Der Tarnungskünstler

Der britische Maler Norman Wilkinson suchte 1917 nach einer Möglichkeit, mit den Mitteln der Kunst die Kriegsschiffe der Royal Navy gegen deutsche U-Boot-Angriffe zu schützen

Herbst 1917 im Atlantik, südwestlich vor Irland. Ein deutsches U-Boot hat ein britisches Handelsschiff ausgemacht. Die Rauchfahne hat es verraten. Der Kapitänleutnant überholt das Schiff und nähert sich unter Wasser. „Sehrohrtiefe!“, befiehlt er, um sein Boot in Schussposition zu manövrieren. Will er einen Torpedo ins Ziel bringen, muss er nun die exakte Position des Schiffs ermitteln. Dazu ist ein Schnittbildentfernungsmesser ins Periskop integriert. Das kreisrunde Bild ist in zwei Hälften geteilt, eine obere und eine untere, die voneinander abweichen. Bringt man mit einem Regelmechanismus beide Hälften in Übereinstimmung, kann man auf einer Skala die Entfernung ablesen. Eine einfache und bewährte Methode.

„Was, zum Teufel …?“ Der Kapitänleutnant reibt sich die Augen. Das britische Schiff ist zwar genau dort, wo er es vermutet hat, doch sieht es aus der Nähe kaum wie ein Schiff aus. Noch dazu versagt der Entfernungsmesser, die beiden Bildhälften verweigern jegliche Übereinstimmung. Nicht einmal die Fahrtrichtung kann der Kommandant erkennen. „Wo, verflucht, ist das Heck? Und wo der Bug?“ Seine beiden Offiziere wissen auch keine Antwort. Der Angriff wird zunächst einmal abgebrochen. In der Kommandozentrale des U-Boots beginnt ein Rätselraten über das britische Schiff, das wie ein riesiges schwimmendes und dazu noch gebogenes Schachbrett aussieht.

Im Jahr 1916 erreicht der Seekrieg seinen Höhepunkt. Lange hatte die deutsche Admiralität auf die klassische Seeschlacht gesetzt, doch der Royal Navy ist sie nicht gewachsen. Nach der Skagerrakschlacht am 31. Mai 1916 vermeidet die deutsche Marine jede weitere Konfrontation dieser Größenordnung. Stattdessen setzen Admiralität und Oberste Heeresleitung auf eine Waffengattung, die sie zu Beginn des Ersten Weltkriegs noch als militärisch irrelevant eingestuft hatten: das U-Boot. Auch wenn Tauchtiefe und Tauchzeit der kleinen Boote begrenzt sind, so ist deren Wirkung für den Gegner fatal. Im Lauf des Jahres 1916 versenken deutsche U-Boote 1155 gegnerische Schiffe und bringen Großbritanniens Versorgung mit überlebenswichtigen Gütern aus den USA und Übersee ins Stocken. Eine Bekämpfung der U-Boote ist fast unmöglich, obwohl 1916 die Briten die gerade erst entwickelte Wasserbombe erfolgreich einsetzen. Nahezu unmöglich ist mit der damaligen Technik die Ortung von U-Booten. Die Briten sind mehr oder weniger wehrlos.

Das erfährt auch der in Cambridge geborene Maler Norman Wilkinson (1878–1971), der sich allen aktuellen Trends verweigert und einen eigenen realistischen Stil entwickelt. Er studiert an der Southsea School of Art und spezialisiert sich schon in jungen Jahren vorwiegend auf maritime Motive aller Art. Seine handwerklich perfekten Bilder machen ihn so populär, dass er die Rauchersalons an Bord der „Titanic“ und der „Olympic“ gestalten darf. Für die britischen Eisenbahnlinien entwirft er Werbeplakate. Auch für den erfolgreichen Maler stellt der Erste Weltkrieg eine Zäsur dar. Um sein Vaterland zu verteidigen, meldet er sich 1915 freiwillig und tauscht die Leinwand gegen das Fernglas. An Bord verschiedener Schiffe der Royal Naval Volunteer Reserve nimmt er an der Suche nach deutschen U-Booten teil.

Wo immer Norman Wilkinson an Bord ist, fährt die Angst mit, denn die militärische Rollenverteilung steht keineswegs fest – Patrouillenschiffe sind Jäger und Gejagte zugleich. Am 9. Januar 1917 beschließt die Oberste Heeresleitung dann auch noch den uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Jedes Schiff kann jetzt ohne Vorwarnung torpediert werden. Die Zahl der Versenkungen steigt auf mehr als sieben Schiffe am Tag. Selbst vor Zerstörern und amerikanischen Schiffen schrecken die U-Boote nicht zurück. Insbesondere der Ärmelkanal wird zur Todeszone.

 

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mare No. 142

mare No. 142Oktober / November 2020

Von Bernd Flessner

Bernd Flessner, Jahrgang 1957, ist Zukunftsforscher an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und arbeitet als Publizist und Schriftsteller.

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Vita Bernd Flessner, Jahrgang 1957, ist Zukunftsforscher an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und arbeitet als Publizist und Schriftsteller.
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