Die Jäger des Thuns

Der baskische Fischer Melchor Amunariz kämpft für das Handwerk seiner Väter

Der Tourismus hat die schmalen Gassen und alten Kneipen in Beschlag genommen. Der Fischereihafen, über Jahrhunderte das Herz des baskischen Städtchens Fuenterrabia, ist an den Rand gedrängt worden, dorthin, wo auch die neuen, hässlichen Wohnblöcke stehen. In einem von ihnen lebt Melchor Amunariz mit seiner Frau und zwei Kindern. Morgens um zehn steht er am Hafen unten. Dort treffen sich die Eigner und Kapitäne der zehn Fischkutter, die noch dem traditionellen Gewerbe nachgehen: die Jagd nach dem Thunfisch. Sie beraten die Wetterlage, tauschen Informationen aus.

Die alten Fischer tragen ihre Baskenmützen. Melchor Amunariz, der jüngste unter ihnen, ungekämmt, Vollbart, abgetragener, hellblauer Trainingsanzug, gleicht eher einem unausgeschlafenen Touristen. Dabei ist keiner so qualifiziert wie er, das alte Handwerk weiterzuführen. Nach Abitur und Ingenieurschule beschwor ihn der Vater, das Meer zu lassen und auf dem Land eine sichere Arbeit zu suchen.

Doch Melchor machte seinen Steuermann und das Kapitänspatent, vor fünf Jahren übernahm er die „Izarzuri“, das Schiff seines Vaters. Und als ich ihn fragte, wieso er das Angebot der EU nicht angenommen habe, eine halbe Million Mark, wenn er das Schiff verschrotten und das Fischen sein ließe, sagte er bloß: „Komm mit“.

Und jetzt lässt das Tief über Irland die Wellen tanzen. Der 640-PS-Mitsubishi-Motor hält die Schiffsschraube bei 287 Umdrehungen in der Minute. Im Golf von Biskaya, am Rand der Kontinentalplatte, jagt die „Izarzuri“, 32 Meter lang, 6,40 breit, den Thunfisch. Melchor hat das Ruder der Automatik übergeben. Der Blick aus geröteten Augen ist auf den Bildschirm geheftet. Dort erscheinen farbige Kleckse. Bonito, der weiße Thunfisch.

Melchor fährt den Motor zurück, setzt die Pumpe in Gang, die aus dünnen Rohren eine Gischtwand ins Meer setzt. Sieben Mann holen ihre Fünf-Meter-Ruten aus der Verankerung, die anderen sieben stecken die Sardellen an die Angel und warten darauf, die Beute aufzuspießen und an Bord zu hieven. Gebückt stehen die Männer an der Reling und klammern sich an ihren Ruten fest. Jetzt hört man nur noch das Surren der Tiefkühlanlage, das Rauschen des Vorhanges aus Wasser, der den Fischen die Sicht auf ihre Jäger nehmen soll, und das halblaute Gefluche des Kapitäns.

„Passt auf! Ich drehe jedem den Hals um, der einen einzigen Fisch entwischen lässt. Das warnt die anderen, und aus ist es mit dem Fang.“

Kein Thun beißt an. Melchor Amunariz stellt die Pumpe ab, dreht den Motor auf und verwandelt sich wieder in einen ruhigen, liebenswürdigen Menschen, Familienvater und braver Ehemann, Baske aus Stolz, Fischer aus Tradition. Er knurrt die farbigen Klötze an, die im piepsenden Takt des Echolots auf der Mattscheibe aufblinken. „Eins zu null für euch.“ Er hebt die Arme und lässt sie, mit der geduldigen Nachsicht eines Generals, der weiß, dass noch viele Schlachten folgen werden, wieder fallen. „Sie sind nicht hungrig. Bei uns hat der Fisch immer eine Chance.“

Und dann drängt sich eine zornige Besorgnis vor, für die das runde, jugendliche Gesicht des 36jährigen Kapitäns der „Izarzuri“ gar nicht geschaffen scheint. „Im Gegensatz zu den mörderischen Schleppnetzen der Franzosen. Die haben im Golf von Biskaya die Brasse ausgerottet und den Meerhecht dezimiert. Jetzt sind sie hinter dem Thunfisch her, fischen ihn nächtens aus der Tiefe, und wenn es so weiter geht, ist unser Meer in zehn Jahren so leer wie eine Wüste.“


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mare No. 2

No. 2Juni / Juli 1997

Von Ruedi Leuthold und Fernando Moleres

Fernando Moleres, Jahrgang 1963, arbeitet seit über 25 Jahren als freier Fotograf. Seine Arbeiten reflektieren hauptsächlich Menschenrechtsthemen. Er wird durch die Agenturen Panos, Laif und Luz Photos vertreten.

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Vita Fernando Moleres, Jahrgang 1963, arbeitet seit über 25 Jahren als freier Fotograf. Seine Arbeiten reflektieren hauptsächlich Menschenrechtsthemen. Er wird durch die Agenturen Panos, Laif und Luz Photos vertreten.
Person Von Ruedi Leuthold und Fernando Moleres
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