Ein Gruß für die ganz Großen

Jedes Schiff, das in den Hamburger Hafen einfährt, wird am Schulauer Fährhaus mit einem Ständchen begrüßt

Wenn er die Musik auch nur einen winzigen Moment zu früh abspielt, hat sein Publikum nichts davon. Dann ist sie weg, vom Winde verweht, und das wäre peinlich. Der Discjockey kann sich alles leisten, sogar Wagner. Aber seinen Einsatz sollte er besser nicht verpassen.

Hans-Günter Bjick beginnt immer mit Wagner, dem Chor der norwegischen Matrosen aus dem „Fliegenden Holländer“: „Steu-er-mann! Laaaass die Wacht! Steu-er-mann! Heeeer zu uns!“, schmettern seine Lautsprecher dem Zuhörer entgegen. Ein wunderbar dramatischer Auf-takt, und darum ist es auch so wichtig, dass keine Note untergeht. Und das ist bei Bjicks Publikum nicht ganz einfach.

Er macht Musik für Schiffe. Jedem Dampfer, der das Schulauer Fährhaus an der Unterelbe bei Wedel passiert, spielt der 73-Jährige ein Ständchen. „Begrüßungskapitän“ steht an der Tür zu seiner Kabine, und sein Arbeitsplatz heißt offiziell „Schiffsbegrüßungsanlage Willkomm-Höft“. Eigentlich stimmen beide Bezeichnungen nicht, oder nur zur Hälfte, denn Bjick ist auch für den Abschied zuständig. Kapitän klingt natürlich gut, aber der Titel hat eher mit maritimer Folklore zu tun als mit seinem Berufsbild. In Wahrheit ist er Discjockey – der Elbe-DJ. Er legt Musik auf für Seeleute und ihre großen Pötte.

Wie zum Beispiel für die „Caribia Express“, die jetzt elbaufwärts Richtung Hamburg dampft. Der griechische Containerfrachter hat ordentlich Fahrt, denn das auflaufende Wasser der Flut gibt ihm zusätzlichen Schwung. Bjick will seinen musikalischen Gruß so losschicken, dass der Kapitän und seine Crew ihn oben auf der Brücke hören können, wenn sie am Willkomm-Höft vorbeikommen. Das Problem sind nicht die 100 Meter Entfernung. So weit tragen die Lautsprecher mit ihren 600 Watt allemal. Aber gegen fünf Windstärken aus Nordwest kommen auch sie nicht an. Bjick muss genau zielen.

Jetzt schiebt sich der Bug der „Caribia Express“ gerade am Flaggenmast der Schiffsbegrüßungsanlage vorbei. Hans-Günter Bjick wartet. Die Brücke des Containerriesen naht. Jetzt: Band ab! Tatata-taaa-ta-ta! Der Wagner passt genau. Nahtlos folgt Punkt zwei des Programms: das Hammonia-Lied von Albert Methfessel. „Stadt Hamburg in der Elbe Auen, wie bist du stattlich anzuschauen – mit deiner Türme Hochgestalt und deiner Schiffe Mastenwald!“ Würdig, doch heiter – so überschrieb der Musiklehrer den „Festgesang“ in A-Dur, der seit Ende des 19. Jahrhunderts als Hymne der Hansestadt gilt.

Beim dritten Teil der Botschaft ist das Heck des Frachters schon vorbei, aber der Wind trägt ihm den Gruß hinterher: „Willkommen in Hamburg! Wir freuen uns, Sie in unserem Hafen begrüßen zu können!“, dröhnt es erst auf Deutsch und dann auf Griechisch. Es folgt die Melodie der Nationalhymne: „Sé gnorisó ...“ – „Dich erkenn ich: Deinem Schwerte eigen ist der Zornesblitz ...“

Bjick drückt einen zweiten Knopf auf seinem Steuerstand, und eine elektrische Winde zieht die Hamburger Flagge vom Masttopp nach unten. „Die Flagge dippen“, sagen Seeleute dazu. „Ein uralter Brauch“, erklärt Hans-Günter Bjick. „Beim Einlaufen in einen befestigten Hafen signalisierten die Schiffe mit der symbolischen Aufgabe ihres Hoheitszeichens, dass sie in friedlicher Absicht kamen. Die Festung antwortete, ebenfalls durch Herablassen der Flagge. Im Laufe der Zeit hat sich die Bedeutung zum Gruß abgeschliffen. Wie bei zwei Herren, die sich auf der Straße treffen und ihren Hut ziehen.“

Also müsste die „Caribia Express“ jetzt ihrerseits dippen. Tut sie aber nicht. Sie dampft weiter und zeigt Bjick ungerührt ihren breiten Hintern. Der Begrüßungskapitän nimmt es der Crew nicht übel: „Bei dem Schietwetter macht das keinen Spaß, von der warmen Brücke runter zum Flaggenstock am Heck zu turnen.“

In seinem penibel geführten „Brückentagebuch“ sind Dipper und Verweigerer allerdings genau registriert. Heute hat sich noch keines der Schiffe für den Hamburger Gruß revanchiert. Liegt das am Wetter allein? Oder hat die Berufsschifffahrt kein Gefühl für Tradition? Bjick blättert ein paar Tage zurück zum letzten Sonnenschein. Während seiner Dienstzeit – von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends – kommen im Schnitt etwa 50 Schiffe vorbei. Drei, vier Dampfer pro Tag erwidern den Gruß. Die italienische Korvette „Danaide“ zum Beispiel, die hat gedippt und dreimal kurz mit dem Schiffshorn getutet. Vorbildlich. Aber die Verweigerer sind klar in der Mehrheit.

Bjick greift zum Mikrofon und erzählt den Gästen des Schulauer Fährhauses, was er über die „Caribia Express“ weiß: „Soeben haben wir das griechische Motorschiff der Costamare Shipping Line aus Piräus begrüßt. Das Containerschiff wurde auf der Danziger Lenin-Werft gebaut und 1976 in Dienst gestellt.“ Die Touristen auf der Terrasse hören konzentriert zu, als wollten sie seinen Vortrag auswendig lernen. „Bei einer Tragfähigkeit von 27828 Tonnen auf elf Metern Tiefgang kann das 204 Meter lange und 31 Meter breite Schiff 1202 Zwanzig-Fuß-Container stellen“, doziert Bjick und klingt dabei wie ein echter Kapitän. Das nautische Vokabular beherrscht er jedenfalls einwandfrei. „Aus einer Maschinenleistung von 29000 PS erzielt das bei Hapag Lloyd in Charter fahrende Schiff eine Dienstgeschwindigkeit von 21 Knoten.“

Hans-Günter Bjick ist erst spät zur Seefahrt gekommen. Bis zu seiner Pensionierung hat er in der öffentlichen Verwaltung gearbeitet. Dann entdeckte er eine Annonce im lokalen Anzeigenblatt: „Begrüßungskapitän gesucht“. Der Arbeitsplatz mit Elbpanorama gefiel ihm auf Anhieb. Seit zwölf Jahren ist er jetzt dabei.


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mare No. 22

No. 22Oktober / November 2000

Von Olaf Kanter und Stefan Pielow

Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Politik. In Heft 21 schrieb er über die Marathonschwimmerin Peggy Büchse

Stefan Pielow, geboren 1959, ist freier Fotograf und lebt in Hamburg, nicht weit vom Willkomm-Höft. Für mare hat er zuletzt das Luxushotel „Atlantis“ auf den Bahamas fotografiert

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Vita Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Politik. In Heft 21 schrieb er über die Marathonschwimmerin Peggy Büchse

Stefan Pielow, geboren 1959, ist freier Fotograf und lebt in Hamburg, nicht weit vom Willkomm-Höft. Für mare hat er zuletzt das Luxushotel „Atlantis“ auf den Bahamas fotografiert
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Vita Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Politik. In Heft 21 schrieb er über die Marathonschwimmerin Peggy Büchse

Stefan Pielow, geboren 1959, ist freier Fotograf und lebt in Hamburg, nicht weit vom Willkomm-Höft. Für mare hat er zuletzt das Luxushotel „Atlantis“ auf den Bahamas fotografiert
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