Die Austernaktivistin

Eine Portugiesin in Setúbal hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Landsleute von den Qualitäten der Austern zu überzeugen

Frühmorgens liegt das Delta des Sado im Nebel, und die Austern atmen unter Wasser, als Célia Rodrigues die Schleuse öffnet, um zu ernten.

Setúbal, eine Halbinsel südlich von Lissabon. Vorher hat die Chefin und Gründerin von Neptun Pearl mit ihrer kleinen Crew in einem Straßencafé noch einen Espresso getrunken, dann sind alle mit ihrem alten Audi-Kombi durch die Reserva Natural do Estuário do Sado zu Nummer fünf der zehn Teiche ihrer Austernzucht gefahren, wo sie jetzt am verkanteten Holzschott hantieren, bis es per Flaschenzug endlich frei ist und das Wasser abfließen kann, ins Meer. Zurück bleibt der Schlick – mit den Austern.

Die brauchen Gezeiten, auch wenn sie durch Kiemen atmen. „Stets unter Wasser“, sagt Célia, „würden ihre Schließmuskeln verkümmern, mit denen sie sich bei Ebbe zusammenziehen.“ Tiden allerdings gibt es bei den Teichen kaum, dafür liegen sie zu hoch; das Wasser erreicht sie nur bei Springflut, also zu Neu- und Vollmond. Entsprechend folgen Öffnen und Schließen der Schleusen dem Mondzyklus. Gerade herrscht Niedrigwasser, da kann man dann auch ernten.

Célias Leben bestimmte schon immer das Meer. Geboren als Tochter einer Trockenfischhändlerin und eines Fischers in Peniche, überstand sie als Neunjährige mit ihrem Vater drei Tage Sturm auf See; eine „bedrohliche Erfahrung“, wie sie selbst sagt, die ihrer Verbundenheit zum Meer allerdings nichts anhaben konnte. Statt „fisher girl“ zu werden, studierte sie Aquakultur. Ein Bürojob kam für sie nie infrage. Für befreundete Fischer führte sie später Fischautopsien durch. „Und einer von ihnen“, so Célia, „zeigte mir wild lebende Austern.“

Die Geburt einer Passion. Nicht weniger als die Rekultivierung der portugiesischen Art hat sich die 49-Jährige seitdem zum Ziel gesetzt. Klar, mit deren Zucht will sie auch Geld verdienen, aber im Grunde verfolgt sie eine Mission, die selbst vor den Speisekarten von Setúbals Restaurants nicht haltmacht. „Warum werden bei uns keine Austern angeboten?“ Portugiesen konsumieren EU-weit pro Kopf den meisten Fisch, aber Austern lassen sie kalt. Immerhin: In Setúbals berühmten Fischmarkt Mercado do Livramento gibt es inzwischen einen Stand mit den Schalentieren, nicht zuletzt wegen der Initiative von Célia Rodrigues. 

Mit der weitverbreiteten Geschichte, nach der Portugals Austern erst über die Schiffsrümpfe ostasiatischer Seefahrer ins Land gekommen seien, räumt Célia gleich auf. „Wir haben hier Fossilien, die aus der Jurazeit stammen.“ Lieber erzählt sie eine andere Geschichte: Die legendären Austern im Becken von Arcachon, quasi die Wiege der französischen Austernkultur, würde es nämlich überhaupt nur geben, weil um 1860 ein mit Austern beladenes portugiesisches Schiff auf dem Weg nach England in Sturm geraten sei, in der Bucht von Arcachon Schutz gesucht habe und der Kapitän die irgendwann faulende Fracht über Bord werfen ließ. Einige Austern überlebten, et voilà: Heute ist Frankreich mit Abstand der größte Austernproduzent Europas. 

Noch während Célia referiert, steigt sie in ihre Wathose und dann in den Schlamm. Die Zeit drängt. Bis zum Ende der Woche braucht Célia 650 Kilogramm, und zuerst muss noch der Nachwuchs sortiert werden: Je größer der wird, desto grobmaschiger sollen die Säcke sein, in denen die Babys heranwachsen, bis sie irgendwann freigesetzt werden. Chefinnensache. Weiter hinten schiebt Ivo eine halb volle Plastikbox über den Schlick. Ivo Carmo, 44, im früheren Leben Fotograf in London und Célias Freund. „Nach der Arbeit“, wie sie sagt. Während der Arbeit gibt sie Anweisungen. 

Längst hat die Sonne den Nebel vertrieben, sie brennt auf die Sammler von Neptun Pearl in Teich Nummer fünf. Eigentlich ist die Ernte keine komplizierte Angelegenheit, man muss nur die richtige Größe aus dem Schlamm sammeln. Eine Austernzucht braucht man nicht wie einen Stall auszumisten. Sie besteht in ihrem natürlichen Gleichgewicht, entlang von Ebbe und Flut. Nur eine Krankheit darf die Anlage auf keinen Fall heimsuchen. Als Célia neben dem Audi aus ihrer Wathose steigt, warten bereits zwei Besucher: Konkurrenten, die es erwischt hat. Nun suchen sie Rat bei Célia. 


Austern à la Célia

Zutaten (für vier Personen) 
24 Austern, drei Zitronen. 

Zubereitung 
Austern vorsichtig mit einem Messer oder einer Gabel aufhebeln (Handschuhe verwenden!), dabei Muskel durchtrennen. Das Muschelfleisch in der geöffneten Schale auf zerkleinertem Eis anrichten und mit einem Zitronenachtel garnieren. Die von vielen geschätzte Zitrone als Zutat stammt aus alten Zeiten, als man den sauren Saft auf das Fleisch tröpfelte, um die Frische zu prüfen: Zuckte die Auster, lebte sie noch.

Neptun Pearl
Largo António Joaquim Correia 13,
2900-231 Setúbal, Portugal,
Telefon +351 969121154, 
neptunpearl@gmail.com.
Célia Rodrigues bietet Führungen mit Austernverkostung an und versendet ihre Austern auch nach Deutschland.


mare No. 168

mare No. 168Februar / März 2025

Von Roland Brockmann

Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).

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Vita Roland Brockmann, Jahrgang 1961, lebt in Berlin als unabhängiger Journalist, Fotograf und Video Producer. Bei mare war er an den ersten internationalen Reportagen beteiligt, heute schreibt er dort vor allem Buchrezensionen. 2018 erschien sein erstes eigenes Buch: Real People of East Africa (Photo Edition Berlin).
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