Die Unbeugsamen von Gareloch

Seit nunmehr 32 Jahren engagieren sich die Aktivisten des Faslane Peace Camp in Schottland im Kampf gegen die britische Atom-­U-Boot-Flotte, mit wechselndem Erfolg. Angesichts des schottischen Referendums hoffen sie auf das Ende der Militärbasis

Leonna Ö’Neill und Angus Chalmers nehmen an diesem Morgen die Fahrräder, es geht wieder einmal um Bomben und U-Boote. Die beiden haben Glück, Westschottlands Himmel hängt tief über den Fjorden, aber er schickt keinen Regen. Gut 20 Kilometer müssen sie radeln, bis in die kleine Arbeiterstadt Dumbarton, wo der Verwaltungsbezirk West Dunbartonshire seinen Sitz hat. Die beiden sollten pünktlich dort sein, ein Gericht lässt man nicht warten. Ob sie nervös seien wegen der Vorladung? Aber nicht doch. Was hätten sie schon getan?

Leonna O’Neill, ein Ring in der Nasenscheidewand, ein Piercing im Ohrläppchen, hat sich fein gemacht. Sie will korrekt und aufgeräumt vor den Richter treten, nicht provozieren. Sie trägt eine weiße Bluse, einen lilafarbenen Pulli mit kleinem Peace-Zeichen auf der Brust, schwarze Hose, Halbschuhe. Leonna, 28, ist so etwas wie der Boss der Truppe, deren Ziel es ist, alle Massenvernichtungswaffen aus Schottland zu verbannen.

„Angus, wir sollten los!“

„Oh, fuck, schon nach acht. Warte, ich hole nur noch meinen Rucksack.“

Angus Chalmers, 20, kein Gesichtsschmuck, hat sich nicht fein gemacht. Er trägt matschige Springerstiefel, eine alte Hose, den Kapuzenpulli, seine zottigen Zöpfe hängen über dem rasierten Nacken. Angus ist der Limbotänzer der Truppe, ein biegsamer Schlacks, der überall hinaufklettern und durchschlüpfen kann. Er und nervös? Wieso denn? Er habe doch nichts verbrochen.

Er und Leonna sind vor einigen Wochen ja nur durch die Nacht geschlichen, vom Peace Camp durch die Hügel bei Gareloch, am Kreisel vor der Royal-Navy-Basis vorbei, durch das Heidekraut und den dunklen Wald von South Fernicarry, weiter zum Loch Long, bis nach Coulport. Sechs Stunden waren die beiden durch die westschottische Walachei unweit des Atlantiks gestapft, zu Fuß, es regnete. Dann stand Angus vor diesem Zaun, der acht Meter hoch ist, und da ist er, der dünne Klettermaxe, auf Leonnas Schultern gestiegen und da hinauf. Oben auf dem Zaun kam der Nato-Draht, eine Variante des Stacheldrahts, eine zu engen Kreisen geschwungene Barriere, bestückt mit zigtausenden rasiermesserscharfen Klingen. Leonna wartete unten, Angus hing oben im Zaun.

Leonna sagt: „Da kommt eigentlich keiner unverletzt durch. Angus schafft’s. Ich weiß auch nicht, wie er das macht.“

Angus sagt: „Es ist gar nicht schwer. Du musst dich nur ganz dünn machen.“

Dann kletterte er darüber. Ist also bloß mal eben nach Coulport eingedrungen. Auf das Gelände des Royal Naval Armaments Depot, eine Hochsicherheitszone des Verteidigungsministeriums, in der 16 Bunker in die Berge betoniert sind, wo konventionelle Torpedos lagern und Großbritannien seine Nuklearsprengköpfe der Trident-Raketen versteckt. Unten an der Pier werden damit die Atom-U-Boote der Vanguard-Klasse bestückt. Ein von Alarmanlagen und Wärmekameras gesichertes Areal, dessen Atomwaffen halbe Kontinente vernichten könnten.

Die Wachoffiziere kennen Angus schon. An diesem Mittwoch im Juni war es etwa drei Uhr nachts. Angus hangelte sich durch die Rasierklingen, ein paar Schrammen, das war’s, dann kletterte er auf der anderen Seite des Zaunes wieder hinunter. Marschierte drauflos, mitten aufs Gelände. Bis die gleißend hellen Scheinwerfer ihn erfassten wie eine schwarze Puppe, ihn blendeten, er nach hundert Metern die Arme hochnahm und sich friedlich festnehmen ließ. Wäre er weiter aufs Gelände gerannt, die Wachleute hätten schießen können.

„Peanuts, you know“, es sei ja nichts dabei. „Die Bösen, das sind die, nicht wir.“ Angus greift nach dem Rucksack. Sie müssen los. Zur Anhörung wegen des Vorfalls. Um kurz nach acht verlassen sie das Camp. Ein bunter Zaun, ein buntes Schild, 16 heruntergekommene Wohnwagen, die in einem Waldsaum im Gestrüpp stehen, davor die Straße, dann kommt schon das Meer. Es ist das Faslane Peace Camp, der Name ist auf ein Sperrholzbrett gepinselt, daneben ist zu lesen „Visitors welcome“ und klein, in Weiß: „30 Jahre Widerstand gegen Nuklearwaffen“. Das Friedenscamp dürfte eines der ältesten der Welt sein. Seit der Gründung 1982 existiert es, dauerhaft besetzt von einer wechselnden Kerntruppe und Besuchern aus aller Welt. Sie leben winters wie sommers hier.

Leonna und Angus fahren auf der Gareloch Road entlang, im Süden der Firth of Clyde, wo sich die Fjorde zum Atlantik hin öffnen. Bleigraues Meer, durch das sich regelmäßig die Atom-U-Boote schieben, die zu Übungen in den Weltmeeren auslaufen oder aus einem der 81 Übungsgebiete vor den westschottischen Inseln zurückkehren zur Faslane Naval Base. Die britische Atom-U-Boot-Basis liegt eine Bucht neben dem Waffendepot, ebenfalls eine Hochsicherheitszone.


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mare No. 104

No. 104Juni / Juli 2014

Von Marc Bielefeld und Guillaume Herbaut

Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, ist freier Autor in Hamburg. Das Thema Peace Camp lief ihm buchstäblich vor den Bug, als er mit seinem Segelboot in Schottland unterwegs war und unweit der U-BootBasis in einem Hafen lag.

Guillaume Herbaut, Jahrgang 1970, Fotograf der Agentur Institute, kennt sich aus mit den Gefahren der Atomkraft. Seine Arbeit über Tschernobyl, die 2003 veröffentlicht wurde, bekam den Fuji-Buchpreis.

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Vita Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, ist freier Autor in Hamburg. Das Thema Peace Camp lief ihm buchstäblich vor den Bug, als er mit seinem Segelboot in Schottland unterwegs war und unweit der U-BootBasis in einem Hafen lag.

Guillaume Herbaut, Jahrgang 1970, Fotograf der Agentur Institute, kennt sich aus mit den Gefahren der Atomkraft. Seine Arbeit über Tschernobyl, die 2003 veröffentlicht wurde, bekam den Fuji-Buchpreis.
Person Von Marc Bielefeld und Guillaume Herbaut
Vita Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, ist freier Autor in Hamburg. Das Thema Peace Camp lief ihm buchstäblich vor den Bug, als er mit seinem Segelboot in Schottland unterwegs war und unweit der U-BootBasis in einem Hafen lag.

Guillaume Herbaut, Jahrgang 1970, Fotograf der Agentur Institute, kennt sich aus mit den Gefahren der Atomkraft. Seine Arbeit über Tschernobyl, die 2003 veröffentlicht wurde, bekam den Fuji-Buchpreis.
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