Die Bergfahrt einer Seemacht

Genial oder wahnsinnig? Die Seemacht Venedig will 1439 die Mailänder Truppen mit ihren Mitteln schlagen. Dazu muss ihre Kriegsflotte über Flüsse und Pässe hinauf zum Gardasee

In der Poebene, zwischen Venedig und Turin, steht im Winter der Nebel festgemauert, will sich nicht heben, bis März nicht. Nur in den Bergen und über den Seen flirrt die Luft vor Klarheit, auf Wochen hinaus fällt kein Tropfen Regen. Nachts kriecht Kälte in die ärmlichen Behausungen, aber bei Tag fluchen die Arbeiter, das Flößen und Bäumefällen treibt ihnen den Schweiß aus dem Körper. Das Essen ist mager, nie ein Stück Fleisch zur Polenta, und der Wein aus den Schläuchen schmeckt säuerlich. Nur im Zelt des Condottiere klingen Gläser, dort wird wohl auch besserer Wein aus Venedig ausgeschenkt.

Ob die Soldaten schon auf den Sieg anstoßen? Es geht gegen Mailand und um die Vormachtstellung in der Terra Ferma, dem Festland. Die Venezianer verfolgen dabei einen verwegenen Plan, der schon in wenigen Tagen die Entscheidung bringen kann. Ein Seefahrer aus Kreta namens Sorbolo da Candiard hat eine List ersonnen und sie den Senatoren der Serenissima vorgeschlagen: Warum die gut aufgestellten Mailänder auf eigenem Territorium herausfordern, wenn man sie auf eine Weise besiegen kann, die man in Venedig so viel besser versteht – mit Schiffen, auf dem Wasser? Und so hat da Candiard den Senatoren doch tatsächlich empfohlen, eine Flotte über die Berge auf den Gardasee zu schaffen. Die Granden waren möglicherweise zu verblüfft, um plausible Gegenargumente anzuführen; sie ließen sich jedenfalls auf das Vorhaben ein.

Schiffe über einen Pass auf den Gardasee schaffen – diese Idee ist so absurd, dass sich der Gedanke aufdrängt, es könnte um Höheres gegangen sein als nur um einen Sieg im lombardischen Krieg. Vielleicht wurzelt der Antrieb für diese Tat in der Epoche. Mit der Renaissance wurden Kriege zur Kriegskunst, im Ausgang von Kämpfen sah man kein Gottesurteil mehr. Vielleicht wählten die Venezianer den absonderlichen Seeweg allein um der Tat willen. „Die Menschen können von sich aus alles, sobald sie wollen“, schrieb der Architekt und Philosoph Leon Battista Alberti. In der Renaissance konnte einer sich anmaßen, nur weit genug aufs offene Meer hinausfahren zu müssen, Richtung Westen, um Indien zu finden. Konnte ein Baumeister wie Brunelleschi in Florenz dem Dom eine Kuppel konstruieren, die nicht nur größer als die des Pantheons in Rom ist, sondern das erste doppelschalige Gewölbedach überhaupt. „Think big“ war die neue Maxime des eben erst geborenen Individuums, das nicht mehr als ein Niemand in der Masse des Mittelalters aufgeht, sondern – wie in Michelangelos „Erschaffung Adams“ in der Sixtinischen Kapelle – ein einzelner Mensch ist, fast auf Augenhöhe Gottes.

„Die Eroberung des Nutzlosen“, auch das klingt wie ein Motto der Renaissance, doch dieses Wort stammt von Werner Herzog. Sein Name – und nicht der eines venezianischen Condottiere – wird heute reflexartig mit der Idee in Verbindung gebracht, Schiffe über einen Berg zu ziehen. Der Regisseur von „Fitzcarraldo“ nannte sein Tagebuch der Dreharbeiten „Die Eroberung des Nutzlosen“, denn Herzog wollte nicht nur einen Film drehen über einen, der einen Amazonasdampfer an Stromschnellen vorbei über einen Berg zieht, sondern dies auch selbst tun.

Der Senat Venedigs weist also das Arsenal an, alles bereitzustellen, was der Seefahrer verlangt. Im November 1438 macht sich die Flotte auf die Reise, die Etsch aufwärts. Es gilt, der eingeschlossenen Stadt Brescia zu helfen. Mailand hatte große Landstriche westlich des Gardasees und bis nach Verona besetzen können – aber nicht Brescia. Seit 1437 war die Stadt eine venezianische Insel in einem Mailänder Meer, belagert von Niccolò Piccinino, einem in den Diensten Mailands stehenden Söldnerführer. Hinter den Mauern der Stadt wütete die Pest, und wer sich eine Vorstellung von den Zuständen machen möchte, kann in Boccaccios Novellensammlung „Decamerone“ nachlesen, wie der Schwarze Tod eine Stadt verheert. „Bei dem Mangel an ordentlicher, für den Kranken nötigen Wartung und bei der Gewalt der Pest war die Menge derer, die Tag und Nacht starben, so groß, dass es Schaudern erregte, es zu hören, geschweige denn zu sehen.“

Condottiere Piccinino führt mit seinen 15000 Soldaten dem Unheil der Stadt noch den Hunger hinzu und schneidet Brescia von allen Versorgungswegen ab. Piccinino war um 1380 als Sohn eines Metzgers in Perugia geboren worden, das Kriegshandwerk lernte er bei Braccio da Montone, ein älterer Condottiere, der sich mal von diesen, mal von jenen Herren anheuern ließ. Piccinino war, wie er hieß: mickrig von Statur, gehbehindert, von schwacher Gesundheit, aber er galt als mutig bis zur Tollkühnheit sowie grausam und dem Verrat zugetan.

Brescia war also von starken Kräften umzingelt und auf direktem Weg unerreichbar; weshalb nach Ansicht des Seefahrers Sorbolo da Candiard nur der Ausweg über einen Ersatzschauplatz blieb – über den Gardasee. Dieser war damals noch eine wichtige Handelsroute, die Uferstraße wurde erst 500 Jahre später gebaut. Mit dem venezianischen Angriff wurde Condottiere Erasmo da Narni, genannt Gattamelata, betraut. Der Sohn eines Bäckers hatte, allerdings schon einige Jahre zuvor, beim selben Lehrer wie sein Mailänder Kontrahent Kriegslist und Kampfgeist gelernt.


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mare No. 62

No. 62Juni / Juli 2007

Von Barbara Schaefer

Die Berliner Journalistin Barbara Schaefer hat mehrere Reiseführer über die Region um den Gardasee geschrieben. Ihr neuestes Buch ist südlicher angesiedelt: Limoncello mit Meerblick. Unterwegs an der Amalfiküste und im Cilento ist dieses Frühjahr im österreichischen Picus Verlag erschienen.

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Vita Die Berliner Journalistin Barbara Schaefer hat mehrere Reiseführer über die Region um den Gardasee geschrieben. Ihr neuestes Buch ist südlicher angesiedelt: Limoncello mit Meerblick. Unterwegs an der Amalfiküste und im Cilento ist dieses Frühjahr im österreichischen Picus Verlag erschienen.
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