Der Weg zum Skandal

Geschenk des Kanonenkönigs: die Via Krupp auf Capri

Wer zügig ausschreitet, kann sie in zwanzig Minuten passieren, die Via Krupp auf Capri. Aber wer wird schon zügig ausschreiten auf der schönsten Straße der Welt? Sie scheint ganz und gar nicht angelegt worden zu sein, dass man auf ihr irgendein Ziel erreiche. Nein, diese Straße ist selber ein Ziel, eines der Wunder der Insel Capri.

Über eine Länge von mehr als 1300 Metern ist sie als scharfe Zickzack-Konstruktion in den fast senkrecht zum Meer abstürzenden Kalkfelsen des Monte Castiglione gehauen. Das Meer bildet den allgegenwärtigen Prospekt einer Bühne, auf der sich die Zuschauer in Akteure verwandeln. Sie gehen nicht, sie schreiten, und bei jeder Kurve wechselt das Panorama, bis der Weg schließlich sanft zum Meer hin ausschwingt.

Viele Jahre hindurch war die Via Krupp gesperrt, Steinschlag und Abbrüche hatten ihr erheblich zugesetzt. Nach aufwändiger Restaurierung, an deren Finanzierung sich auch die Europäische Union beteiligte, ist sie nun wieder zugänglich.

Der Kunsthistoriker Roberto Pane schrieb einmal über die Via Krupp, sie zeige, dass auch eine Straße ein Kunstwerk sein könne – „und ich meine das nicht im übertragenen Sinn, sondern in der strengen ästhetischen Bedeutung des Wortes“. Wie jedes Kunstwerk hat auch die Via Krupp eine Geschichte, und sie ist auf dramatische Weise mit ihrem Schöpfer und seinen Lebensumständen verknüpft.

1898 kam der damals 44 Jahre alte Friedrich Alfred Krupp an den Golf von Neapel – im Süden suchte er Heilung. Krupp, Besitzer der Essener Gussstahlfabrik, einer der reichsten Männer Europas und als wichtigster deutscher Waffenschmied ein persönlicher Freund Kaiser Wilhelms II., litt an Kreislaufstörungen, Asthma und Depressionen. In seiner Jugend hatte er wenig Neigung verspürt, in die väterlichen Fußstapfen zu treten, hatte sich stattdessen mit Naturwissenschaften und insbesondere mit der Tiefseeforschung beschäftigt. In Neapel traf er auf Anton Dohrn, der dort 1874 die „Stazione Zoologica“ gegründet hatte, das weltweit erste und eines der wichtigsten Zentren der Meeresforschung im Mittelmeerraum.

Geld spielte für Krupp keine Rolle. Er rüstete zwei eigene Forschungsschiffe, die „Maia“ und die „Puritan“, aus. Zusammen mit Salvatore Lo Bianco, Dohrns wissenschaftlichem Assistenten, gelang ihm im Golf von Neapel eine Reihe von meeresbiologischen Entdeckungen. So spürte er eine bis dahin dort unbekannte Larve des Aals, Leptocephalus brevirostris, auf.

Sein mediterranes Sommerquartier bezog der Essener Kanonenkönig auf Capri. Anders als andere Prominente und „Aussteiger“ dieser Zeit baute sich Krupp keine eigene Villa auf der Insel; er lebte stattdessen in einer Vierzimmersuite im Hotel Quisisana, neben dem Hotel Pagano damals die erste Adresse auf der Insel.

Der Name „Quisisana“ meint: „Hier wird man gesund.“ Der schottische Arzt George Sidney Clark hatte das Haus um 1860 als Sanatorium gegründet und später in ein Hotel umgewandelt, das vor allem von englischen und amerikanischen Reisenden frequentiert wurde. Und „Quisisana“ wurde zum Motto, unter dem der südliche Aufenthalt des Managers und Magnaten Friedrich Alfred Krupp auf Capri stand: Hier fand er sein „buon ritiro“, einen Rückzugsraum von Stress und den Formalismen im Leben eines deutschen ndustriemagnaten. Krupp liebte es, inkognito aufzutreten, umgab sich mit Menschen aus dem Volk, freundete sich mit seinem jungen Friseur, mit Fischern und Bootsführern an und war wegen seiner Freigebigkeit schon bald allseits geschätzt.

Serpentinen, die keiner braucht

Wer einen Ort liebt, will sich dort verewigen: Diesem alten Gesetz folgte auch Krupp. Und womit – auch dies eine alte Regel – könnte sich ein Mann von Geld besser verewigen als mit einem Bauwerk? Im Mai 1899, ein Jahr nach seiner ersten Begegnung mit Capri, machte Krupp dem Bürgermeister des Ortes, zugleich Besitzer des „Quisisana“, das Angebot, auf eigene Kosten eine Straße von der Certosa, dem alten Kartäuserkloster, hinunter zum Meer anzulegen. Das weitläufige Territorium rings um die heutigen Giardini di Augusto zu erwerben war für Krupp kein Problem.

Die technischen Probleme, den Steilabfall zu überwinden, hatte der Ingenieur Emil Mayer zu lösen. Eine Funktion als Verbindungsweg zwischen zwei Orten hatte die Straße nicht: Sie war von Anfang an als Denkmal geplant, in der erhabenen Diktion des Projektentwurfs, „um den Fremden auf der Insel, die in ihren balsamischen Lüften Heilung ihrer körperlichen Leiden suchen, den Aufenthalt dort noch angenehmer und nützlicher zu machen“.

Die Linken im Stadtrat machten vergeblich geltend, dass man die Gelder des deutschen Mäzens doch besser für den Bau eines Bootshauses für die Capri- Fischer verwenden sollte. Aber welcher Mäzen lässt sich schon so etwas vorschreiben? Im Juli 1900 billigte der Stadtrat mehrheitlich das Projekt von Ingenieur Mayer. Nach einer Bauzeit von nicht einmal zwei Jahren, im Frühjahr 1902, war die Straße fertig.

Sie kostete 45000 Lire, eine Summe, die nur annähernd auf den heutigen Geldwert umzurechnen ist. Dem zeitgenössischen Baedeker zufolge kostete die Übernachtung im „Quisisana“ damals vier bis sieben Lire; die Kosten für die Straße entsprächen damit dem Preis von etwa 8000 Übernachtungen, wofür man im heutigen „Quisisana“ rund fünf Millionen Mark bezahlen würde. Friedrich Alfred Krupp hatte die Ehrenbürgerwürde, die die Stadt Capri ihrem Mäzen anschließend zuerkannte, jedenfalls verdient.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 27. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 27

No. 27August / September 2001

Von Dieter Richter und Zora del Buono

Dr. Dieter Richter, Jahrgang 1938, ist Professor für Germanistik und Kulturgeschichte an der Universität Bremen.

Zora del Buono, Jahrgang 1962, ist stellvertretende Chefredakteurin bei mare und Kulturredakteurin. In Heft 25 erschienen ihre Fotos vom Mittelpunkt des Mittelmeeres.

Mehr Informationen
Vita Dr. Dieter Richter, Jahrgang 1938, ist Professor für Germanistik und Kulturgeschichte an der Universität Bremen.

Zora del Buono, Jahrgang 1962, ist stellvertretende Chefredakteurin bei mare und Kulturredakteurin. In Heft 25 erschienen ihre Fotos vom Mittelpunkt des Mittelmeeres.
Person Von Dieter Richter und Zora del Buono
Vita Dr. Dieter Richter, Jahrgang 1938, ist Professor für Germanistik und Kulturgeschichte an der Universität Bremen.

Zora del Buono, Jahrgang 1962, ist stellvertretende Chefredakteurin bei mare und Kulturredakteurin. In Heft 25 erschienen ihre Fotos vom Mittelpunkt des Mittelmeeres.
Person Von Dieter Richter und Zora del Buono