Die patente Diva

Der Filmstar Hedy Lamarr war eine Hollywoodgöttin – mit einem Nebenjob. Im Zweiten Weltkrieg meldete sie ein Patent an, das seiner Zeit weit voraus war

Die schönste Frau der Welt hatte einen Plan. Am Abend würde ihr Gatte sie wie jeden Abend aus dem goldenen Käfig holen und sie mit ein, zwei der kostbaren Juwelen aus seinem Tresor behängen. Aber heute würde der österreichische Faschist Fürst Starhemberg zum Diner kommen, und ihr Mann Fritz Mandl würde ihm nur zu gern möglichst viele Waffen aus seiner Waffenfabrik verkaufen. Also schlug die schönste Frau der Welt dem Gatten vor, dass er sie heute ausnahmsweise mit allen Juwelen behänge, damit der Chef der Heimwehr beeindruckt und zu einem großen Geschäft ermuntert würde. Ihr Auftritt war eine Sensation. Von den Fingern bis ins Haar – nichts als Kristall, weiß, rot, blau, grün, Smaragde, Rubine, Diamanten, sie musste so viel wie ein Maharadscha gewogen haben. Vor dem Dessert entschuldigte sie sich für einen Moment. Kopfweh. Sie kam nicht zurück. Am Morgen war sie auf einem Schiff nach Übersee, samt den Juwelen, ihrer Schönheit, ihrer Klugheit, ihrem Talent.

So nahm 1937 das zweite Leben der Hedwig Eva Maria Kiesler seinen Lauf. Ihr erstes hatte am 9. November 1913 in Wien als Tochter eines jüdischen Bankiers und einer Pianistin begonnen. Hedwig erhielt nach ihrer Schulzeit Schauspielunterricht bei Max Reinhardt und bald darauf erste Rollen. 1933 drehte sie mit dem tschechischen Regisseur Machaty einen Film, der aus einem Grund, und nur aus einem, Geschichte schrieb: In „Ekstase“, „psychologische Studie einer sexuell frustrierten jungen Frau“, war sie minutenlang unvollständig bekleidet. Das war neu: eine Frau splitternackt beim Schwimmen im See, im Wald, Nahaufnahmen ihres Gesichts beim Orgasmus. (Ihr Ausdruck war nicht etwa Reinhardt-Schule, sondern Folge eines Nadelstichs in den Po, den ihr Machaty verpasst hatte.) Den Aufruhr kann man sich denken. Im selben Jahr heiratete sie den Waffenfabrikanten. Hitler und Mussolini sollen bei Besuchen in der Villa Mandl entzückt gewesen sein.

Ihre Flucht vor dem verhassten Gatten machte viel Trara. Der war auch Louis B. Mayer nicht entgangen, dem gottgleichen Filmproduzenten, Mitgründer von Metro Goldwyn Mayer und Goldesel, der mit dem gleichen Schiff wie sie nach Amerika fuhr. Die beiden wurden sich in seiner Suite schnell einig. 150 Dollar die Woche – ein Managergehalt damals –, aber der Name … ein neuer müsste her. Angesichts ihrer dunklen Haarpracht fiel dem MGM-Boss eine andere brünette Schöne ein: sein früherer Lieblingsstummfilmstar Barbara La Marr, 1926 an den Folgen ihrer Heroinsucht mit 29 Jahren verstorben. Bei ihrer Ankunft in Amerika hieß Hedwig Kiesler „Hedy Lamarr“.

Von nun war sie für ein Jahrzehnt der Inbegriff des Stars, ihr Stil wurde weltweit kopiert. Die meisten ihrer Filme waren Megahits und brachten MGM märchenhafte Gewinne. Zeitungen und Illustrierte nannten sie „die schönste Frau der Welt“, zu Hause in Tausenden Uniformtaschen, Glücksbringerin auf Bombern, Rekordverkäuferin von Kriegsanleihen – sieben Millionen Dollar an einem Abend, weil sie jedem Anleihezeichner einen Kuss versprochen hatte. Ende der Vierziger war sie auf dem Gipfel ihres Erfolgs: in „Samson und Delilah“ an der Seite von Victor Mature als biblischem Muskelprotz. Bei der Premiere sagte Groucho Marx den Reportern, er möge Filme nicht, in denen die Brüste der Männer größer seien als die der Frau.

Das saß. Brüste – sie waren die Vorzeichen eines neuen Frauentyps: Sexbomben, die in Shows begrüßt wurden mit den Worten „Hier sind sie: Jayne Mansfield!“ oder „Größer geht’s nicht: Jane Russell!“. Die modischen Atombusen machten die schönste Frau der Welt glauben, dass sie einen Makel hätte. Einen eher kleinen.

Vielleicht suchte sie Rat bei einem Gespräch über den Gartenzaun in Beverly Hills mit dem Nachbarn. George Antheil war eigentlich Komponist, hatte sich aber einen Namen gemacht mit einem Buch über Hormone und viel gelesenen Zeitschriftenartikeln über ein Trendthema: Brustvergrößerung mit Hormoncremes.
Die beiden müssen viel gemeinsame Zeit verbracht haben. Aus der Busenfreundschaft entstand tatsächlich Großes. Im April 1942 reichten das Pin-up und der Avantgardemusiker beim US-Patentamt einen brisanten Antrag ein. Er enthielt die Beschreibung eines „Systems für geheime Kommunikation“, ein Verfahren zur verschlüsselten Funkfernsteuerung von Torpedos. Tatsächlich hatten die beiden heimlich in monatelanger Nachtarbeit eine Erfindung gemacht, die kriegsentscheidend sein könnte. Ihre Patentschrift zeigte detailliert, wie Funkwellen die Ruderbefehle von Schiffen oder hoch fliegenden Flugzeugen zu den Torpedos übermitteln: ein 100-Hertz-Ton für „Ruder backbord“, ein 500-Hertz-Ton für „Ruder steuerbord“. Neu war an der Erfindung eben jener „Frequenzsprung“. Dieser sollte von Lochstreifen nach der Art mechanischer Klaviere erzeugt werden – was Feinden das Abhören oder Stören des Signals unmöglich machen würde.

Wie sie darauf kamen, ist unklar. Lochstreifen kannte Antheil bereits. Bei der Uraufführung seines Skandalwerks „Ballet mécanique“ zu Fernand Légers gleichnamigem Film 1926 in Paris steuerten sie 16 mechanische Klaviere, Schlagzeuge, Sirenen und Propeller. Und womöglich hatte die politisch aktive Nazi-Gegnerin Lamarr schon bei Gesprächen im Haus ihres Waffenfabrikantengatten vom „Frequenzsprung“ gehört – deutsche Forscher arbeiteten an ähnlichen Verfahren.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 65. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 65

No. 65Dezember 2007 / Januar 2008

Von Karl J. Spurzem

Karl J. Spurzem, Jahrgang 1959, Chef vom Dienst bei mare, hält seit seinen Recherchen zum Thema die Ästhetik der vierziger Jahre für unterschätzt. Er rechnet mit einem baldigen Revival.

Mehr Informationen
Vita Karl J. Spurzem, Jahrgang 1959, Chef vom Dienst bei mare, hält seit seinen Recherchen zum Thema die Ästhetik der vierziger Jahre für unterschätzt. Er rechnet mit einem baldigen Revival.
Person Von Karl J. Spurzem
Vita Karl J. Spurzem, Jahrgang 1959, Chef vom Dienst bei mare, hält seit seinen Recherchen zum Thema die Ästhetik der vierziger Jahre für unterschätzt. Er rechnet mit einem baldigen Revival.
Person Von Karl J. Spurzem