Die geheime Flotte des Vietkong

Auf dem legendären Ho-Chi-Minh-Pfad brachte Nordvietnam Waffen und Soldaten an die Front. Kaum bekannt ist, dass der klandestine Transport auch zur See funktionierte

Es ist der 16. Februar 1965, Thuy Hoa, Zentralvietnam. Lieutenant James S. Bowers, Medical-Evacuation-Pilot der US-Luftwaffe, fliegt einen Rettungseinsatz an der Küste. Direkt über der Bucht von Vung Ro bemerkt er eine kleine Insel. Um 10.30 Uhr schaut er erneut über die Bucht und stutzt: Die Position der Insel hat sich verändert.

Die folgenden Ereignisse gehen als Vung-Ro-Bucht-Zwischenfall in die Geschichte des Vietnamkriegs ein: Bowers erkennt in dem Eiland eine mit eingetopften Bäumen und Sträuchern getarnte Dschunke. Im Bombenhagel der herbeigerufenen südvietnamesischen Streitkräfte sinkt das Schiff direkt vor dem Strand, wo man auf seine Fracht wartet.

Erst drei Tage später sind Schiffswrack und Strand gegen heftigen Widerstand erobert. Kurz darauf türmen sich 100 Tonnen Kriegsmaterial sowjetischer und chinesischer Herkunft am Ufer. Eine lange gehegte Vermutung der US-Militärs wird Gewissheit: Die kommunistische Guerillaorganisation Nationale Front für die Befreiung Südvietnams, kurz Vietkong genannt, unterhält mithilfe der nordvietnamesischen Volksarmee nicht nur einen Nachschubweg zu Land, sondern auch einen zur See: den maritimen Ho-Chi-Minh-Pfad.

Ho-Chi-Minh-Stadt, Vietnam. Die Fünf-Millionen-Metropole brodelt unter ihrer Smogglocke, heiß, feucht und abgasschwanger. Unzählige Mopeds verstopfen den Boulevard Hung Vuong. Hier wohnt Nguyen Van Duc. Er hat sein Xe Moto in der Küche geparkt, direkt unter dem Ahnenaltar. „In meiner Jugend war ich Fischer“, erzählt er und lauscht dem gedämpften Straßenlärm des ehemaligen Saigon. „Doch 1957 verhaftete die antikommunistische Polizei meinen Vater. Er kämpfte für die Wiedervereinigung Vietnams. Seine Leiche hat man nie gefunden. Kurz darauf ging ich in den Untergrund. Ich war gerade 16.“

Vietnam ist zu jener Zeit zweigeteilt, die von den USA unterstützte Kolonialmacht Frankreich verheerend von Ho Chi Minhs Befreiungsbewegung geschlagen. Auf Höhe des 17. Breitengrads trennt eine demilitarisierte Zone Hos sozialistischen Norden vom prowestlichen Süden unter dem selbsternannten Präsidenten Ngo Dinh Diem. Der Konflikt in Vietnam – eigentlich ein Bürgerkrieg – ist längst Teil des Kalten Krieges zwischen Ost und West. Amerika glaubt an die Dominotheorie: Fällt Vietnam, fällt bald darauf ganz Asien.

Die südvietnamesische Opposition ist überzeugt, in Nordvietnam entstehe der bessere Staat. Sie will die Wiedervereinigung des Landes mit Waffengewalt erzwingen. Als Ngo Dinh Diem 1959 die Verfolgung politischer Gegner verschärft, organisieren Ho Chi Minh und die militärische Führung des Nordens den von der Befreiungsbewegung gewünschten militärischen und personellen Nachschub. Im Lauf der kommenden Jahre entsteht ein über 3000 Kilometer langes, weit verzweigtes Netz geheimer Dschungelpfade und -straßen. Zum Schutz vor Angriffen verläuft es zum großen Teil durch Vietnams neutrale Nachbarstaaten Laos und Kambodscha. Nach dem Gebirgszug Truong-Son-Route genannt, heißt es im Westen bald: Ho-Chi-Minh-Pfad.

„So wichtig die Truong-Son-Route war“, sagt Nguyen Van Duc im fahlen Neonlicht der Küche, „für uns Seeleute stand fest: Über das Wasser ist der Süden leichter zu bewaffnen.“

So nimmt am 23. Oktober 1961 die zunächst „759“, später „125“ genannte Brigade ihre Arbeit auf. Nordvietnams Oberbefehlshaber General Vo Ngu-yen Giap, zuvor entscheidend für die Niederlage der Franzosen verantwortlich, benennt General Tran Van Tra zum Verantwortlichen des Projekts. Er soll unter größter Geheimhaltung auf dem Seeweg zwischen Hai Phong im Norden und der Halbinsel Ca Mau im Süden Vietnams für den sicheren Transport von Waffen, Munition, Medikamenten und hohen Militärs sorgen.

Duc ist 20, als er 1962 auf dem ersten nicht registrierten Holzboot mit dem Codenamen „Phuong Dong“ eingesetzt wird. Erfolgreich schlägt es sich von der geheimen Basis Do Son im Norden nach Ben Tre im Mekongdelta durch. Stolz erinnert er sich: „Im Anschluss an die Mission erhielten wir eine Auszeichnung, die nur wirklichen Helden vorbehalten war: Ho Chi Minh beglückwünschte uns persönlich und überreichte uns eine Medaille. Dieses Treffen war von hohem symbolischem Wert. In allen schwierigen Momenten, auf dem Meer oder unter dem Geschützfeuer des Feindes, dachte ich an ihn. Fortan beschützte er mein Boot, ich war nie mehr allein.“

Auf dem massiv bombardierten Ho-Chi-Minh-Pfad zu Land brauchen die nordvietnamesischen Infiltranten drei bis sechs Monate zu Fuß, per Fahrrad oder Lkw für den Weg in den Süden; zudem verlieren sie bis zu 80 Prozent des Materials. Den Seeweg bewältigen die Schiffe in acht Tagen. Bei 76 Einsätzen schaffen sie bis Ende 1964 gut 4400 Tonnen Waffen sowie 113 Kader ins Herz der Kampfgebiete. Keine der Missionen wird entdeckt oder abgefangen.

Nguyen Tai Loc und Vu Dang Khoa stoßen 1964 zur nordvietnamesischen Marine. „Um unsere Eignung für die Brigade 125 zu prüfen, steckten uns die Offiziere in ein kleines Boot, brachten uns im Sturm aufs offene Meer hinaus und stellten für mehrere Stunden den Motor aus.“ Erfolgreich trotzen die beiden den riesigen Wellen, der Qual des Schlingerns und Stampfens. Dann werden sie monatelang ausgebildet und auf strikte Geheimhaltung eingeschworen.

Locs erster Einsatz führt ihn zu seinem Geburtsort, den Pelikangrotten in der Ha-Long-Bucht. „Plötzlich ruderte meine ahnungslose Mutter mit ihrem Boot heran, um uns Fisch zu verkaufen. Doch jeder Kontakt mit Familie war streng verboten. Unsere Brigade musste geheim bleiben. Schweren Herzens versteckte ich mich auf dem Boden des Schiffes.“


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 63. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 63

No. 63August / September 2007

Von Matias Boem und Nicolas Cornet

Der Hamburger Autor Matias Boem, Jahrgang 1960, berichtet in Wort, Klang und Bild aus aller Welt. Immer wieder spürte er bei Vietnamesen den Stolz, die Übermacht USA besiegt zu haben. Sie verrieten ihm eine ihrer rigorosen Maximen: „Lieber gemeinsam sterben als allein leben.“

Der seit vielen Jahren zwischen Paris und Asien pendelnde Fotograf Nicolas Cornet traf Nguyen Tai Loc vor sieben Jahren in der Ha-Long-Bucht. Der Vietnamesisch sprechende Cornet brauchte Tage, bis der frühere Vietkong Vertrauen fasste und seine Kriegserlebnisse schilderte. Bis vor Kurzem unterlag der Ho-Chi-Minh-Pfad zur See in Vietnam der Geheimhaltung. Forschungen stützten sich allein auf US-Quellen.

Mehr Informationen
Vita Der Hamburger Autor Matias Boem, Jahrgang 1960, berichtet in Wort, Klang und Bild aus aller Welt. Immer wieder spürte er bei Vietnamesen den Stolz, die Übermacht USA besiegt zu haben. Sie verrieten ihm eine ihrer rigorosen Maximen: „Lieber gemeinsam sterben als allein leben.“

Der seit vielen Jahren zwischen Paris und Asien pendelnde Fotograf Nicolas Cornet traf Nguyen Tai Loc vor sieben Jahren in der Ha-Long-Bucht. Der Vietnamesisch sprechende Cornet brauchte Tage, bis der frühere Vietkong Vertrauen fasste und seine Kriegserlebnisse schilderte. Bis vor Kurzem unterlag der Ho-Chi-Minh-Pfad zur See in Vietnam der Geheimhaltung. Forschungen stützten sich allein auf US-Quellen.
Person Von Matias Boem und Nicolas Cornet
Vita Der Hamburger Autor Matias Boem, Jahrgang 1960, berichtet in Wort, Klang und Bild aus aller Welt. Immer wieder spürte er bei Vietnamesen den Stolz, die Übermacht USA besiegt zu haben. Sie verrieten ihm eine ihrer rigorosen Maximen: „Lieber gemeinsam sterben als allein leben.“

Der seit vielen Jahren zwischen Paris und Asien pendelnde Fotograf Nicolas Cornet traf Nguyen Tai Loc vor sieben Jahren in der Ha-Long-Bucht. Der Vietnamesisch sprechende Cornet brauchte Tage, bis der frühere Vietkong Vertrauen fasste und seine Kriegserlebnisse schilderte. Bis vor Kurzem unterlag der Ho-Chi-Minh-Pfad zur See in Vietnam der Geheimhaltung. Forschungen stützten sich allein auf US-Quellen.
Person Von Matias Boem und Nicolas Cornet