Der Stein der Schmeisser

Steineflitschen ist eine ernste Angelegenheit, und seine akademische Erfor­schung war eine Frage der Zeit. mare kennt die Formel­ des perfekten Wurfes

Mads Ludvigsen, genannt „Flitscher-Mads“, war optimistisch. Der 22. Juli 2010, so glaubte er noch am Morgen, werde ein schöner Sommertag. An den Strand von Tisvildeleje, 60 Kilometer nördlich von Kopenhagen, hatte Ludvigsen zur dänischen Steineflitschmeisterschaft gerufen. Der Wind allerdings wehte stark, Brecher mit Schaumkronen rollten ans Ufer. Der Seegang verhinderte großartige Würfe. Lars Rabol wurde Sieger mit gerade 13 Hopsern.

Die Meisterschaft 2010 am Kattegat war die Reminiszenz an einen dänischen Zeitvertreib. Im September 1947 standen Nordländer am Südstrand von Kopenhagen und schmissen Steine ins Wasser. Carl Weinholdt schaffte damals bei den ersten dänischen Meisterschaften ebenfalls 13 Hüpfer. Er gründete den „Smutklubben af 1948“ und war selbst sogar kurzzeitig Weltrekordhalter mit 21 Flitschern.

Nach dem Wellendebakel an der Küste zogen Ludvigsen und sein Wettbewerb aufs Glattwasser um. Dieses und vergangenes Jahr flitschten die Steine über das wellenfreie Meerwasser des Christianshavnkanals in Kopenhagen. Auf der sportlichen Jagd nach den meisten Hüpfern sind Wellen so etwas wie eine Buckelpiste beim alpinen Abfahrtslauf.

Auch in Großbritannien messen sich die Steineschmeißer in wellenberuhigter Zone. Für die schottischen „World Stone Skimming Championships 2012“ reisten die 300 Teilnehmer mit der Fähre auf die kleinste unbewohnte Insel der Inneren Hebriden. Auf Easdale Island, wo früher Schiefer abgebaut wurde, liegt die Arena, ein wassergefüllter Steinbruch.

Die meisten Anhänger des „stone skipping“, wie Steineflitschen auch auf Englisch heißt, finden sich in den USA. Die nordamerikanischen Kieselwerfer ziehen sich zu Meisterschaften ein bisschen von der Meeresbrandung zurück. Dieses Jahr jubelte Russ Byars. Am 4. Juli glitschte der Stein des Amerikaners 30-mal fast waagerecht über das glatte Wasser, bis er mit einem letzten „Blotsch“ in den Fluten des Huronsees, Bundesstaat Michigan, unterging. Damit verteidigte Byars erfolgreich seinen Titel als „Stone Skipping World Champion“. Mehrere hundert begeisterte Frauen und Männer schauten den Steinsportlern bei heiterem Himmel und sommerlichen Temperaturen zu. Wie jedes Jahr folgten dem Saisonhöhepunkt der Steineschleuderer auf der Insel Mackinac, 470 Kilometer nördlich von Detroit, zahlreiche weitere Wettbewerbe in verschiedenen US-Bundesstaaten.

Seit 1973 listet das „Guinness-Buch der Rekorde“ die Bestleistungen auf unter dem Namen „Ducks and Drakes“, Enten und Erpel – eine Anspielung auf die kleinen kreisförmigen Wellen, die sich bilden, wenn der Stein das Wasser tupft, wie es die Flügel der Enten beim Start machen. Die Deutschen nennen das Steinespringen je nach Gegend Ditschen, Flitschen, Steinschnellen oder Klippen, die Russen „pech blini“, Pfannkuchenbacken, die Polen „puszczanie kaczek“, die Ente rauslassen.

Vom Meer kommt es her. Die Küsten sind die Kinderstube des Spiels. Schon der griechische Dichter Homer kannte das Wasserdiskuswerfen und erzählt von einem Wettstreit zwischen Jason und Herkules, die kraft ihrer Oberarme Schilde übers Mittelmeer krachen ließen. Andere Quellen berichten von Menschen, die im Jahr 1583 Austernschalen übers Meer schmissen. Wiederum andere wissen, dass man früher Geld zwar nicht aus dem Fenster, aber ins Wasser warf: Ein englischer König, so geht die Sage, schleuderte Münzen über die Fluten. Shakespeare schrieb in der Urfassung von „Henry V.“ über das „stone skipping“, und der erste US-Präsident, George Washington, soll es auf dem Potomac River mit Silberdollars versucht haben. Übrigens, Eskimos und Beduinen kannten eine trockenere Variante: Wahlweise auf Eis oder Wüstensand begeisterten sie sich für die Schlitterei.

Aus Frust über einen Ehestreit, erinnert sich der 58-jährige Ölarbeiter Jerdone Coleman-McGhee, begann er eines Abends in dem spanischen Fischerdorf Cadaqués, Steine übers Meer zu werfen. Das war Ende der 1970er Jahre. Einheimische und Touristen staunten über den Amerikaner, klatschten Beifall, denn mancher Stein schaffte das halbe Hafenbecken. Schnell waren für die Fischerkinder die nachmittäglichen Lehrstunden des fremden Amerikaners interessanter als die morgendlichen auf der Schulbank. Der Steinwurfguru gründete 1989 die North American Stone Skipping Association, kurz Nassa. 1992 berührte der Stein aus seinen Händen 38-mal das Wasser des texanischen Blanco River, dabei flog der Stein in weniger als fünf Sekunden mehr als 90 Meter. Zehn Jahre lang hielt die Bestmarke.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 95. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 95

No. 95Dezember 2012 / Januar 2013

Von Oliver Zelt und Jörg Hülsmann

Oliver Zelt, Jahrgang 1965, arbeitet als Redakteur bei den Tagesthemen in Hamburg. Er hat seinen persönlichen Steineflitschrekord an der Ostsee aufgestellt. Neun Hopser, und keinen mehr.

Jörg Hülsmann, Illustrator, geboren 1974, arbeitet und lebt mit seiner Familie in Berlin. Er hat seine letzten Steine im Sommerurlaub in Schweden geflitscht, musste sich seinen Kindern aber stets geschlagen geben.

Mehr Informationen
Vita Oliver Zelt, Jahrgang 1965, arbeitet als Redakteur bei den Tagesthemen in Hamburg. Er hat seinen persönlichen Steineflitschrekord an der Ostsee aufgestellt. Neun Hopser, und keinen mehr.

Jörg Hülsmann, Illustrator, geboren 1974, arbeitet und lebt mit seiner Familie in Berlin. Er hat seine letzten Steine im Sommerurlaub in Schweden geflitscht, musste sich seinen Kindern aber stets geschlagen geben.
Person Von Oliver Zelt und Jörg Hülsmann
Vita Oliver Zelt, Jahrgang 1965, arbeitet als Redakteur bei den Tagesthemen in Hamburg. Er hat seinen persönlichen Steineflitschrekord an der Ostsee aufgestellt. Neun Hopser, und keinen mehr.

Jörg Hülsmann, Illustrator, geboren 1974, arbeitet und lebt mit seiner Familie in Berlin. Er hat seine letzten Steine im Sommerurlaub in Schweden geflitscht, musste sich seinen Kindern aber stets geschlagen geben.
Person Von Oliver Zelt und Jörg Hülsmann