Die Vermesser der Unterwelt

Vor fast 140 Jahren bricht die britische Korvette „Challenger“ zu einer jahrelangen Fahrt über die Weltmeere auf. Ziel der Reise: Endlich Erkenntnisse über die völlig unbekannte Tiefsee zu gewinnen. Und die Risiken des Telegrafenkabelgeschäfts auszuloten

Wieder einmal tönt das Quietschen der Seilwinde über Deck. Die Stimmung an Bord der „Challenger“ ist schlecht. Die Matrosen müssen Apparate ins Wasser abseilen, immer wieder Schlamm vom Meeresboden heraufholen, seit 27 Monaten schon. Manchmal lärmt die Winde stundenlang, ja den ganzen Tag über. Außerdem ist es seit Tagen windstill, die HMS „Challenger“ kommt nur quälend langsam voran. In den Mannschaftsquartieren gibt es ständig Streit.

Doch an diesem 23. März 1875 ist etwas anders als sonst. Die Crew hat die Lotleine abgelassen, um die Wassertiefe zu messen. Mehrere Kilometer Leine sind schon abgerollt, doch seltsamerweise gibt es noch immer keinen Bodenkontakt. An ihrem Ende hängen zentnerschwere Gewichte, damit eine senkrechte Linie entsteht. Sie sinken 4000 Meter tief, 5000 Meter, schließlich 6000 – und erreichen erst bei unglaublichen 8183 Metern den Boden.

„Wir müssen das Lot in ein Tiefseetal abgelassen haben“, schreibt ein Matrose später an seine Mutter, „dort ging es so weit von der Oberfläche in die Tiefsee hinab, wie der Mount Everest hoch ist.“ Die Forscher an Bord sind begeistert. Hier, im Pazifik, fast mittig zwischen Papua-Neuguinea und Japan, haben sie den tiefsten Punkt der Erde gefunden.

Es ist ein Festtag, eine kurze Freude auf dieser sonst so mühsamen Fahrt. Nicht nur die Matrosen sind der immer gleichen Vorgänge müde, auch die Forscher müssen sich wieder und wieder ihre Pflicht klarmachen. Sie wissen: Das, was sie hier leisten, ist noch nie da gewesen. Noch nie hat eine Expedition systematisch die Tiefen der Weltmeere erkundet. Und noch nie haben Menschen solch merkwürdige Kreaturen gesehen: Krabben mit riesigen Augen, Fische mit hörnerartigen Auswüchsen, Kraken mit merkwürdigen Flügeln. In Kleinstarbeit befreien die Wissenschaftler die Lebewesen aus dem Schlamm, den die Matrosen zuvor an Deck gekippt haben.

Bis zu diesem Zeitpunkt glaubt die Menschheit, in den tiefsten Tiefen der Ozeane könne es unmöglich Leben geben. Man stellt sich den Meeresboden als öde Wüste vor. Der britische Forscher Edward Forbes etwa kam um 1840 zu dem Schluss, dass im Mittelmeer ab einer Tiefe von 550 Metern kein Leben mehr zu finden sei. Forbes hatte Netze ins Wasser hinabgelassen – nur waren die Maschen zu groß, um Kleinstlebewesen einzufangen. Weil Forbes unter der 550-Meter-Marke nichts mehr im Netz fand, traf er eine falsche Schlussfolgerung. Tiere, so das Fazit, könnten so tief unten nicht existieren, weil sie vom Druck der Wassermassen schlicht erdrückt würden. Außerdem könne es in Regionen, in die keine Sonnenstrahlen mehr durchkommen, von vornherein kein Leben geben.

Doch dann holte ein Wissenschaftler vor der norwegischen Küste eben doch Lebewesen unterhalb von 550 Metern aus dem Meer. Ähnliches wiederholte sich auf weiteren Fahrten. Nun begann man sich zu fragen: Wie tief hinab reicht das Leben? Welche unbekannten Wesen warten dort unten auf ihre Entdeckung? Sieht der Meeresboden überall gleich aus?

Das Interesse an der Tiefsee wuchs nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen. Man hatte begonnen, Telegrafenkabel zwischen den Kontinenten zu verlegen. Mehrere Versuche schlugen fehl – immer wieder wurden Kabel zerstört. Möglicherweise war ja der Boden zu scharfkantig? Oder lebten dort unten etwa gefährliche Tiere, die den Kabeln Schaden zufügten? Jetzt begann sich zu rächen, dass man über die Meeresböden so wenig wusste – und ein kommerzieller Grund für ihre Erforschung war gefunden.

Viele Wissenschaftler waren damals begierig darauf, mehr über die Tiefsee zu erfahren. So war die Freude groß, als England nun sechs von ihnen mit knapp 200 000 Pfund ausstattete, einem für damalige Verhältnisse gigantischen Betrag. Zum Chefwissenschaftler der Expedition wurde der schottische Zoologe Wyville Thomson ernannt. Ihm zur Seite standen der Meeresbiologe John Murray sowie ein weiterer Zoologe, ein Chemiker und ein Zeichner. Für sie wurde ein 14 Jahre alter Dreimaster mit mehreren Laboren und einer 400 PS starken Dampfmaschine ausgestattet.


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mare No. 85

No. 85April / Mai 2011

Von Marike Frick und Jan Feindt

Marike Frick, Jahrgang 1980, freie Journalistin in Hamburg, kaufte sich zur thematischen Einarbeitung ein Kinderbuch über die Tiefsee – und war sofort fasziniert. „Auch Erwachsene können sich für Monsterfische mit riesigen Mäulern begeistern.“

Die Zeichnungen von Illustrator Jan Feindt, geboren 1975, sind dem marewissen Band 1: Tiefsee entnommen. Darin erzählt Dagmar Röhrlich von blinkenden Fischen und geflügelten Kraken – kurzum: von einem fremden Planeten auf unserer Erde.

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Vita Marike Frick, Jahrgang 1980, freie Journalistin in Hamburg, kaufte sich zur thematischen Einarbeitung ein Kinderbuch über die Tiefsee – und war sofort fasziniert. „Auch Erwachsene können sich für Monsterfische mit riesigen Mäulern begeistern.“

Die Zeichnungen von Illustrator Jan Feindt, geboren 1975, sind dem marewissen Band 1: Tiefsee entnommen. Darin erzählt Dagmar Röhrlich von blinkenden Fischen und geflügelten Kraken – kurzum: von einem fremden Planeten auf unserer Erde.
Person Von Marike Frick und Jan Feindt
Vita Marike Frick, Jahrgang 1980, freie Journalistin in Hamburg, kaufte sich zur thematischen Einarbeitung ein Kinderbuch über die Tiefsee – und war sofort fasziniert. „Auch Erwachsene können sich für Monsterfische mit riesigen Mäulern begeistern.“

Die Zeichnungen von Illustrator Jan Feindt, geboren 1975, sind dem marewissen Band 1: Tiefsee entnommen. Darin erzählt Dagmar Röhrlich von blinkenden Fischen und geflügelten Kraken – kurzum: von einem fremden Planeten auf unserer Erde.
Person Von Marike Frick und Jan Feindt