Dürsten in der Wasserwüste

Sollen Schiffbrüchige Salzwasser trinken? Jein

Er wollte der Menschheit signalisieren, dass der Lebensraum, aus dem sie ursprünglich stammt, für sie noch nicht so ganz verschlossen ist: die Meere, voller Salzwasser. Darin könne man leben, so lautete seine These, beinahe wie der Fisch im Ozean.

Im Juli 1952 bestieg der 28-jährige Franzose Alain Bombard in Las Palmas auf Gran Canaria ein Schlauchboot, setzte Segel und ließ sich über den Atlantik treiben. Nur von Salzwasser und aus den Säften roher Fische wollte er unterwegs seinen Durst stillen und sich im Übrigen von gefangenem Meeresgetier ernähren. Trinkwasser und Nahrung hatte er bunkern lassen. Aber alles verplombt, nur für den Notfall, falls es nicht mehr gehe.

65 Tage später kam die Kunde von seiner Ankunft in der Karibik. Von Hunger und Durst auf seinem langen Weg berichtete er da, doch er habe sich ganz passabel über Wasser halten können, autark, ohne die Plomben öffnen zu müssen. Eine unglaubliche Leistung in der Disziplin „Survival“, die damals noch nicht erfunden war. Ein neuer Held war geboren in Frankreich, der junge Mann und das Meer. Und Fabrikant von eben solchen Rettungsbooten, von denen er eines auf der Überfahrt benutzt hatte. Seine Geschäfte boomten wie erwartet. Bald wurde er, der so lange so eins war mit der Meeresnatur, zum Umweltexperten, saß 15 Jahre im Europaparlament und schaffte es 1981 sogar für einen Monat bis zum Staatssekretär in Paris.

Dies war die eine Wahrheit über das Salzwasser und den Menschen.

An der anderen begann schon vier Jahre nach Bombards Überfahrt ein anderer zu arbeiten: Hannes Lindemann, ein deutscher Arzt, der von Bombards Idee begeistert war, ebenfalls den Atlantik überqueren und die Versuche in einem penibel geführten medizinischen Logbuch nachvollziehen wollte. Doch aus dem Fan wurde, schon auf halber Strecke zwischen Europa und Amerika, ein leidenschaftlicher Gegner. Lindemanns minutiösen Aufzeichnungen über die Salzwasserselbstversuche und über die Reaktionen seines Körpers während des Törns torpedierten die Lesart Bombards. Der Verzehr von Salzwasser ließ Lindemanns Gliedmaßen anschwellen, sein Durst wurde unerträglich, er musste davon ablassen; allein der stetige Regen rettete ihn vor dem Verdursten. Sein Buch „Allein über den Ozean“, in dem er seine medizinischen Erkenntnisse protokollierte, wurde Grundlage für die Ratschläge der Weltgesundheitsorganisation für die Seefahrt. Auch die US-Weltraumbehörde Nasa, die ihre Sonden von Mercury bis Apollo stets im Ozean niedergehen ließ, legte sie ihren Überlebenskits bei.

Lindemann war nun Standard. Bombard aber – wenigstens außerhalb Frankreichs – vergessen. Dazu trug bei, dass ihn Lindemann in seinem Buch beschuldigte, er habe in Las Palmas 100 Liter Trinkwasser und Lebensmittel für drei Monate geladen, zusätzlich, unverplombt. Der halbe Club Nautico sei Zeuge gewesen. Niederländische Zeitungen hätten obendrein Fotos veröffentlicht, auf denen die Übernahme von Vorräten auf hoher See von Dampfern dokumentiert sei. Wahre – salzwasserfreie – Orgien muss Bombard demnach gefeiert haben.

Kann der Mensch seinen Durst mit Salzwasser stillen? Für viele ist dies eine akademische Frage, andere wollten sie schon vorher mit aller Macht beantworten und gingen dabei auch über Leichen. Nazi-Forscher hatten, im Auftrag der Reichsluftwaffe und der Kriegsmarine, Ende 1944 Versuche mit Sinti und Roma aus Konzentrationslagern begonnen und ihren Opfern in vier verschiedenen Gruppen entweder gar kein Wasser, reines Salzwasser, Salzwasser mit Süßwassergeschmack oder Süßwasser mit Salzwassergeschmack verabreicht. Viele wurden krank, einige starben. Schon bald allerdings verhinderte das Kriegsende weitere Versuche, so dass heute kein Forscher in der Verlegenheit ist, durch solch grausame Versuche zustande gekommene Ergebnisse zu nutzen.

Womöglich sind beide Lesarten, Lindemanns und Bombards, gültig. Was kein Mensch bestreitet: Trinkt man zu viel Salzwasser auf einmal – und dies kann schon die Menge sein, nach der sich ein durstiger Schiffbrüchiger in heißen Breiten sehnt –, so wird der Wasserbedarf nicht gestillt, sondern man trocknet innerlich aus. Verantwortlich dafür ist die Osmose: der Ausgleich zweier verschiedener Flüssigkeiten, in diesem Fall Wasser mit unterschiedlich hohem Salzgehalt, durch eine Membran hindurch. Der Osmoseprozess stoppt erst, wenn sich beide Seiten angeglichen haben. Ist Salz im Spiel, strömt das Wasser von allein immer nur dorthin, wo die höhere Konzentration herrscht.

Salz zieht Wasser an, der Effekt ist in jedem Salzstreuer zu beobachten – übertroffen nur noch von Reis, der dem Salz hinzugefügt wird, damit es trocken bleibt.


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mare No. 54

No. 54Februar / März 2006

Von Ulli Kulke

Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt. Seine Salzwassererfahrungen beschränken sich auf die Zubereitung von Nudeln mit dem Wasser der Ägäis.

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Vita Ulli Kulke, Jahrgang 1952, ist Chefreporter für Wissenschaft der Berliner Tageszeitung Die Welt. Seine Salzwassererfahrungen beschränken sich auf die Zubereitung von Nudeln mit dem Wasser der Ägäis.
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