Der Wunder-Schwamm

Wie ein deutscher Chemiker in einem unscheinbaren Meeresschwamm das erste wirksame Medikament gegen Leukämie fand

Es war der Herbst des Jahres 1945, als Werner Bergmann im türkisen Wasser von Elliott Key stand und etwas entdeckte, was später Millionen Menschen das Leben retten sollte. Elliott Key gehört zu den Florida Keys. Das Wasser vor der sandigen Küste ist flach, und Bergmann fand darin Schwämme, kleine unscheinbare Meereslebewesen, schwarzgrüne Knubbel im Sand. 

Wie bedeutend sein Fund war, wusste Bergmann in diesem Moment noch nicht. Er war damals 41 Jahre alt, ein Chemiker aus Bielefeld mit US-Staatsbürgerschaft. Später sollte er Yale-Professor werden, aber noch stand er im Wasser in Florida.

Bergmann sammelte die Schwämme ein, nahm sie mit in das nahe Meeres­labor der University of Miami, mit der er oft zusammenarbeitete. Dort steckte er sie einige Stunden später in eine Mischung aus Formaldehyd und Meerwasser, eine typische Lösung, wenn man Meerestiere konservieren will. Später trocknete er sie in einem Vakuumofen. 

Einen Namen hatte das seltsame Getier zu der Zeit noch nicht; erst als 1948 Schwämme derselben Art bei den Bimini-Inseln der Bahamas gefunden wurden, bekamen sie einen: Cryptotethya crypta, heute Tectitethya crypta genannt. Es dauerte noch einmal eine Weile, bis die getrockneten Schwämme zur Yale University nach New Haven, Connecticut, geschickt wurden, wo Bergmann eine Probe in ein Lösungsmittel steckte und dieses wunderschöne Etwas sah – winzige Kristalle.

Er testete sie im Labor und entdeckte dabei Stoffe, die keiner je zuvor gesehen hatte. Einer davon war eine Verbindung aus der Base Thymin und dem Zucker ­Pentose. Thymin kennt man als einen der Bausteine, aus denen sich unsere DNA zusammensetzt. Dort eingebunden, heißt er dann Thymidin. So schlug Bergmann 1951 im „Journal of Organic Chemistry“ vor, den Stoff Spongothymidin zu nennen – das Thymidin der Schwämme. 

Nun muss man wissen: Was Schwämme produzieren, ist für die Wissenschaft immer aufregend. Sie können vor Fressfeinden weder davonlaufen noch sich verstecken, trotzdem überleben sie seit mehr als 500 Millionen Jahren auf dieser Erde. Dass das klappt, hat mit vielen chemischen Abwehrstoffen zu tun, die sie produzieren. Sie dienen dazu, sich Angreifern zur Wehr zu setzen, und diese Angreifer sind häufig dieselben, die auch Menschen triezen. Schwämme bilden Stoffe, die Bakterien töten, die Viren am Wachsen hindern und sie nicht in ihre Zellen eintreten lassen. Was Schwämme herstellen, kann also oft auch uns Menschen helfen. 

Das muss auch Bergmann damals geahnt haben. Er galt als Experte für wirbellose Meerestiere und beriet als solcher das Bingham Oceanographic Laboratory in Yale. Was also könnte Spongothymidin bringen? Um das herauszufinden, schickte er Proben davon an mehrere Kollegen, darunter der Krebsforscher Seymour Cohen an der University of Pennsylvania. Der brachte den Stoff mit Escherichia coli zusammen und stellte fest: Mit Spongothymidin hören die Bakterien auf, sich zu vermehren. Cohen vermutete daher, dass der ungewöhnliche Stoff vielleicht auch Tumorzellen am Wachsen hindern könnte. 

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mare No. 153

mare No. 153August / September 2022

Von Maria Rossbauer

Maria Rossbauer, Jahrgang 1981, Autorin in Hamburg, taucht gern in ihrer Freizeit. Aber etwas pharmazeutisch Brauchbares ist ihr noch nie untergekommen.

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