Der Wüstenfisch

Im Heiligen Land ist nichts unmöglich. Shmaya Toledano erbringt den beinahe biblischen Beweis, dass man auch am Toten Meer Fische züchten kann

Da sprach Abraham zu Lot: ,Lass doch nicht Zank sein zwischen meinen und deinen Hirten; denn wir sind Brüder. Steht dir nicht offen alles Land? Denn ehe der Herr Sodom und Gomorrha vernichtete, war die Gegend wasserreich wie der Garten des Herrn.‘ Da sprach der Herr zu Abraham: ,Und heb noch etwas Wasser auf für Shmaya Toledano in Neot Hakikar‘“, sagt Shmaya Toledano in Neot Hakikar und grinst.

Es war ein staubiger, trockener Tag, wie es nun mal ein jeder in der Wüste ist. Zwanzig Jahre hatte der Mann mit dem Kraushaar und den engen, schlauen Augen am Rande der Negev Melonen gezüchtet. Jeden Tropfen Wasser dafür musste Shmaya Toledano, der so heißt, weil seine Vorfahren zur Zeit der spanischen Inquisition aus Toledo kamen, teuer bezahlen. Dann kletterte er auf den Berg, von dessen sandigem Gipfel er gern über den kleinen Kibbuz am Südzipfel des Toten Meeres blickte, und er besah sein Werk. „Mir ist langweilig. Ich will Fische züchten“, durchzuckte es ihn.

Ganz Neot Hakikar, 37 jüdische Familien und einige Gastarbeiter aus Thailand, brach in schallendes Gelächter aus. In Jerusalem, wo er für sein Vorhaben ein Stück Wüste kaufen wollte, zeigten ihm die Doktoren des Vermessungsamtes einen Vogel. Fische züchten am Toten Meer? Köstlich amüsiert schenkten sie der halbverbrannten Gestalt mehrere Quadratkilometer. Nur Pnina, sein Weib, glaubte an Shmaya. Und Shmaya grub. Mit den Händen, auf den Knien wühlte er sich durch Berge, Sand und Höhlen wie ein Maulwurf. Immer wieder fand er kleine, schlammige Wasserstellen. Legte meilenweit verästelte Tunnel- und Grabensysteme an. Darin sammelte sich die Feuchtigkeit zu Wasser, das Wasser zu Rinnsalen, zu Bächen und mündete schließlich über Rohre in sein ganz privates Reservoir aus 4,5-prozentigem Salzwasser. Heureka!

Shmaya kaufte drei große Bassins. Kaufte Turbinen mit Schaufelrädern, die das Wasser bewegten. Zwei Jahre experimentierte er in der brütenden Hitze unter den Tragluftplanen mit verschiedenen Fischen. Dann begann er mit der Produktion, Roter St. Petersfisch, eine Delikatesse. „Eigentlich mehr ein Süßwasserfisch“, sagt Shmaya Toledano stoisch, „aber das Salz macht ihn zäher, trockener und erst recht schmackhaft.“ Und siehe da: Inzwischen erntet der findige Kibbuznik jährlich 40 Tonnen Fisch. Mit dem Lastwagen bringt er die Kisten an ausgewählte Kunden von Arad bis nach Hebron. Im Sozialismus hätte man den Mann zum Helden der Arbeit gemacht. Im Kibbuz Neot Hakikar, in dem neuerdings jeder seine Gewinne behalten darf, sind die Spötter jetzt gelb vor Neid.

Im Coffee-Shop „Pnina“, auf halber Strecke zwischen Jerusalem und Elat, gibt es also ausschließlich Roten St. Petersfisch. Unter einem heimeligen Armeezeltdach plätschert ein Zimmerspringbrunnen, Hund und Katze streichen um die Beine der Plastikstühle. Pnina grillt den Fisch im Garten, bis sein Fleisch weiß und zart wird wie Kalb, die rote Kruste kross wie Haxe. Shmaya kredenzt Salate, eingelegte Auberginen und Zucchini, wunderbar fettige Fritten, Maccabi-Bier und israelische Weine. Hinterher gibt’s Nescafé mit Milch.

Langsam spricht sich Shmayas Ruhm herum. Der Rabbi aus Jerusalem hat den Fischen das Zertifikat „superkoscher“ ausgestellt. Geschäftsleute aus Jordanien wollen Shmayas System kopieren. Eingeweihte fliegen schon per Helikopter aus Tel Aviv ein. Aber Shmaya ist nicht gierig. Touristenbusse zum Beispiel weist er brüsk ab. Denn die Sache hat einen Haken. Weil es Shmaya jetzt nicht mehr langweilig ist, lässt er alle an seiner Freude teilhaben. Deswegen muss man mindestens eine Stunde vorbestellen. „Hier können Sie nicht einfach nur essen“, sagt Shmaya. Jeder soll seine Geschichten hören. Darauf besteht er. Man soll reichlich Lob aussprechen sowie – ganz gleich um welche Uhrzeit – zusammen mit dem Hausherrn die Farm besichtigen. Sonst ist er beleidigt. „Bin doch kein Barmann“, sagt Shmaya.

Noch weit nach Mitternacht springt er zwischen Grill und Käscher hin und her. Früher habe ein Computer die Anlage betrieben, sagt er, glücklich im Bassin watend. „Aber der wusste nicht, wann der Fisch Hunger hatte.“ Jetzt hat er ihn durch eine Reißleine ersetzt. Daran zieht der Fisch, schon plätschert es weiße Perlen. So einfach ist das im Garten des Herrn. Ein Pieper am Gürtel verbindet ihn mit den Turbinen, der Überlebensgarantie des Flossenviehs. „Wenn eine ausfällt, habe ich 20 Minuten Zeit zu reparieren. Sonst stirbt der Fisch. Ich schlafe wie in der Armee: leicht und Stiefel neben dem Kopf.“

Shmaya Toledano, ein Mann und sein Fisch. Nur Pnina, sein Weib, argwöhnt langsam. „Hoffentlich“, sagt sie, „wird ihm nicht wieder langweilig.“


Roter St. Petersfisch, gegrillt

Zubereitung

Fisch ausnehmen, außen mit Limone, innen mit Salz und Knoblauch einreiben. Frische Rosmarinzweige in die Kiemen klemmen. Auf dem Grill 15 Minuten von jeder Seite kross werden lassen. Etwas Petersilie darüber – fertig.


Coffee-Shop „Pnina“
Neot Hakikar, Totes Meer, Israel.
Tel.: 00972/7/6555107.
Preise: 50 Schekel (etwa 23 Mark) für ein Pfund Roten St. Petersfisch. Salate und Beilagen sind inbegriffen. Bier wird extra berechnet.

mare No. 16

No. 16Oktober / November 1999

Von Helmut Kuhn und Russell Liebman

Helmut Kuhn wurde 1962 geboren. Er studierte in Berlin und Paris und schrieb aus New York für die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, die Neue Zürcher Zeitung und Penthouse. Er lebt heute in Berlin und arbeitet als freier Journalist unter anderen für Focus und Stern.

Russell Liebman, 1966 in New York geboren, lebt in Berlin. Für mare fotografierte er u. a. die Steinfischer von Brasilien (in No. 8) und den Tunfisch-Fang vor Barbate, Spanien (in No. 61).

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Vita Helmut Kuhn wurde 1962 geboren. Er studierte in Berlin und Paris und schrieb aus New York für die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, die Neue Zürcher Zeitung und Penthouse. Er lebt heute in Berlin und arbeitet als freier Journalist unter anderen für Focus und Stern.

Russell Liebman, 1966 in New York geboren, lebt in Berlin. Für mare fotografierte er u. a. die Steinfischer von Brasilien (in No. 8) und den Tunfisch-Fang vor Barbate, Spanien (in No. 61).
Person Von Helmut Kuhn und Russell Liebman
Vita Helmut Kuhn wurde 1962 geboren. Er studierte in Berlin und Paris und schrieb aus New York für die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, die Neue Zürcher Zeitung und Penthouse. Er lebt heute in Berlin und arbeitet als freier Journalist unter anderen für Focus und Stern.

Russell Liebman, 1966 in New York geboren, lebt in Berlin. Für mare fotografierte er u. a. die Steinfischer von Brasilien (in No. 8) und den Tunfisch-Fang vor Barbate, Spanien (in No. 61).
Person Von Helmut Kuhn und Russell Liebman