Die Schiffe seiner Träume

Caspar David Friedrich gilt als Maler einer weltabgewandten, von mystischer Romantik geprägten Sicht auf die Welt. Oder etwa doch nicht? Jüngere Forschung führt zu teilweise anderen Thesen

Schiffe, immer wieder Schiffe. Als „das Schönste, was je Menschenwitz hervorgebracht“, hat Caspar David Friedrich sie einmal beschrieben, und er malte sie sein ganzes Leben lang. In dichten Reihen im Hafen liegend oder weit draußen auf dem Meer segelnd, unerreichbar, die Segel aufgetürmt wie ferne Wolkenberge. Sie fahren hintereinander eine vom Mond beschienene Küste entlang oder steuern einsam im Nebel über die offene See. Mal schaut der Betrachter über das Deck eines im Wind krängenden Schiffes und glaubt, den Seegang förmlich spüren zu können. Mal wird er als Beobachter an den Rand einer grimmigen Eiswüste gerückt und sieht von dort aus, wie Eisschollen das Wrack eines Zweimasters unter sich begraben.

Als Friedrich 1840 stirbt, zeigt rund ein Drittel seiner Ölgemälde Schiffe und Boote. In das kollektive Gedächtnis geht der Künstler jedoch als Maler von Klosterruinen, Eichen und einsamen Kreuzen ein. Die Kunstgeschichte tut sich bis heute schwer damit, das Maritime in Friedrichs Schaffen umfänglich zu ergründen, sieht man von Inkunabeln wie „Auf dem Segler“ oder „Die Lebensstufen“ einmal ab. Friedrich gilt als Inbegriff des Künstlers der deutschen Romantik: melancholisch, religiös und weltabgewandt. Dieses Image prägt den Blick auf sein Werk. Und ein Gemälde, das ein Ruderboot zwischen Fischernetzen zeigt, bedient dieses Bild nicht ansatzweise so wie das eines Mönchs, der sinnend aufs Meer schaut. 

Für den schifffahrtshistorischen Laien birgt außerdem bereits die korrekte Beschreibung der Motive ihre Tücken, und wer irrtümlich einen mittelalterlichen Schiffstyp in Friedrichs Gemälde zu erkennen glaubt, dem gibt die Frage nach dem Bildthema berechtigterweise Rätsel auf.

Natürlich ist Friedrich auch der Maler, der die Natur erstmals als Metapher des Göttlichen in den Mittelpunkt der künstlerischen Wahrnehmung rückt. Er ist der „Mystiker mit dem Pinsel“, wie der schwedische Dichter Per Daniel Amadeus Atterbom schrieb, der ihn 1817 in Dresden besuchte. Er ist es jedoch nicht immerzu und ausschließlich. Darum lohnt es sich, diese altbekannten Pfade der Annäherung zu verlassen und sich aus Richtung der Schifffahrtsgeschichte und der Seemannschaft auf Friedrich zuzubewegen.

Schon seine Zeitgenossen glaubten, der Künstler habe die pommersche Küste besonders wirklichkeitsgetreu dargestellt, was Friedrich vor allem in jungen Jahren als „Maler Rügens“ bekannt machte. Die Fischerboote, die von dieser Küste aus in langen Reihen auf das Meer hinausfahren, wirken ebenso realistisch wie die Fregatten, die auf hoher See vor dem Wind durch die Wellen pflügen, oder die Galeassen, die nebeneinander in einem Hafen liegen. Masten, Rahen und Taue sind so detailreich dargestellt, dass man glaubt, einen Takelplan vor sich zu haben. Solche Darstellungen ließen auch noch in jüngerer Zeit manchen Autor davon ausgehen, dass hier ein „Marinemaler“ oder „Meister des schiffbaulichen Details“ am Werk gewesen sei. So und nicht anders, glaubt man, muss sich die Szene vor Friedrichs Augen abgespielt, so und nicht anders müssen die Fahrzeuge in Greifswald oder Stralsund im Hafen gelegen haben. 

Tatsächlich sind diese Ansichten jedoch allesamt Erfindungen. Entstanden sind sie fernab der Küste, hinter den halb geschlossenen Fensterläden von Friedrichs Atelier in Dresden. Sie wurden gemalt von einem Künstler, den man heute als „Shiplover“ bezeichnen würde, der aber weder etwas von praktischer Seefahrt noch von Schiffbau verstand. Friedrichs künstlerisches Genie und seine hervorragende Beobachtungsgabe gleichen diese Unkenntnis aus und lassen seine Gemälde realistisch scheinen, ohne die Realität zu zeigen.

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mare No. 141

mare No. 141August / September 2020

Von Sabine Cibura

Sabine Cibura hat mit C. D. Friedrich die Liebe zu Wasser und Segelschiffen gemeinsam. Sie ist an der Lahn aufgewachsen und lebt am Rhein, wo sie 2019 mit ihrer Arbeit über „Die Schiffe und Boote im Werk von Caspar David Friedrich“ promovierte. Als Seglerin ist ihr Blick auf Friedrich durchaus kritisch, als Kunsthistorikerin aber sind seine Schiffe für sie das romantische Sehnsuchtsmotiv schlechthin.

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Vita Sabine Cibura hat mit C. D. Friedrich die Liebe zu Wasser und Segelschiffen gemeinsam. Sie ist an der Lahn aufgewachsen und lebt am Rhein, wo sie 2019 mit ihrer Arbeit über „Die Schiffe und Boote im Werk von Caspar David Friedrich“ promovierte. Als Seglerin ist ihr Blick auf Friedrich durchaus kritisch, als Kunsthistorikerin aber sind seine Schiffe für sie das romantische Sehnsuchtsmotiv schlechthin.
Person Von Sabine Cibura
Vita Sabine Cibura hat mit C. D. Friedrich die Liebe zu Wasser und Segelschiffen gemeinsam. Sie ist an der Lahn aufgewachsen und lebt am Rhein, wo sie 2019 mit ihrer Arbeit über „Die Schiffe und Boote im Werk von Caspar David Friedrich“ promovierte. Als Seglerin ist ihr Blick auf Friedrich durchaus kritisch, als Kunsthistorikerin aber sind seine Schiffe für sie das romantische Sehnsuchtsmotiv schlechthin.
Person Von Sabine Cibura