Die maritime Zeitmaschine

1931 stellte der Brite Alister Hardy eine geniale Erfindung vor, mit der bis heute die Menge an Plankton im Meer gemessen wird. Damit ließ sich zum ersten Mal das wichtigste Glied der Nahrungskette quantifizieren und damit die Gesundheit des Lebensraums

Lance Gregory arbeitet länger als irgendjemand sonst bei der britischen Marine Biological Association. In der Alten Zitadelle von Plymouth, im 14. Jahrhundert als Fort zur Verteidigung des Hafens erbaut, hat sie ihren Sitz. Seit 1997 arbeitet er dort als Ingenieur. Deutlich älter, 90 Jahre, ist das Gerät, um das sich bei Gregory und seinen Kollegen alles dreht: der Continuous Plankton Recorder, kurz CPR, zu deutsch „kontinuierliches Plankton-Aufzeichnungsgerät“.

Der Metallkasten von einem Meter Länge erinnert mit seiner spitzen Nase an einen Torpedo. In zehn Meter Tiefe lassen Gregory und seine Kollegen den CPR von Fähren, Tankern, Containerriesen oder Kreuzfahrtschiffen durch das Meer ziehen. In die vordere Öffnung strömt Wasser ein, das durch ein seidenes Band, von einer propellergetriebenen Spule entrollt, gefiltert wird. In den feinen Maschen bleibt das Plankton hängen. Ein zweites Seidenband, von einer weiteren Spule entrollt, bedeckt die gefangenen Organismen, ehe das nun doppelte Band zur Konservierung in einem Tank mit Formalin landet. Im Labor wird das Band dann zur Untersuchung in Proben geteilt, die jeweils zehn Nautischen Meilen, etwa 19 Kilometer, entsprechen.

Plankton, winzige Meeresorganismen, die sich schwebend mit den Wasserströmungen fortbewegen, bildet das erste Glied der Nahrungskette. Es ist damit Indikator für die Gesundheit des Lebensraums Meer. Schwankungen in seinem Bestand wirkt sich auf alle folgenden Glieder der Kette aus.

„Der Continuous Plankton Recorder ist wie eine Zeitmaschine“, sagt Gregory. Die winzigen Räder im Inneren beruhen auf feinem Uhrmacherhandwerk des 18. Jahrhunderts. Und auch die Seidenbänder, auf denen sich die winzigen Lebewesen verfangen, werden heute noch nach demselben Muster genäht wie 1931, als die beiden britischen Meeresforscher Alister Hardy und Cyril Lucas den Continuous Plankton Recorder serienreif zusammenbauten. Bis auf einige kleinere Anpassungen ist der CPR seit jenem Jahr unverändert im Einsatz.

Natürlich gibt es heute bessere technische Möglichkeiten, die Ausbreitung von Plankton zu beobachten, etwa durch den Einsatz hochauflösender Kameras in Beobachtungssatelliten. Eines fehlt allen modernen Messmethoden allerdings: das Wissen der Vergangenheit. Ob ein Messergebnis nur eine Momentaufnahme oder einen langfristigen Trend abbildet, zeigt sich erst beim Blick auf den untersuchten Zeitraum. Und eine ununterbrochene Messung der Planktonentwicklung seit nunmehr 63 Jahren liefert nur der CPR. „Das ist einzigartig“, schwärmt Gregory. „Er ist damit trotz seines Alters von enormem Nutzen für Meeresbiologen weltweit.“Die Forscher verlassen sich dabei auf ein Netz von Freiwilligen aus der Schifffahrtsbranche: Reeder, die sich bereit erklären, einen CPR von ihren Schiffen ziehen zu lassen; Hafenbetreiber, die ihnen Zutritt gewähren, um die Ergebnisse, die mit Plankton beschichteten Seidenrollen, zu entnehmen. „Das sind meist Enthusiasten, die sich freuen, einen Teil zur Erforschung der Meere beitragen zu können.“ Als Belohnung gebe es dann Schokoladentafeln oder Kaffee für die Crew. „Manchmal“, so Gregory, „zahlen wir auch etwas in einen Hilfsfonds für in Not geratene Besatzungsmitglieder ein.“

Die Marine Biological Association ist eine Stiftung, die von verschiedenen Regierungen, unter anderen der britischen, kanadischen und norwegischen, von mehreren Forschungsinstituten sowie durch private Spenden finanziert wird. Auch die EU-Kommission beteiligt die Datensammler aus England regelmäßig bei großen Forschungsaufträgen. Auf rund 750 000 Pfund belaufen sich die jährlichen Zuwendungen insgesamt, etwa 850 000 Euro.

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mare No. 145

mare No. 145April / Mai 2021

Von Frank Odenthal

Frank Odenthal, geboren 1971, lebt als freier Journalist in Lörrach. Im Rahmen der Recherche zu diesem Text stellte er fest, dass er in der Vergangenheit, ohne es zu wissen, mehrmals Fähren benutzt hat, die einen Planktonrekorder hinter sich durchs Meer zogen.

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Vita Frank Odenthal, geboren 1971, lebt als freier Journalist in Lörrach. Im Rahmen der Recherche zu diesem Text stellte er fest, dass er in der Vergangenheit, ohne es zu wissen, mehrmals Fähren benutzt hat, die einen Planktonrekorder hinter sich durchs Meer zogen.
Person Von Frank Odenthal
Vita Frank Odenthal, geboren 1971, lebt als freier Journalist in Lörrach. Im Rahmen der Recherche zu diesem Text stellte er fest, dass er in der Vergangenheit, ohne es zu wissen, mehrmals Fähren benutzt hat, die einen Planktonrekorder hinter sich durchs Meer zogen.
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