Die Mutter aller Meere

Die Küsten des Schwarzen Meeres werden neu entdeckt. Eine Vorschau auf den neuen mare-Bildband

Mit der Zeitenwende kehrten Zuversicht und Stolz auf die uralte Kultur an das Schwarze Meer zurück. Die Fotografin Vanessa Winship porträtierte über Jahre hinweg die Menschen an den Küsten dieses charaktervollen Meeres. Eine Vorschau auf den neuen mare-Bildband

Das Schwarze Meer ist die Bühne der Weltgeschichte seit Menschengedenken. Will man einer populären These unserer Tage folgen, dann ist seine Entstehung zunächst die Folge einer immensen Katastrophe: der Sintflut, die seit biblischen Zeiten in unser Gedächtnis geschrieben ist. Auch das Wort Meer haben wir dieser Niere an der Grenze zwischen Europa und Asien zu danken, denn das uralte Sanskritwort meru ist nichts anderes als der vorderindische Name dieser See. Noch viel älter als ihre Namen sind die Wurzeln ziviler Kultur, die wir an den Ufern des Schwarzen Meeres vermuten. Langsam dringt Licht ins Dunkel der Vincakultur an Bulgariens Küste; es schwächt die alte Auffassung, die Wiege der Zivilisation habe zum ersten Mal um 3300 v. Chr. im Zweistromland geschaukelt. Die Keramiktafeln dieser Urahnen der Thraker sind nämlich deutlich älter als die der Sumerer, sie lassen sich auf das sechste Jahrtausend v. Chr. datieren.

In gewaltigen Wellen strömten in der Folge Völker ans Schwarze Meer und begründeten Gesellschaften, deren Spuren uns bis heute leiten. Eine frühe Blüte beschrieb uns Herodot, der erste Reporter der Geschichtsschreibung: die Klassik des Altertums, die höchste Leistungen menschlicher Erkenntnis gebar und sich beträchtlich aus dem kulturellen Austausch mit den Völkern am Schwarzen Meer nährte. Seither haben die Menschen an seinen Ufern, immer wieder zurückgeworfen von Feuer und Finsternis, Handel betrieben, Bücher geschrieben und gelesen, Ideen aus fernen Städten diskutiert, geforscht und Städte errichtet, in denen sie einander mordeten und in Verliese steckten, haben Reiche gegründet und Reiche zerstört – bis in der Neuzeit das Schwarze Meer in tiefen Schlaf fiel.

Heute, nach den Verwerfungen und Zumutungen der jüngsten Geschichte des Schwarzen Meeres, besinnen sich die Bewohner seiner Küsten auf dieses gemeinsame Erbe, und daraus wächst Hoffnung auf eine Renaissance. Das vergessene Meer kehrt zurück in unser Bewusstsein.

Der neue mare-Bildband „Schwarzes Meer“

Stille Fischerdörfer, monumentale Prachtbauten oder stolze Preisringer – auf ihren insgesamt acht Reisen durch die sechs Anrainerstaaten suchte die britische Fotografin Vanessa Winship immer neue Ansichten eines alten Meeres. In meisterhaftem Umgang mit dem Licht gelangen ihr Bilder voller Melancholie und tiefer Ruhe. Ihre Porträts zeigen Menschen, die sich auf geheimnisvolle Weise stets unbemerkt zu fühlen scheinen, und die Impressionen von höchst verschiedenen Küsten lassen beinahe vergessen, dass sie durch das Schwarze Meer mit seiner großen, uralten Geschichte miteinander verbunden sind.

Der Bildband ist im Buchhandel oder über mare erhältlich.

mare No. 64

No. 64Oktober / November 2007

Von Karl J. Spurzem und Vanessa Winship

Die britische Fotografin Vanessa Winship, lange Zeit in Istanbul zu Hause und kundig auf allen Terrains rund ums Schwarze Meer, dokumentierte während vieler Reisen die Erweckung dieser Landschaften und porträtierte über Jahre hinweg die jungen Nationen. Mithilfe ihrer Kunst fand sie einen Weg, sich leise den Menschen zu nähern und ungeschminkte, von Respekt zeugende Bilder des Schwarzen Meeres und seiner Küstenbewohner zu schaffen, Bilder voller Kraft und Verinnerlichung, intim, tief, mit einem melancholischen Zug.

Karl Spurzem, geboren 1959 im Rheinland, studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Städtebau. Nach Stationen bei der Berliner Tageszeitung Die Welt, einer Hamburger Musikzeitschrift und als freier Journalist wurde er im Sommer 2001 Chef vom Dienst bei mare, im Frühjahr 2008 stellvertretender Chefredakteur und Textchef. Seither lernt der Segelflieger das Segeln.

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Vita Die britische Fotografin Vanessa Winship, lange Zeit in Istanbul zu Hause und kundig auf allen Terrains rund ums Schwarze Meer, dokumentierte während vieler Reisen die Erweckung dieser Landschaften und porträtierte über Jahre hinweg die jungen Nationen. Mithilfe ihrer Kunst fand sie einen Weg, sich leise den Menschen zu nähern und ungeschminkte, von Respekt zeugende Bilder des Schwarzen Meeres und seiner Küstenbewohner zu schaffen, Bilder voller Kraft und Verinnerlichung, intim, tief, mit einem melancholischen Zug.

Karl Spurzem, geboren 1959 im Rheinland, studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Städtebau. Nach Stationen bei der Berliner Tageszeitung Die Welt, einer Hamburger Musikzeitschrift und als freier Journalist wurde er im Sommer 2001 Chef vom Dienst bei mare, im Frühjahr 2008 stellvertretender Chefredakteur und Textchef. Seither lernt der Segelflieger das Segeln.
Person Von Karl J. Spurzem und Vanessa Winship
Vita Die britische Fotografin Vanessa Winship, lange Zeit in Istanbul zu Hause und kundig auf allen Terrains rund ums Schwarze Meer, dokumentierte während vieler Reisen die Erweckung dieser Landschaften und porträtierte über Jahre hinweg die jungen Nationen. Mithilfe ihrer Kunst fand sie einen Weg, sich leise den Menschen zu nähern und ungeschminkte, von Respekt zeugende Bilder des Schwarzen Meeres und seiner Küstenbewohner zu schaffen, Bilder voller Kraft und Verinnerlichung, intim, tief, mit einem melancholischen Zug.

Karl Spurzem, geboren 1959 im Rheinland, studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Städtebau. Nach Stationen bei der Berliner Tageszeitung Die Welt, einer Hamburger Musikzeitschrift und als freier Journalist wurde er im Sommer 2001 Chef vom Dienst bei mare, im Frühjahr 2008 stellvertretender Chefredakteur und Textchef. Seither lernt der Segelflieger das Segeln.
Person Von Karl J. Spurzem und Vanessa Winship