Die Manns und das Meer

Auf die eine oder andere Weise, mal tragisch, mal euphorisch, die eine mehr, der andere weniger: Thomas Mann und die Mitglieder seiner Familie hatten sämtlich eine prägende Beziehung zu den Ozeanen. Sie fand in vielen ihrer literarischen Werke Ausdruck

Keine deutsche Familie ist so gut erforscht wie die Manns. Jedes schriftliche Dokument, jede Tonaufnahme, alles ist archiviert, kommentiert, psychologisch durchleuchtet. Und doch gibt es immer noch neue Aspekte hinzuzufügen. mare nimmt sich nun der maritimen Seite der großen Dichterfamilie an. Elisabeth Mann Borgese (1918 –2002), jüngste Tochter von Thomas und Katia Mann, ist die Frau des Meeres par excellence. Sie hat ihr Leben den Ozeanen gewidmet, als Ökologin gearbeitet und als Seerechtsexpertin auf politischer Ebene für den Schutz der Meere gekämpft. Aber auch die anderen Familienmitglieder waren den Meeren zugeneigt oder wurden von ihnen geprägt, nicht immer im positiven Sinn. Heinrich (1871–1950) und Thomas Mann (1875 –1955), die beiden ungleichen Brüder, verbrachten die Sommer ihrer Kindheit in Travemünde, die Hansestadt Lübeck war ihnen Heimat. Thomas und seine Frau Katia (1883 –1980) entdeckten die Kurische Nehrung nach einem Vortrag, den Thomas Mann in Königsberg hielt. In Nidden bauten sie schließlich ein Haus, das sie von 1930 an während dreier Sommer bewohnten. Die beiden ältesten Kinder Erika (1905 –1969) und Klaus (1906 –1949) waren Weltenbummler, vor allem die Côte d’Azur hatte es ihnen angetan. Als die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kamen, emigrierte die gesamte Mann-Familie in die USA, auf unterschiedlichen Routen. Heinrich und seine Frau Nelly flohen gemeinsam mit dem Neffen Golo (1909 –1994) über die Pyrenäen nach Lissabon und von dort nach New York, um dann nach Kalifornien weiterzuziehen, wo Thomas und Katia in Pacific Palisades bei Los Angeles ein Haus bauten. Heinrich starb denn auch zehn Jahre später in Santa Monica. Die Flucht über den Atlantik verlief für das drittjüngste der Mann-Kinder katastrophal: Monika Manns (1910 –1992) britisches Schiff „City of Benares“ wurde von einem deutschen U-Boot torpediert und sank. Ihr Mann Jeno˝ Lányi ertrank, Monika hörte seine Rufe über das Wasser schallen. Ab 1954 lebte sie für drei Jahrzehnte auf der Insel Capri. Auch Michael Mann (1919 –1977) liebte Süditalien; er bevorzugte die Nachbarinsel Ischia, wo er viele Sommer verbrachte. Für Klaus war das Mittelmeer Jahre zuvor zu seinem Abschiedsort geworden. 1949 setzte er seinem Leben in Cannes mit einer Überdosis Schlaftabletten ein Ende; er liegt auch dort begraben. In den Texten der schreibenden Mitglieder der Familie taucht das Meer immer wieder auf, als Sehnsuchtsort, als Erinnerungspunkt, als Projektion. Nicht nur im „Tod in Venedig“, aber dort natürlich zuvorderst. 

mare No. 101

No. 101Dezember 2013 / Januar 2014

Von Zora del Buono

Die Zürcherin und Architektin Zora del Buono betreut gemeinsam mit Martina Wimmer das Kulturressort von mare. Sie ist Gründungsmitglied der Zeitschrift und hat im mareverlag die Romane Canitz' Verlangen (2008) und Big Sue (2010) veröffentlicht. Im Herbst 2011 erschien ihr literarisches Reisebuch Hundert Tage Amerika. Begegnungen zwischen Neufundland und Key West.

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Vita Die Zürcherin und Architektin Zora del Buono betreut gemeinsam mit Martina Wimmer das Kulturressort von mare. Sie ist Gründungsmitglied der Zeitschrift und hat im mareverlag die Romane Canitz' Verlangen (2008) und Big Sue (2010) veröffentlicht. Im Herbst 2011 erschien ihr literarisches Reisebuch Hundert Tage Amerika. Begegnungen zwischen Neufundland und Key West.
Person Von Zora del Buono
Vita Die Zürcherin und Architektin Zora del Buono betreut gemeinsam mit Martina Wimmer das Kulturressort von mare. Sie ist Gründungsmitglied der Zeitschrift und hat im mareverlag die Romane Canitz' Verlangen (2008) und Big Sue (2010) veröffentlicht. Im Herbst 2011 erschien ihr literarisches Reisebuch Hundert Tage Amerika. Begegnungen zwischen Neufundland und Key West.
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