Die Schule der Seekrieger

In Annapolis drillt die US Navy ihren Nachwuchs. Nur wer die Nerven behält, macht Karriere

Cindy Crawford, formschöner und schwer verdienender Kleiderbügel, wurde einmal gefragt: „Was muss ein Topmodel beherrschen?" Und Cindy, überraschend hellsichtig: „Aufrecht am anderen Ende des Laufstegs ankommen." Sogar ihre Plattfüße wurden in dem Interview erwähnt: „Ein Hindernis?" Und Miss Crawford, die Fachfrau: „No problem." Auch damit könne man ganz nach oben gelangen.

Gut, dass Cindy nie an eine Karriere in der Navy dachte. Sie wäre gescheitert. Wie Poom, der Glücklose. Schon vor Jahren stieß ich auf seine Geschichte: Am 23. November 1942 wird der britische Dampfer „Benlomond" torpediert. Der Chinese Poom Lim ist der einzige Über-lebende. Auf einem kleinen Boot treibt er, Regenwasser trinkend und Fische fangend, knapp viereinhalb Monate im Pazifik, bis ihn am 3. April 1943 ein amerikanisches Fischerboot sichtet. Lim schafft es ins Buch der Rekorde: als Schiffbrüchiger, der am längsten auf dem Meer trieb. In die US Navy, für die er sich anschließend bewarb, schafft er es nicht: Wegen „flat feet", Plattfüßen, wird er nach Hause geschickt.

Sommer 2000, zwei Generationen nach Pooms großer Einsamkeit, beherbergt Annapolis, Hauptstadt des US-Bundesstaates Maryland, noch immer die „United States Naval Academy". Ich nähere mich dem Tor 1. Ein junger Kerl in Uniform steht mit geballten Fäusten und abstehenden Oberarmen daneben. Man ahnt die unterm Hemd lauernden Muskeln und fürchtet einen bellenden Roboter, der alles verweigert. Alles ganz anders. „Aye Aye, Sir", sagt er lässig und winkt mich durch. Ich hätte es wissen müssen: Die Starken sind cool, nur die Schwachen stänkern.

Der Ort strengt an, Sekunden später muss ich wieder umdenken, war ich doch auf einen betonkalten Kasernenhof gefasst und lande unter Linden, Pappeln, Fichten und Kastanienbäumen. Bald werde ich wissen, dass die meisten Gebäude hier unter Denkmalschutz stehen und das Gras der 140 Hektar zu den „zehn bestgepflegten Rasen der Vereinigten Staaten" gehört.

Ich wandere an den Rändern der Anlage entlang, wohlweislich an drei Seiten von Wasser begrenzt. Acht Uhr morgens, schon jagen die ersten Schnellgeher, Jogger und Radfahrer über das Gelände, kaum ein Laut zu hören, nur das Atmen ihrer heftig geforderten Lungen. Was auffällt: Sie lächeln, wenn sie einem über den Weg laufen. Vom ersten Tag an bin ich Zeuge, dass sie sich an ihr Motto halten: „excellence without arrogance", top sein, ohne zu protzen.

Am 10. Oktober 1845 wurde hier die erste „Naval School" der US-Marine eröffnet, ein lausiges Fort mit sieben erbärmlichen Baracken. Ein halbes Hundert Halbwüchsiger lebte in einer Bruchbude, in die im Winter Schnee fiel, der selten schmolz.

Das viele Wasser - der Severn River, der weiter südlich in den Atlantik fließt - beruhigte die Verantwortlichen. Die Gefahr, dass die Jugendlichen nachts nach Annapolis ausbrachen, um der Trunksucht und Unzucht zu verfallen, diese Gefahr schien geringer. Abzuschaffen war sie nie, denn hinter der Ostseite trennte kein Ozean vom Laster, nur eine lange, hohe Ziegelmauer. Noch heute gehört „climbing over the wall" zu den - gemein bestraften - Lieblingssünden der inzwischen 4000 Kadetten.

Gespräch mit Lieutenant Randy J. Roberge. Er ist mitverantwortlich für die gigantische Maschinerie der Zulassungsprozedur. Die Navy muss kämpfen: Der Verteidigungshaushalt wurde gekürzt, der zuverlässige Todfeind - die innig verteufelte Sowjetunion - ist tot, die Wallstreet schleudert von einem Hoch ins übernächste, sprich: Berufssoldat sein sichert Zukunft und Pension, doch ein paar schnelle Deals an der Börse überhäufen mit Glanz und Dollarhaufen. Noch nie standen die Zwölfjährigen - sie bekommen per Post die ersten Werbeschreiben der Navy - vor so vielen anderen Möglichkeiten.

Doch noch immer melden sich pro Jahr knapp 12000. Roberge sagt den einfachen Satz: „We don't want the weak", wir mögen keine Schwächlinge. Deshalb hat man sich ein diabolisches Aufnahmesystem ausgedacht, damit die Schwachen schon beim ersten Anlauf auf der Strecke bleiben. Die Vorvorbedingungen: nicht jünger als 17, nicht älter als 22, nicht verheiratet, nicht schwanger, nicht sorgepflichtig, nicht doof - „be bright" - und, aber ja: „of good moral character".


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mare No. 24

No. 24Februar / März 2001

Von Andreas Altmann und Tina Hager

Andreas Altmann, Reporter und Autor, lebt in Paris. 1992 erhielt er den Egon-Erwin-Kisch-Preis. Im Frühjahr erscheint bei Rowohlt sein neues Buch Im Herz das Feuer - unterwegs von Kairo in den Süden Afrikas. Dieses ist sein erster Beitrag für mare.

Die amerikanische Fotografin Tina Hager ist Mitglied der Fotoagentur Focus. Für mare fotografierte sie zuletzt die Piraten von Itapema in Brasilien (in mare No. 7)

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Vita Andreas Altmann, Reporter und Autor, lebt in Paris. 1992 erhielt er den Egon-Erwin-Kisch-Preis. Im Frühjahr erscheint bei Rowohlt sein neues Buch Im Herz das Feuer - unterwegs von Kairo in den Süden Afrikas. Dieses ist sein erster Beitrag für mare.

Die amerikanische Fotografin Tina Hager ist Mitglied der Fotoagentur Focus. Für mare fotografierte sie zuletzt die Piraten von Itapema in Brasilien (in mare No. 7)
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Vita Andreas Altmann, Reporter und Autor, lebt in Paris. 1992 erhielt er den Egon-Erwin-Kisch-Preis. Im Frühjahr erscheint bei Rowohlt sein neues Buch Im Herz das Feuer - unterwegs von Kairo in den Süden Afrikas. Dieses ist sein erster Beitrag für mare.

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