Die echten Sindbads

Die Erzählungen um die Märchenfigur Sindbad spielen zur Zeit des Kalifen Harun ar-Raschid – in jenem frühmittelalterlichen Arabien, in dem das Reiter- zu einem Seefahrervolk wurde

Manchmal schimmern unter Märchen wahre Geschichten durch, wundersamer als das Märchen selbst – wie bei Sindbad dem Seefahrer. Die sieben Reisen des Kaufmanns Sindbad aus Bagdad zählen zu den Geschichten aus „Tausendundeiner Nacht“.

Sindbad überlebt einen monströsen Vogel und Kannibalen, entkommt diebischen Affen und einem Riesenfisch. Wahrscheinlich sind die Urformen dieser fantastischen Geschichten vor 1200 Jahren zuerst als abenteuerliche Reiseberichte in den Häfen Arabiens, Ostafrikas und Indiens erzählt und mit jedem neuen Erzählen weiter ausgeschmückt worden. Ein Chronist überliefert im Jahr 934 die erste schriftliche Erwähnung Sindbads. Wohl um diese Zeit oder etwas später werden seine sieben Reisen schließlich in die große, deutlich ältere orientalische Märchensammlung von „Tausendundeiner Nacht“ zusätzlich aufgenommen und seither immer wieder veröffentlicht.

Doch dieses Seemannsgarn verbirgt eine reale Welt: die der arabischen Seefahrer, die einst die Ozeane befuhren. Der Sindbad des Märchens lebt zur Zeit des Kalifen Harun ar-Raschid (786–809) und damit tatsächlich in jenem goldenen Zeitalter, in dem Araber von Kamelrittern zu Kapitänen werden. Sie durchkreuzen den Indischen Ozean, ankern vor den Küsten Afrikas und Indiens, Ceylons und Chinas, den Nikobaren und Malediven – acht Jahrhunderte vor Vasco da Gama.

Dabei meiden die Araber, weil es an Schiffsholz mangelt, lange das Meer. Nach Mohammeds Tod 632 erobern die zum Islam bekehrten Wüstenbewohner zwar ein Reich von Spanien bis Innerasien – doch mit Reiterheeren, nicht mit Flotten.

Als der zweite Kalif Omar (634–644) von einem Offizier bedrängt wird, wenigstens die Insel Zypern zu überfallen, lehnt er ab. „Das Meer ist eine grenzenlose Fläche, auf der große Schiffe wie kleine Flecken sind; nichts als Himmel oben und Wasser unten, bei Flaute wird das Herz des Seefahrers gebrochen, im Sturm verwirren sich die Sinne.“

Doch etwa 30 Jahre später notiert ein chinesischer Reisender, dass ihn ein Schiff der posse von Kanton nach Palambang in Indonesien gebracht habe. Diese „Perser“ sind vermutlich Araber, zumindest islamische Seefahrer. Wie kann es sein, dass der Kalif um 640 jedes nautische Abenteuer verbietet, aber im Jahr 671 islamische Segler bereits zwischen China und Indonesien kreuzen? Was ist da geschehen?

Der Urknall dieser maritimen Expansion liegt im Dunkeln. Kein Text, kein Wrack, kein Kunstwerk, nichts beschreibt, was sich irgendwann um 650 zugetragen haben muss. Man kann bloß Hypothesen aufstellen: Mohammeds Verkündung folgt auch eine ungeheure geistige Expansion. Die Bewohner Arabiens, die vorher kaum die Schrift kannten, nehmen von der griechischen Philosophie über die jüdische Medizin bis zur indischen Mathematik das Wissen ihrer Zeit auf. So schaffen sie etwa in wenigen Jahren den technischen Sprung von den Lehmhäusern ihrer Oasen zu hochkomplexen Moscheen.

Warum soll es da mit Schiffen anders gewesen sein? Die Angreifer stürmen auch die Werften von Byzanz. Wahrscheinlich haben die Sieger so, wie sie es von Baumeistern gelernt haben, auch von Schiffszimmerleuten gelernt und deren Wissen enorm entwickelt. Zur Zeit Harun ar-Raschids sind die echten Sindbads jedenfalls längst zu epischen Reisen aufgebrochen.

Sie legen jedes Jahr im September von al-Basra ab. Der irakische Hafen ist das Tor zum 500 Kilometer den Tigris hinauf gelegenen Bagdad, der Hauptstadt des Kalifats: Lager und Docks, Kanäle, Lärm, Gestank, Geschäftigkeit. Kaufleute laden Teppiche, Tuch und Eisenbarren auf kleine Schiffe, heuern Kapitäne und Matrosen an und Söldner, die vor Piraten schützen.

Vorsichtig manövrieren die Segler zwischen Strudeln und Untiefen des Schatt al-Arab, der Flussmündung in den Persischen Golf. Drei hölzerne Türme stehen über gefährlichen Sandbänken, nachts lodern dort Signalfeuer.

Nach wenigen Tagen erreichen die Kaufleute Schiraf in Persien, ein Labyrinth prächtiger Villen in der Wüste. Schiraf ist der große Umschlagplatz des Kalifats. Hier werden die Waren Arabiens von kleinen Booten auf hochseetüchtige Schiffe geladen, die Dhauen. Diese wohl 25 Meter langen Segler mit spitzem Bug und Heck sind bis zu sechs Knoten schnell. Ihre Rümpfe werden aus importiertem indischem Teakholz gezimmert. Angeblich finden bis zu 400 Menschen an Bord Platz, über ihnen wölbt sich an einem Mast ein dreieckiges Lateinersegel.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 131. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 131

No. 131Dezember 2018 / Januar 2019

Von Cay Rademacher und Lars Henkel

Cay Rademacher, Jahrgang 1965, ist Journalist und Autor und lebt in der Provence. Er schreibt nicht ausschließlich, doch leidenschaftlich gern über maritime Themen. Im mareverlag erschien 2009 Drei Tage im September. Die letzte Fahrt der Athenia 1939.

Lars Henkel, geboren 1973 in Rom, lebt als Illustrator in Berlin und arbeitet für Kunden wie Geo, Universal oder Meret Becker. Als Kind liebte er die Sindbad-Filme mit den Animationen von Ray Harryhausen.

Mehr Informationen
Vita Cay Rademacher, Jahrgang 1965, ist Journalist und Autor und lebt in der Provence. Er schreibt nicht ausschließlich, doch leidenschaftlich gern über maritime Themen. Im mareverlag erschien 2009 Drei Tage im September. Die letzte Fahrt der Athenia 1939.

Lars Henkel, geboren 1973 in Rom, lebt als Illustrator in Berlin und arbeitet für Kunden wie Geo, Universal oder Meret Becker. Als Kind liebte er die Sindbad-Filme mit den Animationen von Ray Harryhausen.
Person Von Cay Rademacher und Lars Henkel
Vita Cay Rademacher, Jahrgang 1965, ist Journalist und Autor und lebt in der Provence. Er schreibt nicht ausschließlich, doch leidenschaftlich gern über maritime Themen. Im mareverlag erschien 2009 Drei Tage im September. Die letzte Fahrt der Athenia 1939.

Lars Henkel, geboren 1973 in Rom, lebt als Illustrator in Berlin und arbeitet für Kunden wie Geo, Universal oder Meret Becker. Als Kind liebte er die Sindbad-Filme mit den Animationen von Ray Harryhausen.
Person Von Cay Rademacher und Lars Henkel