Die Kinder der „Graf Spee“

1939 ließ ein deutscher Kapitän sein Panzerschiff versenken. Ein Besuch bei den letzten Überlebenden in Argentinien

Am Strand von Montevideo erstürmen Schulkinder ein Relikt aus vergangenen Tagen. Den jungen Uruguayern verspricht es mehr Verlockung als das Klettergerät auf dem benachbarten Kinderspielplatz: Sie erklimmen den Lauf eines ausrangierten Fünfzehn-Zentimeter-Kalibers und versuchen, eingerostete Schalthebel zu bewegen. Doch 60 Jahre Salzwasser haben dem geborgenen Geschütz des versunkenen Panzerschiffs „Admiral Graf Spee“ mächtig zugesetzt.

Nun, vor der Haustür des Marinemuseums, sieht sich auch die Bedeutung der Waffe der Zernagung ausgesetzt. Das, woran der Nachwuchs sein Turnvergnügen absolviert, war für eine andere Jugend einst lebensgefährliche Dienststelle.

Gerade volljährig, steht im Morgengrauen des 13. Dezember 1939 Hans-Georg Krase am Mittelbatterie-Geschütz an Bord der „Graf Spee“. Seit sechs Uhr sieht sich der Matrosenhauptgefreite vor die nervenaufreibende Aufgabe gestellt, den Beschuss der englischen Kreuzer „Achilles“ und „Ajax“ abzuwehren. Gemeinsam mit dem Kreuzer „Exeter“ hat der britische Verband das deutsche Panzerschiff unweit der Mündung des Río de la Plata überrascht. Die erste Seeschlacht des Zweiten Weltkriegs ist entbrannt.

Die „Graf Spee“ besitzt die stärkeren Waffen. Nach kurzer Zeit ist die „Exeter“ außer Gefecht gesetzt. Doch „Ajax“ und „Achilles“ bleiben der „Graf Spee“ auf den Fersen. Ohrenbetäubend reißt eine Granate ein metergroßes Loch in ihr Vorschiff. Mittschiffs erhält die Kombüse einen Treffer. Aggregate werden zertrümmert, Mannschaften zerfetzt. Blut spritzt über die Decks, Leichenteile wirbeln durch die Luft. Das Schreien Schwerverletzter gellt zwischen dem Pfeifen nahender Geschosse. Dasselbe Grauen an Bord der „Ajax“; um 7.38 Uhr nebelt sich das britische Schiff ein und bricht das Gefecht ab. Hans-Georg Krase hat Glück, er ist unverletzt. Auf der „Graf Spee“ schwindet die Siegesgewissheit. Hitlers Kampfschiff, für unbezwingbar gehalten, ist schwer angeschlagen.

Pensionär Hans-Georg Krase nippt an seiner Kaffeetasse. Wie immer dienstagvormittags sitzt er im Kreis ehemaliger Bordkameraden im „Cuervo Rojo“, dem größten Gasthaus in der Ortschaft Villa General Belgrano. Hier, im Landesinneren Argentiniens, knapp achthundert Kilometer westlich des einstigen Gefechtsortes, treffen sich neun Altmannen drei Mal die Woche: „Das ist die ,Speejugend‘!“, bestätigt Hans-Georg Krase. „Jedenfalls die, die noch da ist“, ergänzt sein Tischnachbar Gerhard Ruhkieck. Ruhkieck saß an Bord der „Graf Spee“ in der Artillerierechenstelle und lieferte Krase während des Gefechts die radargemessenen Angaben über die Entfernung der britischen Schiffe: „Damit die Granate auch saß!“

In Villa General Belgrano sind die ansässigen deutschen Matrosen für ihre Nachkommen ein Wirtschaftsfaktor. Zwischen Hotel „Bremen“ im Osten des Dorfes und Café „Rissen“ im Westen, zwischen deutschem Skatclub und Bierbrauerei „Munich“ offenbart dies auf der Hauptstraße die hölzerne Schnitzerei: „Graf Spee – exclusivo“.

Das rustikale Schild ist Werbung für das Sortiment eines Souvenirladens. Drin finden sich Videos, Bücher, Fotos, Gemälde und Wandteller zwischen Bundeswappen und Bierseideln. Und immer wieder der Name „Graf Spee“. Im Ort blüht das Tourismusgeschäft mit einem inszenierten Kuriosum: Alles im Dorf, von der Architektur bis zum Zuckerwerk auf Tortenstücken, ist Bestandteil eines aus vielen Klischees zusammengesetzten Deutschland-Bildes.

„Auf der ,Spee‘ gab’s mehr Bayern als Saupreußen“, kommentiert Ruhkieck das neo-alpine Ambiente im Dorf. Ein Oktoberfest, das der deutschen Enklave in Argentinien den Namen „Stadt des Bieres“ einbrachte, ist für die Einheimischen alljährlicher Kassenschlager.

Doch aus welcher deutschen Kultur wird hier Kapital geschlagen? Urheber manch düsterer Befürchtung waren die im Ort lebenden Matrosen zumeist selbst. Entsprechend gereizt reagieren sie mitunter auf die Fragen Fremder: „Ich hab’ zu dem einen Juden gesagt, er soll aufpassen“, platzt es Ruhkieck beim Kaffeeplausch heraus: „Nicht alle Deutschen waren Nazis!“


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mare No. 24

No. 24Februar / März 2001

Von Elmar Hess

Elmar Hess, Jahrgang 1966, ist freischaffender Künstler und Regisseur und lebt in Hamburg. Zuletzt schrieb er in mare No. 13 über den Passagierdampfer „America“, der vor Fuerteventura strandete.

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Vita Elmar Hess, Jahrgang 1966, ist freischaffender Künstler und Regisseur und lebt in Hamburg. Zuletzt schrieb er in mare No. 13 über den Passagierdampfer „America“, der vor Fuerteventura strandete.
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Vita Elmar Hess, Jahrgang 1966, ist freischaffender Künstler und Regisseur und lebt in Hamburg. Zuletzt schrieb er in mare No. 13 über den Passagierdampfer „America“, der vor Fuerteventura strandete.
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