Die Seestreitmacht zu Land

Der Internationale Seegerichtshof in Hamburg ist die letzte Instanz, wenn die Interessen von Nationen auf See kollidieren

Der Internationale Seegerichtshof in Hamburg, höchste Institution der Vereinten Nationen in Deutschland, liegt in einem kleinen Privatpark an der Elbchaussee. Das Gelände ist exterritoriales Gebiet. Hinter dem hohen Metallzaun ist Deutschland zu Ende, und auch die Europäische Union hat hier nichts zu melden. 32 000 Quadratmeter Immunität, ein multinationaler Zwergstaat mit den offiziellen Amtssprachen Englisch und Französisch, dessen Angehörige nicht deutschem Recht unterliegen, nur die Verkehrsregeln sollen sie bitte beachten. So hat es ein internationales Abkommen festgelegt. Seit seiner Gründung 1996 hat der Internationale Seegerichtshof seinen Sitz in Hamburg.

Ein Tag im August. Das Gericht tagt. Schleusen und Metalldetektoren sichern den Zugang. Kamerateams haben sich in die Eingangshalle mit den Fahnen der 155 Nationen vorgearbeitet. Die Weltöffentlichkeit blickt auf Hamburgs beschaulichen Villenvorort Nienstedten, weil es Streit gibt in Petropawlowsk-Kamtschatskij.

Dorthin nämlich, ins ferne Sibirien, hat die Russische Föderation den japanischen Trawler „Hoshinmaru“ und seine 17-köpfige Crew geschleppt, weil diese 20 Tonnen Rotlachs bewusst falsch deklariert und damit gegen russische Gesetze zum Schutz gegen Überfischung verstoßen hat.

Es geschah am 1. Juni. Nun fordern die Russen 22 Millionen Rubel als Kaution, die Japaner verlangen die Herausgabe des Schiffes. Es ist der 14. Fall, über den das Gericht verhandelt. Die Richter sind aus 21 Ländern herbeigeeilt und verteilen sich nach genau festgelegter Sitzordnung an der holzgetäfelten Stirnwand des Sitzungssaals. Für die höchstrichterliche Entscheidung haben sie blaue Roben mit weißen Kragen angelegt. Präsident Rüdiger Wolfrum verliest Urteil und Begründung in englischer Sprache. Das Gericht verfügt die sofortige Freigabe der „Hoshinmaru“ und ihrer Besatzung gegen eine Kautionszahlung von zehn Millionen Rubel (rund 285 000 Euro). Beide Seiten können damit leben.

Der Seegerichtshof arbeitet schnell und effektiv. Die Zeit zwischen Klage, Prozess und Urteil ist knapp bemessen. Bestimmte Fälle, zum Beispiel die Freigabe von Schiffen, behandelt er binnen 30 Tagen. Die mündliche Verhandlung soll nicht mehr als zwei Tage in Anspruch nehmen, innerhalb von 14 Tagen liegt das Urteil vor, samt Begründung.

Verwaltung und Kanzlei sind auf derlei Schnellverfahren eingespielt, aber jede Zusammenkunft ist eine logistische Herausforderung, weil sie ad hoc organisiert werden muss. „Innerhalb kürzester Zeit müssen die Richter aus allen Teilen der Welt hier erscheinen“, erklärt Ximena Hinrichs, Chilenin deutscher Abstammung und Juristin in der Rechtsabteilung, „wir brauchen sehr kurzfristig sehr gute Simultandolmetscher. Es genügt nicht, dass sie Wirtschaftsprofis sind, sie müssen vor allem juristisch fit sein. Manchmal holen wir sie aus dem Urlaub.“

Das Gericht ist zuständig für internationale Streitfälle in Fragen der Schifffahrt, des Fischfangs oder der Abgrenzung von Hoheitsgebieten. Es entscheidet aber auch über Auseinandersetzungen um den Tiefseebergbau und den Schutz der Meeresumwelt.

Der Justizpalast auf dem Hochufer im Hamburger Westen ist ein angemessener Ort für eine höchste Instanz. Die Münchener Architekten Alexander Freiherr von Branca und Emanuela Freiin von Branca fanden ein glasklares Statement repräsentativer und doch vornehm-zurückhaltender Architektur, das 1989 den international ausgeschriebenen Wettbewerb gewann. Bis zum Baubeginn dauerte es neun Jahre, dann ging alles sehr schnell. Von den 123 Millionen Mark Baukosten übernahm der Bund, der auch Eigentümer des Grundstücks ist, 80 Prozent und die Hansestadt Hamburg den Rest. Die Unterhaltskosten tragen die Vertragsstaaten des Seerechtsübereinkommens.

„Wir sind stark beeindruckt von der stillen Erhabenheit dieses Hauses“, fand der damalige Oberste Richter Chandra-sekhara Rao aus Indien bei der Schlüsselübergabe im Jahr 2000. Der lichtdurchflutete, großzügig dimensionierte Bau umarmt dezent die historische Schröder’sche Villa, die jahrzehntelang allein im Park an der Elbchaussee thronte. Sie wurde entkernt, ihr Fundament fast drei Meter tiefer gelegt, ohne dass der Stuck Risse zeigt – eine bautechnische Meisterleistung.

Das Hauptgebäude mit drei Gerichtssälen, 25 Richterzimmern, elf Konferenzräumen und 74 Büros verströmt Offenheit, Würde und Grandezza. Die Diensträume der Richter mit Empfangsbereich, Privaträumen, Umkleideraum, Nasszelle und Pantry bieten teuersten Elbblick. Herzstück ist der Rundbau mit dem großen Sitzungssaal. Edle Hölzer prägen das Ambiente. Schweizer Birnbaum, Eiche und Pitchpine, tropisch ist hier nichts.


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mare No. 65

No. 65Dezember 2007 / Januar 2008

Von Emanuel Eckardt und Jesco Denzel

Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, lebt in Hamburg und arbeitet als freier Autor, unter anderem für Stern, Geo, Die Zeit und Merian. Der Autor entdeckte im Foyer des Seegerichtshofs Spuren der eigenen Familiengeschichte – das Modell des Piratenjägers „Wappen von Hamburg“, den 1738 ein Vorfahr Eckardts, der Schiffbauer Michael Iven, gebaut hatte.

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Vita Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, lebt in Hamburg und arbeitet als freier Autor, unter anderem für Stern, Geo, Die Zeit und Merian. Der Autor entdeckte im Foyer des Seegerichtshofs Spuren der eigenen Familiengeschichte – das Modell des Piratenjägers „Wappen von Hamburg“, den 1738 ein Vorfahr Eckardts, der Schiffbauer Michael Iven, gebaut hatte.
Person Von Emanuel Eckardt und Jesco Denzel
Vita Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, lebt in Hamburg und arbeitet als freier Autor, unter anderem für Stern, Geo, Die Zeit und Merian. Der Autor entdeckte im Foyer des Seegerichtshofs Spuren der eigenen Familiengeschichte – das Modell des Piratenjägers „Wappen von Hamburg“, den 1738 ein Vorfahr Eckardts, der Schiffbauer Michael Iven, gebaut hatte.
Person Von Emanuel Eckardt und Jesco Denzel