Die eiserne Lady vom Schildkrötenstrand

June Haimoff war einst ein verwöhntes Society-Girl. Heute, als 92 Jahre alte Lady, lebt sie zurückgezogen in einem Haus an der türkischen Ägais, glücklich und zufrieden – wären da nicht rücksichtslose Investoren, die ihrem Strand zuleibe rücken

June Haimoff, 92 Jahre alt, lebt mit sieben Hunden und fünf Katzen im Schatten einer riesigen Phönixpalme. Zwei Schwarzstörche thronen darauf, die Blicke hoffnungsvoll auf ein Bächlein gerichtet, das sich durchs Pampasgras windet. Mandarinen, Zitronen und Walnüsse regnen, je nach Jahreszeit, auf die Wege zwischen Haustür und Hofmauer. Ein Maulbeerbaum und eine Dattelpalme bewachen wie zwei runzlige Cherubim dieses Gärtchen Eden am Rand Dalyans. Sie nennt es ihr „friedfertiges Königreich“. „Die Mauer lasst ihr stehen, ansonsten will ich hier keinen Beton sehen“, hatte sie den Handwerkern seinerzeit aufgetragen. Wilder Wein an der Hauswand rankt um ein Foto, es zeigt sie mit einem Leibgardisten der Queen vor dem Buckingham Palace. Die Aufnahme wurde gemacht, kurz nachdem June Haimoff in die jährliche „British New Year’s Honours List“ aufgenommen worden war. Das war 2011, die Ehrung hatte sie erhalten, weil sie auch anderswo keinen Beton sehen wollte. Als Mitte der 1980er Jahre der nahe Strand von ˙Iztuzu von einem Hotelkomplex ummauert werden sollte, war es maßgeblich June Haimoff, die dies verhinderte. Es ist vor allem ihr zu verdanken, dass jener Strand noch immer Brutplatz der fast ausgerotteten Unechten Karettschildkröte ist.

Vier Porträtzeichnungen hängen in June Haimoffs Wohnzimmer, gleich neben dem hölzernen Segel, einem Regal. Das Regal erinnert sie an die „Bouboulina“, ihr Boot, mit dem sie vor etwa 50 Jahren zum ersten Mal in diese Gegend kam und das ihr den Namen „Kaptan June“ einbrachte. Die Bilder zeigen eine schöne Frau von Anfang dreißig, mit 50, mit 60 Jahren. Es sind Zeugnisse der ewigen Schreckensherrschaft der Zeit, doch June steht davor und sagt: „Viele schöne Menschen sind Opfer ihrer Eifersucht.“ Sie hat zwei dramatische Ehen hinter sich und ungezählte Liebschaften, die in den Boutiquen mehrerer Kontinente für Gesprächsstoff sorgten.

Vor rund 50 Jahren stieß June Haimoff mit ihrem Schiff zum ersten Mal auf den Strand von ˙Iztuzu, einem kilometerlangen Sandstreifen zwischen dem offenen Meer und dem Delta des Dalyanflusses. Das Ufer erschien ihr wie ein „heiterer, fehlerloser Bogen“, der „in mir eine urzeitliche Saite zum Klingen“ brachte. Ein paar Pfahlbauten standen am Strand, Frauen saßen darunter und palaverten, nackte Kinder planschten im Wasser. Eine Szenerie, die sie eher auf den Philippinen vermutet hätte als hier, im Südwesten der Türkei. „Die Hütten waren baufällig, und sie schienen im grellen Licht zu schweben“, sagt June lächelnd, „ich kam her und umarmte diesen Ort mit meiner Seele.“ Ein paar „unrasierte, wild aussehende Männer“ luden sie ein zu gekochten Krebsen und Raki, und schon am Abend desselben Tages tanzte sie auf ihren „endemischen Tischen“, wackligen Gestellen mit stets einem zu kurzen Bein.

Es war zu der Zeit ihrer jährlichen Sommertörns durch das Mittelmeer. Noch lebte sie im Jetset, sie hatte zweimal reich geheiratet. Jene Tage begannen mit einem Brunch im „Russian Tea Room“ von New York, während der nächste Morgen sie mit einem Kaffee unter einer Tamariske auf Haiti finden konnte und der übernächste in einem Bett auf der „Queen Mary“, unterwegs zu einem Château an der Rhône. June Haimoff sagt, sie vermisse diese langen, faulen Vormittage. Noch heute teilt sie die Menschen ein in Frühstückshasser und Frühstücksliebhaber, und niemand ist gut beraten, der sie vor zwölf Uhr mittags zur Eile drängt. Die Winter verbrachte sie zumeist in Gstaad, in einem eigenen Chalet in der Nachbarschaft Elizabeth Taylors und anderer Größen des damaligen Glitzergeschäfts. Sie gab Partys auf persischen Teppichen, samt Austern aus Frankreich und beleuchteteten Eisskulpturen mit Kaviar. „Natürlich gehört Wodka zu Kaviar“, sagt sie unter dem Himmel Dalyans, ein kleiner blauer See in ihren Augen. Schildkröten war sie seinerzeit so nah, wie man Tiffanylampen im Salon eben ist. Sie tanzte mit den Präsidenten von Bananenrepubliken – „in Kleidern aus Straußenfedern, mein Gott“ –, sie flirtete mit Jack Nicholson – „umsonst, der hatte ja seinen eigenen Harem mit“ –, und sie trank mit Tom Jones aus kelchgroßen Whiskygläsern. Manchmal begleitete sie Julie Andrews erst in die Kirche und dann zum Shoppen. „Ach, die Liz“, sagt June Haimoff, „sie hätte mein Leben verfilmen sollen. Dieser Prunk, die venezianischen Nächte, die Reisen nach Übersee, die teuren Hotels.“ Sie seufzt. „Und diese Bettgeschichten!“


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mare No. 103

No. 103April / Mai 2014

Von Maik Brandenburg und Zed Nelson

Fotograf Zed Nelson hat jüngst ein Buch über Jugend- und Schönheitswahn veröffentlicht und wollte kaum glauben, dass June Haimoff über 90 ist.

Autor Maik Brandenburg war sehr berührt, als sie ein selbst geschriebenes Lied über den Strand von ·Istuzu sang. „Sie saß da, die Federboa um den Hals, und nahm uns gar nicht mehr wahr. Wahrscheinlich war sie gerade in der Mailänder Scala.“

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Vita Fotograf Zed Nelson hat jüngst ein Buch über Jugend- und Schönheitswahn veröffentlicht und wollte kaum glauben, dass June Haimoff über 90 ist.

Autor Maik Brandenburg war sehr berührt, als sie ein selbst geschriebenes Lied über den Strand von ·Istuzu sang. „Sie saß da, die Federboa um den Hals, und nahm uns gar nicht mehr wahr. Wahrscheinlich war sie gerade in der Mailänder Scala.“
Person Von Maik Brandenburg und Zed Nelson
Vita Fotograf Zed Nelson hat jüngst ein Buch über Jugend- und Schönheitswahn veröffentlicht und wollte kaum glauben, dass June Haimoff über 90 ist.

Autor Maik Brandenburg war sehr berührt, als sie ein selbst geschriebenes Lied über den Strand von ·Istuzu sang. „Sie saß da, die Federboa um den Hals, und nahm uns gar nicht mehr wahr. Wahrscheinlich war sie gerade in der Mailänder Scala.“
Person Von Maik Brandenburg und Zed Nelson