Doktor Welle

Die Mentawai-Inseln sind ein Paradies für Surfer aus der ganzen Welt, obwohl die Einheimischen unter Armut und Seuchen leiden. Ein geschockter Wellenreiter gründet SurfAid

Der Fluß ist träge und schlammig. Rote Libellen huschen übers Wasser, Papageien kreischen. Es riecht nach Regen und Nelkenzigaretten. David Jenkins fährt in den Dschungel, zu den Waldmenschen von Siberut. Das Kanu macht an einem Langhaus am Fluss fest. Die ersten Tropfen fallen fett und immer dichter, aber der Arzt macht sich auf den Fußmarsch. Zwei Stunden geht er im Regen, kriecht durch Dickicht, überquert Schlammlöcher auf rutschigen Baumstämmen.

Dann kommt die Sonne hervor, und Teteburuk liegt vor ihm auf einer Lichtung. Schweine grunzen im Matsch, Hühner rennen vor halbnackten Kindern davon. Männer begrüßen und geleiten ihn zum Eingang eines Langhauses. Im Halbdunkel des kahlen Innenraums hängen Affenschädel, davor schwebt ein Totemvogel. Ein junger Mann klimpert auf einem Banjo, eine dunkelrote Blüte hinterm Ohr. Alte Männer, mit Lendenschurz bekleidet, hocken zusammen und paffen braune Stummel. Die Herrenuhren an ihren Handgelenken, deren Zeiger stillstehen, sind Statussymbole, Insignien der Macht, wie sie Schamanen tragen, die böse Geister mit Kräutern und Tänzen vertreiben.

David Jenkins ist ebenfalls Medizinmann, sie nennen ihn hier „Doktor Dave“. Die Geister, die er vertreiben will, heißen Armut, Unwissenheit, Apathie. Seit sieben Jahren klärt er die Menschen auf den indonesischen Mentawai-Inseln darüber auf, was sie krank macht. Dorf für Dorf arbeiten er und seine Truppe sich vor, in kleinen Schritten, mit großen Ideen.

Einer von Doktor Daves Mitarbeitern zeigt Schautafeln, erklärt, demonstriert. Malariaprophylaxe bedeutet: bei Dunkelheit Langärmeliges tragen. Nachts unterm Moskitonetz schlafen. Tagsüber die Netze nicht zum Fischen im Fluss benutzen. „Es klingt so simpel“, sagt Jenkins, „aber Verhaltensänderung ist das Schwerste überhaupt. Das dauert. 30 Jahre haben die Missionare gebraucht, dann erst kochten die Einwohner ihr Trinkwasser ab.“

David Jenkins heißt „Doktor Dave“, seit er auf den Mentawais arbeitet, wo ausländische Ärzte mit „Doktor“ und Vornamen angesprochen werden. Früher war er Landarzt in Neuseeland. Doch für ein Jahresgehalt von 150 000 US-Dollar ging er nach Singapur als medizinischer Direktor bei einem Rückversicherungskonzern. Haus, Chauffeur, er hatte alles – nur keine Zeit mehr. Vor allem nicht fürs Surfen, seine große Leidenschaft. Nur in kurzen Urlauben stieg er noch aufs Brett. Einen davon verbrachte er auf einer Luxusyacht vor den Mentawai-Inseln.

Die Mentawais bei Sumatra sind für Surfer das, was für Kinder Disneyland ist. Ein ultimativer Spaß, von dem allerdings bis vor 15 Jahren kaum einer wusste. Erst 1991 verirrte sich ein Surfer hierher – und fand perfekte Bedingungen. Als Lance Knight mit ausgebreiteten Armen auf seinem Brett Wellenberge hinuntersauste, saßen die Bewohner des Küstendorfs Katiet in den Bäumen am Ufer und schrien vor Staunen.

Die Kunde von der perfekten Welle verbreitete sich schnell von Kalifornien bis an Australiens Gold Coast. In Scharen fielen Bretttouristen auf den Mentawais ein. Jedes Jahr wurde das Surfrevier kommerzieller. Die Wellenreiter zahlten Tausende Dollar für einen Platz auf einem der 40 konkurrierenden Charterboote. Die brachten sie zu „Lance’s Left“ und „Lance’s Right“, den nach ihrem Entdecker benannten Wellen. Tage, Wochen verbrachten die Surfer auf den Booten. Für das Land, den Dschungel und seine Bewohner interessierten sich nur wenige. Einer aber ganz besonders.

Dave Jenkins stellte sich am Ende seines Surfurlaubs dem Oberhaupt von Katiet vor. Er wollte sich bedanken – für das Vergnügen im warmen Wasser vor weißen Stränden und Palmen. Als der Dorfchef hörte, dass Jenkins Arzt ist, bat er ihn, mitzukommen. Wenn es Wendepunkte im Leben gibt, dann war dies einer.

„Ich hatte noch nie so viel Krankheit und Verzweiflung gesehen“, erinnert sich Jenkins. „Eine ganze Familie mit Tuberkulose lag im Sterben. Sie brachten eine halb bewusstlose Frau in der Schubkarre zu mir.“ Jenkins holte seine Arzttasche von Bord und machte sich an die Arbeit. In Katiet wartete bereits eine lange Schlange von Menschen, Kinder mit Lungenentzündung und Malaria – viele auf den Mentawais erreichen nicht das fünfte Lebensjahr.

Zurück in Singapur, kündigte David Jenkins seine Stelle. Auf seiner Abschiedsparty stieß er auf eine Idee an, die alle für ehrenwert, aber nicht machbar hielten: SurfAid – eine Hilfsorganisation von Surfern für die Menschen Mentawais.

2000 verkaufte er sein Haus in Neuseeland und zog in eine einfache indonesische Hütte am Meer. Wenn er nicht surfte, sprach er mit den Beamten, die das marode Gesundheitssystem der Insel verwalten, mit den Müttern, den Clanchefs, den Lehrern. Um helfen zu können, brauchte er Fakten und Zahlen – wie die Angriffszeiten der Malariamücken. Im Selbstversuch setzte sich der Mediziner nachts mit einer Taschenlampe an den Strand und fing die Insekten ein, die auf seiner Haut landeten. Unterm Mikroskop untersuchte er, welche davon die gefährliche Anophelesmücke war.


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mare No. 61

No. 61April / Mai 2007

Von Anke Richter und Juan Manuel Castro Prieto

Anke Richter, Jahrgang 1964, berichtet seit drei Jahren unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, den Spiegel und die Tageszeitung aus Neuseeland. Dort hat sie auch das Surfen gelernt. Auf den Mentawai-Inseln, wo die Wellen aufs Riff schlagen, wagte sie sich aber dann doch nicht aufs Brett – „nichts für Anfänger“.

Juan Manuel Castro Prieto, geboren 1958, lebt in Madrid und fotografiert regelmäßig für Geo, Le Monde und El País. Die Mentawais erlebte er als höllisches Paradies. Zum Wasser hin strahlen Palmen und weißer Sand – aber nur ein paar Schritte in den Dschungel, und Malaria und Tuberkulose wüten.

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Vita Anke Richter, Jahrgang 1964, berichtet seit drei Jahren unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, den Spiegel und die Tageszeitung aus Neuseeland. Dort hat sie auch das Surfen gelernt. Auf den Mentawai-Inseln, wo die Wellen aufs Riff schlagen, wagte sie sich aber dann doch nicht aufs Brett – „nichts für Anfänger“.

Juan Manuel Castro Prieto, geboren 1958, lebt in Madrid und fotografiert regelmäßig für Geo, Le Monde und El País. Die Mentawais erlebte er als höllisches Paradies. Zum Wasser hin strahlen Palmen und weißer Sand – aber nur ein paar Schritte in den Dschungel, und Malaria und Tuberkulose wüten.
Person Von Anke Richter und Juan Manuel Castro Prieto
Vita Anke Richter, Jahrgang 1964, berichtet seit drei Jahren unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, den Spiegel und die Tageszeitung aus Neuseeland. Dort hat sie auch das Surfen gelernt. Auf den Mentawai-Inseln, wo die Wellen aufs Riff schlagen, wagte sie sich aber dann doch nicht aufs Brett – „nichts für Anfänger“.

Juan Manuel Castro Prieto, geboren 1958, lebt in Madrid und fotografiert regelmäßig für Geo, Le Monde und El País. Die Mentawais erlebte er als höllisches Paradies. Zum Wasser hin strahlen Palmen und weißer Sand – aber nur ein paar Schritte in den Dschungel, und Malaria und Tuberkulose wüten.
Person Von Anke Richter und Juan Manuel Castro Prieto