Der Wüstenkönig

Ehrgeiz und Geltungssucht und unerschütterliche Ausdauer, Mut und Unternehmungsgeist sind die Antipoden im Wesen des Sueskanal­erbauers Ferdinand de Lesseps. Die Geschichte seines Lebens ist die Geschichte eines Abenteurers

Es ist ein trüber Novemberabend des Jahres 1894. Vor dem Kamin eines Landhauses in La Chesnaye nahe der Loire sitzt ein alter Mann. Seit Jahren sitzt er so da, mit einer Matrosenweste und einem Käppi auf dem Kopf. Auf seinem Schoß eine alte Ausgabe der „Revue des Deux Mondes“. Seine Frau Hélène bringt ihm keine neuen Zeitungen mehr. Er braucht sie nicht mehr. Er lebt jetzt in der Vergangenheit.

Ferdinand de Lesseps schließt die Augen und ist in Paris, Barcelona, Rom, Kairo. Port Said. Die Wüste. Die Kamele, diese „fantastischen Tiere“. Fast 2000 dieser schaukelnden Wüstenschiffe transportierten den Proviant zu seiner Baustelle. Am 17. November 1869 reckten sie verwundert ihre Hälse nach den schwimmenden Ungeheuern, die in langer Reihe und geschmückt mit bunten Wimpeln die Eintönigkeit der Wüste durchkreuzten.

6000 Ehrengäste hatte Ägyptens Vizekönig geladen, 500 Köche kommen lassen. Hirten lagerten mit ihren Herden am Timsahsee, Karawanen biwakierten entlang des Kanals, während in Kairo „Rigoletto“ aufgeführt wurde und die Damen ihre Juwelen zur Schau trugen. Ägypten war erfüllt vom Gefühl eines großen, Meere und Völker verbindenden Augenblicks. Zum ersten Mal betete man Seite an Seite zu Allah und zu Jehova, und zum ersten Mal seit den blutigen Auseinandersetzungen im Land der Pharaonen saßen die Vertreter Englands wieder friedlich neben ihren französischen Kollegen.

Würdenträger aus ganz Europa waren angereist, selbst die Hohe Pforte, der Regierungssitz des Osmanischen Großreichs in Konstantinopel, hatte Gesandte geschickt. Obwohl sich gerade Konstantinopel unter dem Druck der Engländer, die den Seeweg nach Indien und alle Häfen entlang der lukrativen Handelsroute kontrollierten, jahrelang gegen das Projekt gesperrt hatte. Jetzt jubelten alle, und die „Leipziger Illustrirte Zeitung“ schrieb: „Afrika ist jetzt eine vollständige Insel, von allen Seiten von Salzwasser umflutet.“

Auf der kaiserlichen Yacht „Aigle“, die an der Spitze des Konvois fuhr, flüsterte Eugénie, die für den großen Tag ein tief ausgeschnittenes Spitzenkleid gewählt hatte, zu dem Mann an ihrer Seite: „So etwas Schönes habe ich in meinem Leben noch nie gesehen.“ Die Kaiserin von Frankreich war den Tränen nah. Doch ihr Cousin wurde plötzlich wortkarg. Während alle Welt auf ihn blickte, während der Delegierte des Papstes den Namen Ferdinand de Lesseps „in alle vier Himmelsrichtungen rief“ und den Kanal als „Straße des Friedens und des Lichtes“ segnete, verstummte de Lesseps ganz. 13 Jahre hatte er für den Bau der Wasserstraße gekämpft, die Indienreisen den den weiten Weg um das Kap der Guten Hoffnung ersparte. Nun war er über die Linie gegangen, 64 Jahre alt, und zog sich in seine Kabine zurück. Als sei ihm der Applaus der Welt nichts wert.

Dabei war es immer der Ehrgeiz gewesen, der ihn angetrieben hatte. Er war kein junger Mann mehr, doch noch immer voll jugendlichen Stolzes, wenn er in seinen Memoiren schrieb, wie er als Kind die Seine durchschwamm, die Kleider über dem Kopf zu einem Bündel zusammengebunden. Seine „Kräfte entsprachen nicht der Größe des Wagnisses“, er „erreichte nur knapp das andere Ufer“. Auch am Lycée Napoléon überzeugte der Diplomatensohn eher durch Raufen als durch Mathematik.

Seinen Vater sah er nur selten; zum Vorbild wurde ihm ein eher abenteuerlicher Spross der ums Mittelmeer verstreuten Familie von Gesandten. Schon als 16-Jähriger schlug sein Onkel Jean Baptiste Barthélemy de Lesseps eine Meuterei nieder, mit 19 ging er auf Weltreise, mit 21 setzte man ihn in Kamtschatka an Land und sagte: Reite zurück und überbringe diese Depesche. 4000 Kilometer hatte der Bote vor sich, durchritt Sibirien, ernährte sich von rohem Fisch, überwinterte in Hütten, kämpfte vier Stunden gegen einen eisigen Fluss, bis er nach einem Jahr in Paris wie ein Nationalheld empfangen wurde. 1825 holte „Onkel Barthélemy“ den Neffen an die Botschaft in Lissabon, wo Ferdinand, von Pferden so begeistert wie von Kamelen, seine Freizeit damit verbrachte, durch die Berge zu galoppieren.

Später, der junge de Lesseps war bereits Vizekonsul in Alexandrien, beeindruckte seine Reitkunst Mohammed Ali Pascha, Vizekönig von Ägypten und ein alter Bekannter seines Vaters. Er beauftragte ihn damit, seinem zu dick geratenen Sohn das Reiten beizubringen. Täglich traf der Franzose den kleinen Said, um mit Sport der Fettleibigkeit zu begegnen, doch de Lesseps war bereits Diplomat genug, sich die Sympathie des Jungen mit einer täglichen Portion Makkaroni in der Botschaft zu sichern. Die heimliche Portion war Grundstein einer lebenslangen Freundschaft zweier Männer, die später in ganz Europa Misstrauen erwecken würde.

Ebenso wie de Lesseps’ Liebe zum Orient. Voll Begeisterung schrieb er vom „Oberpfeifenstopfer des Paschas nebst seinen vier Untergebenen, deren Insignien in einem Dutzend langer Pfeifen mit dicken, diamantbesetzten Bernsteinmundstücken bestehen“ und in denen sie manchmal „sogar Haschisch“ rauchten. Auch die leicht bekleideten Tänzerinnen, denen der „Oberkaffeeschenk“ von Zeit zu Zeit „auf die Wange klopft“ und „allerlei Naschwerk und Fruchtsaft gibt“, hatten es ihm angetan. Afrika war das Land der Abenteuer.


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mare No. 78

No. 78Februar / März 2010

Von Hans W. Korfmann

Hans W. Korfmann, Jahrgang 1956, ist freier Journalist in Berlin und Herausgeber der Kreuzberger Chronik – deren historischer Teil ihn trotz einer Abneigung gegen Jahreszahlen eine heimliche Liebe zu historischen Gestalten entdecken ließ.

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Vita Hans W. Korfmann, Jahrgang 1956, ist freier Journalist in Berlin und Herausgeber der Kreuzberger Chronik – deren historischer Teil ihn trotz einer Abneigung gegen Jahreszahlen eine heimliche Liebe zu historischen Gestalten entdecken ließ.
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