Ein freies Elektron, verglüht

Bis zu seinem Tod schrieb Alex du Prel, ein Amerikaner aus Wien, in seinem Magazin „Tahiti Pacifique“ gegen den postkolonialen Identitätsverlust seines geliebten Tahitis an. Ein Nachruf

Es hatte etwas Anrührendes, ihm bei der Arbeit zuzusehen. Hoch über der Cook’s Bay von Moorea, Tahitis schöner Schwester, saß Alex du Prel in seinem „Bunker“, wie er die bescheidene Hütte auf seinem Anwesen nannte, und schrieb sich mit der Kraft eines Sisyphos seine Wut aus dem Bauch.

Wut auf die Nepoten in Französisch-Polynesien, auf die verhängnisvolle Allianz, die das Mutterland den Inselchen im Pazifik oktroyierte. Auf die Unsummen, mit denen es, als Entschädigung für die Atomtests, seinen Kindern so lange die Mäuler stopfte, bis sie verstummten. Auf den Verlust einer Kultur, die er im Lauf seines zweiten Lebens in Tahiti lieben gelernt hatte. Er wollte nicht teilnahmslos zusehen, wie der postkolonialistische Mammon die Inseln seiner Sehnsucht zur Unkenntlichkeit deformierte.

Neben Wut war ihm tiefe Zuneigung zu Menschen Antrieb. Alex, wie ihn alle nannten, dokumentierte hingebungsvoll kleine und große Ereignisse, archivierte Fotos, Bücher, ganze Legate und schrieb bezaubernde Kurzgeschichten über den Alltag im Paradies (die auch auf Deutsch erschienen). So wurde er, ungeahnt, in 25 Jahren zum Gedächtnis des Südpazifiks, mehr als jedes ethnologische Institut.

Alexandre Walter du Prel, Marquis d’Erpeldange, 1944 in Wien in alten Adel geboren, war von einem Geist im Aussterben. Sein Kosmopolitismus hielt ihn zeitlebens frei von kleinem Denken. Sechs Sprachen lernte er, in dreien, darunter Tahitianisch, schrieb er literarisch. Seine Bildung war stupend, der Charme umwerfend, dazu eine feine amerikanische Ironie – ein homme de femmes, sagte seine zweite, tahitianische Frau Célia über ihn, ein filou cordial, seine Freunde.
Nach seiner Jugend in Frankreich und Deutschland studierte er in den USA Bauwesen, wurde amerikanischer Staatsbürger, heiratete und fand sich nicht ab mit der Aussicht, in Anzug und Krawatte hochfliegende Pläne anderer zu realisieren.

1974 goss er sich in Panama eine Segelyacht aus Beton und ging mit seiner Frau auf große Fahrt. Drei Jahre kreuzten sie in der Südsee, bekamen ein Kind, bis der Überdruss sie überkam. Das Ziel seiner Träume wurde zugleich ihr Ende. Seine Frau ging samt Kind von Bord und kehrte in die USA zurück.

Alex blieb und gründete 1977 den legendären Yacht Club de Bora-Bora. Während der Dreharbeiten zu „Meuterei auf der Bounty“ wohnte Marlon Brando bei ihm und bat ihn, Direktor auf Tetiaroa zu werden, dem Atoll, das der exzentrische Filmstar als Mitgift für die Heirat einer Königstochter, Komparsin des Filmes, erhalten hatte. Ein Streit entzweite die ungleichen Freunde. Alex hatte nun Zeit, seine Freundin Célia zu heiraten, die ihm die zauberhafte Tochter Poema schenkte.

Bald darauf gründete er das Monatsmagazin „Tahiti Pacifique“, kurz „TPM“ – Sprachrohr für seine Idee eines souveränen Tahitis, das sich seiner uralten Kultur und seines friedlichen Lebensstils gewahr blieb, im traditionellen Einklang mit der einzigartig schönen Verbindung von vulkanischen Felsen, einigen Häuflein Korallensand, dem Grand Bleu des Ozeans und dem unendlichen Himmel darüber.

Außer einigen Freunden, die zum Feuilleton beitrugen, war „TPM“ eine One-man-Show: Alex schrieb investigative Reportagen und bissige Kolumnen, deckte Korruptionsfälle auf, klagte Umweltfrevel an, legte sich in etlichen Prozessen mit den von Paris protegierten Cliquen an, er redigierte, layoutete, fotografierte allein, selbst die Cartoons zeichnete er. Der Présidence in Papeete galt er als „renitent und impertinent“, wie ein Minister sagte – verärgert darüber, dass man im Pariser Élysée ein „TPM“-Abonnement hatte, um zu wissen, was in Tahiti passierte. Er war zur eigentlichen Opposition geworden, ein „freies Elektron“, wie sein Freund Philippe sagte.
2012 verkaufte er „TPM“. Zu groß war die Anstrengung geworden, zu gering der Ertrag. Das Recht, weiter darin zu schreiben, ließ er sich verbriefen. Seine Gegner werden dennoch erleichtert gewesen sein.

Alex starb am 14. März. Die Nachricht lief durch den Pazifik wie ein Tsunami, große französische Zeitungen schrieben Nachrufe. Seine Beerdigung hinter dem Bunker war ein buntes, trauriges Fest unter Freunden. Te tere maita’i, mon ami.

mare No. 123

No. 123August / September 2017

Von Karl Spurzem

Karl Spurzem, Jahrgang 1959, mare-Redakteur, traf Alex du Prel zum ersten Mal 2003. Seither war er der einzige deutsche TPM-Abonnent. Ihre ebenso langen wie kurzweiligen Skype-Telefonate werden ihm fehlen.

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Vita Karl Spurzem, Jahrgang 1959, mare-Redakteur, traf Alex du Prel zum ersten Mal 2003. Seither war er der einzige deutsche TPM-Abonnent. Ihre ebenso langen wie kurzweiligen Skype-Telefonate werden ihm fehlen.
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Vita Karl Spurzem, Jahrgang 1959, mare-Redakteur, traf Alex du Prel zum ersten Mal 2003. Seither war er der einzige deutsche TPM-Abonnent. Ihre ebenso langen wie kurzweiligen Skype-Telefonate werden ihm fehlen.
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