarbeitern und Bediensteten, sondern stets auch von einer Gruppe Herren, die er scherzhaft seine „Badegäste“ nennt. Darunter sind befreundete Adelige, Wissenschaftler und Künstler. Damen sind an Bord der „Hohenzollern“ nur zu Besuch erwünscht, etwa wenn zu einem Tanz- abend geladen ist.

Kaiser Wilhelm II. ist zu dieser Zeit beim Volk längst unter dem Spitznamen „der Reisekaiser“ bekannt. Viele Monate im Jahr ist er außerhalb seines Reiches unterwegs. Neben Griechenland und dem Orient hat es ihm Norwegen mit seinen schroffen, überwältigenden Landschaften angetan. Schon heißt es in Deutschland, wer den Kaiser sehen wolle, müsse nach Norwegen reisen.

In diesem Land vereinen sich für den Monarchen gleich zwei Leidenschaften. Erstens liebt er alles Maritime; die beste Art, das vielerorts unzugängliche Norwegen zu bereisen, ist das Schiff. Zweitens schwärmt er für nordische Mythen; er geht dabei so weit, sich als legitimen Nachfahren der Wikinger darzustellen.

Er komme in sein „urangestammtes Land“, so formuliert er es einmal, denn der Norden sei die „Wiege der Germanen“. Sich selbst sieht er als Führer der germanischen Welt. Bei einer Tischrede in Christiania, dem späteren Oslo, sagt er im Juli 1890: „Es zieht mich mit magischen Fäden zu diesem Volke. Es ist das Volk, welches sich in stetem Kampfe mit den Elementen aus eigener Kraft durchgearbeitet hat, das Volk, welches in seinen Sagen und seiner Götterlehre stets die schönsten Tugenden, die Mannentreue und Königstreue, zum Ausdruck gebracht hat.“

Die Schwärmerei des Kaisers für nordische Mythen entspricht einer breiten Mode. Der Germanenkult und das damit verbundene völkisch-nationalistische Gedankengut finden Ende des 19. Jahrhunderts im Reich immer mehr Zuspruch. Vor allem Großkomponist Richard Wagner und seine Frau Cosima sind es, die den Mythos des Nordens fördern. Ihr Bayreuther Zirkel, in dem auch Wilhelm verkehrt, ist die Brutstätte eines nordisch-mystischen Rassismus und Antisemitismus.

Wilhelm ist fasziniert von der Idee der „Reinheit der arischen Rasse“, liest Bücher, die den Sozialdarwinismus propagieren, und hält Tiraden über das „Panjudentum“. Seine völkische Obsession will er in eine eigenständige Außenpolitik umsetzen. Ge- genüber dem schwedischen Königshaus spricht er von einem „Bund germanischer Völker“ als Bollwerk gegen die „slavisch-czechische Invasion“. Später, im Dritten Reich, avanciert Wilhelm zu einem publikumswirksamen Werbeträger. Die NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ etwa bewirbt ihre Norwegenkreuzfahrten mit dem Motto „Nun sind wir alle Kaiser“ – eine Anspielung auf dessen berühmte Norwegenreisen.

Die Liebe des Kaisers zum Norden hat Folgen: Im Deutschen Reich entstehen immer mehr Häuser im sogenannten norwegischen Drachenstil, auch der Kreuzfahrttourismus entdeckt Norwegen und bietet mehr und mehr Reisen in die Fjordlandschaften an. Das Nordlandfieber bricht aus.

Begeistert befeuert der Kaiser die Reiselust. Er lässt Zeitungsartikel verfassen, die von seinem Alltag an Bord der „Hohenzollern“ berichten, und beauftragt einen Mitreisenden, seine Beobachtungen aufzuschreiben und in einem Buch zu veröffentlichen, auf dass der deutsche Bildungsbürger recht viel über die Natur und die Menschen Norwegens lerne.

Heutige PR-Abteilungen hätten diese Inszenierung Norwegens wohl kaum besser planen können. Ebenso die Inszenierung Wilhelms selbst: der Kaiser bei Landgängen, mit seiner Herrenmannschaft posierend; der Kaiser an der Reling, staatsmännisch in die Ferne blickend; Majestät vor majestätischer Kulisse – so wird sein Bild im Kaiserreich verbreitet. Insgesamt verbringt Wilhelm nur drei Monate im Jahr überhaupt am Berliner Hof.


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mare No. 95

No. 95Dezember 2012 / Januar 2013

Von Marike Frick

Marike Frick, Jahrgang 1980, Autorin in Hamburg, kam schon früh in Berührung mit typischen Nordlandklischees. Sie hat Wikingerfans in ihrer Familie.

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