Der sture Krieger

Als Japan im Zweiten Weltkrieg kapituliert, bleibt ein Leutnant auf seinem Posten auf einer philippinischen Insel. Erst 29 Jahre späterkapituliert auch er – auf Befehl seines ehemaligen Vorgesetzten

Es ist der 12. März 1974. Am Internationalen Flughafen von Tokio herrscht Ausnahmezustand. Etwa 4000 Menschen haben sich versammelt. Im Terminal, auf Aussichtsterrassen, hinter Absperrungen. Manche halten Plakate in die Höhe, andere schauen durch Ferngläser. Fotos werden geschossen, Nationalfähnchen geschwungen.

Ein Raunen geht durch die Menge, als der Mann, für den sie gekommen sind, aus der Maschine der Japan Airlines steigt. Er ist kein Popstar und auch kein Baseballheld. Sondern ein Soldat: 29 Jahre nach der Kapitulation Japans ist nun auch für Leutnant Hiroo Onoda, 52, der Zweite Weltkrieg zu Ende. Eisern hatte Onoda auf seinem Posten auf der philippinischen Insel Lubang ausgeharrt. Er versteckte sich vor den Einheimischen, vor der örtlichen Polizei, vor japanischen Suchtrupps – und kämpfte weiter. Sein Vorgesetzter hatte es versäumt, ihn über das Ende des Zweiten Weltkriegs zu informieren.

Umgeben von einer Traube von Reportern, bahnt er sich den Weg zur wartenden Limousine. Er steckt im feinen Anzug, sein Bart ist perfekt getrimmt, die Kopfhaare sind säuberlich rasiert. So wie er der jubelnden Menge zuwinkt, kerngesund und geistig hellwach, sieht er aus wie ein Präsident nach einer gewonnenen Wahl, an dem alle Hoffnungen hängen.

Doch in Wahrheit wird dort ein Mann gefeiert, der stur alle Hinweise, die auf das Ende des Zweiten Weltkriegs hindeuteten, ignorierte. In seinem privat geführten Dschungelkrieg tötete er Dutzende Menschen, plünderte Speisekammern, verbrannte Reisfelder und verbreitete unter den Dorfbewohnern Lubangs Angst und Schrecken.

Sollte also Hiroo Onoda nicht eigentlich wegen Mordes verhaftet und vor ein Gericht gestellt werden? Dürfte man nicht wenigstens von Japans Presse eine kritische Berichterstattung erwarten? Beides muss der Dschungelheld nicht fürchten. Der philippinische Präsident Ferdinand Marcos hat ihn bereits vor einigen Tagen begnadigt, aus Angst vor diplomatischen Verstimmungen. Und die große, seriöse japanische Tageszeitung „Mainichi Shimbun“ schwärmt: „Onoda ist ein leuchtendes Beispiel für das Leben unter schwierigen Bedingungen.“

So seltsam einem die Verklärung Onodas heute erscheint, die Geschichte passt in diese Zeit. Viele ältere Japaner kommen mit den Veränderungen nicht zurecht: die Entmachtung des Tennos, die neue Demokratie, die rasante Entwicklung zum modernen Industriestaat. In den 1970er-Jahren erobern japanische Autos und Fernseher den Weltmarkt. Und bald wird der Walkman erfunden werden. Es ist ein verrücktes, schnelllebiges Jahrzehnt.

In diesen Zeiten sehnen sich konservative Bevölkerungsschichten nach alten Werten. Und Onoda verkörpert sie. Ein Mann mit unbeirrbarem Kampfgeist, Mut, Zähigkeit und absoluter Loyalität. Ein altes Ideal der Samuraikrieger.

Vielleicht hat er sich tatsächlich wie ein Samurai gefühlt, als er am 30. Dezember 1944 mit einem kleinen Boot auf die philippinische Insel Lubang übersetzt, ein hügeliges, dicht bewaldetes Eiland, etwa 115 Kilometer von Manila entfernt. Sein Auftrag: die Koordinierung des Guerillakampfs. Der Befehl: „Kein Selbstmord, stirb nicht, überlebe und kämpfe!“

Für Onoda, damals 22 Jahre alt, ist es sein erster großer Einsatz nach dem Offizierslehrgang und seiner Ausbildung zum Guerillakämpfer. Japan steht im Pazifikkrieg am Rand der Niederlage. Die eroberten Gebiete in Südostasien sind nicht mehr zu halten. 1944 müssen die Japaner an allen Kriegsschauplätzen den heranrückenden US-Streitkräften weichen.


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mare No. 112

No. 112Oktober / November 2015

Von Jan Keith

Jan Keith, Jahrgang 1971, mare-Redakteur und Halbjapaner, erinnert sich gut an die 1970er-Jahre. Damals liefen ständig Samuraifilme in Japans Fernsehen.

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