Der Sonnenwind kennt keine Flaute

Segel können nicht nur Schiffe antreiben, sondern auch Raumfahrzeuge. Die Nasa ist bereits bei der Planung

Amerika war im Festrausch, das ganze Jahr 1992. Genau 500 Jahre zuvor hatte Christoph Kolumbus den neuen Kontinent entdeckt, nachdem er mit drei Schiffen den Atlantik durchsegelt hatte. Nun galt es, diese Entdeckung zu feiern. Kein Vorhaben konnte da zu aufwendig sein.

Eine der vielen Ideen: eine Jubiläums-Regatta. Weil Kolumbus mit drei Schiffen unterwegs war, sollten wieder drei Segler starten – diesmal aber Hochtechnologie-Vehikel. Ingenieure aus sieben Ländern, darunter die damalige Sowjetunion und China, reichten Entwürfe ein. Das Festkomitee erwählte je einen aus Europa, den USA und Japan, was abermals die Reise des Kapitäns aus Genua symbolisierte: In Europa brach er auf und landete in Amerika anstatt in Ostasien, seinem eigentlichen Ziel. Sieger würde der Teilnehmer sein, der als erster ein Foto von der Rückseite der Wendeboje lieferte.

Das besondere an der Sache: Die Wendeboje war der Mond, und das Rennen sollte tief ins Weltall hinaus führen. Die Vehikel waren Solar-Segler, ein spezieller Typ von Raumschiffen. Ihre Technik gleicht tatsächlich der von Segelschiffen. Im All angekommen, entfalten sie ein großes Segel. Es fängt die Lichtteilchen, die Photonen, der Sonnenstrahlung ein. Beim Aufprall übertragen sie – ganz wie die vom Wind bewegten Luftmoleküle auf der Erde – ihren Impuls auf das Segel. So treiben sie das Gefährt an, das aus dem Segel und einer mit Gitter- oder Seilkonstruktionen befestigten Raumsonde besteht.

Zwar kommen die Raumklipper aufgrund der geringen Lichtenergie nur sehr langsam in Fahrt; in Erdnähe etwa beträgt der Druck des Lichts rund ein Tausendstel dessen, den eine Vogelfeder auf eine Hand ausübt. Doch im beständig wehenden Photonenwind beschleunigen sie stetig und fliegen auf langen Strecken viel schneller als jede chemisch angetriebene Rakete.

Auch Manöver vollführen sie nach Art klassischer Segelschiffe. Fläche und Geometrie der Segel sowie ihr Winkel zum Strom des Sonnenlichts bestimmen Flugrichtung, Beschleunigung und damit die Geschwindigkeit. Gesteuert wird durch die Änderung der Segelstellung und -form. Die Schwerkraft der Sonne dient quasi als Kiel und hält den Segler auf Kurs. Ohne sie würde er vom Licht aus dem Sonnensystem getrieben. Dafür kann er beim Flug quer zum Zentralgestirn nur 38 Prozent der eingestrahlten Energie nutzen, weil das Segel schräg gestellt werden muss.

Dass der Druck des Lichts an der Ausprägung der Kometenschweife mitwirkt, entdeckte der Astronom Johannes Kepler schon 1616. Das erste Sonnensegel-Konzept entwarfen 1924 die russischen Raumfahrtpioniere Konstantin Ziolkowski und Friedrich Zander. Ihnen war – wie auch ihrem siebenbürgischen Kollegen Hermann Oberth – die Erde zu eng. „Sie ist die Wiege der Menschheit“, schrieb Ziolkowski. „Doch der Mensch ist nicht dazu gemacht, in einer Wiege zu leben.“ Sie planten, ihr durch Weltraumreisen in Solarklippern – Oberth sprach von Solarspiegeln – zu entfliehen. Knapp 40 Jahre später führte der Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke die Idee fort. „Herrlich glitzernd im Sonnenlicht, das ihnen für die nächsten Jahrhunderte gehören würde“, ließ er John Merton, den Helden seiner Kurzgeschichte „Der Wind von der Sonne“, von den kosmischen Seglern schwärmen.

Als Erste machten sich Ingenieure der US-Raumfahrtbehörde Nasa daran, diese Vision zu realisieren. Sie entwarfen ein zwei Tonnen schweres Vehikel mit einem 800 Quadratmeter großen Segel aus Kapton, einem leicht gewichtigen Kunststoff. Es sollte 1981 starten, zum Rendezvous mit dem Halleyschen Kometen. Der Schweifstern, so wussten die Astronomen, würde 1986 ins innere Sonnensystem zurückkehren. Doch Budgetkürzungen zwangen die Nasa, das Projekt zu stoppen.

Nun ruhten die Hoffnungen der Techniker auf den Klippern für den „Columbus 500 Space Sail Cup“ von 1992. Sie waren vielgestaltig wie die Raumschiffflotten der Weltraum-Saga „Star Trek“.

Das „Solar Sail Race Vehicle“ der World Space Foundation etwa sollte für die USA fliegen; es erhielt den Vorzug vor Entwürfen aus dem renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) sowie der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore. Mit seinem 3000-Quadratmeter-Segel aus silberbedampftem Kunststoff erinnert es an einen quadratischen Kinderdrachen. Das Design orientierte sich an der Sonnenblume: 480 einzeln an einer Zentralachse aufgehängte Blätter bilden das Segel, das 200 Meter Durchmesser erreicht. Jedes der „Blätter“ ist drehbar und soll unkontrollierte Bewegungen der Sonde stoppen. Nur 20 Kilogramm wog der „Heliogyro“-Segler des MIT, der acht nach Art eines Helikopter-Rotors um einen Kern angeordnete Segelblätter von 170 Meter Länge aufweist.

Technologisch führend war das Modell der englischen Firma Cambridge Consultants. Sie tauften ihren Segler „Niña“, nach dem kleinsten Schiff des Christoph Kolumbus. Sein Segel faltet sich scheibenförmig um die Nutzlastkapsel auf und erreicht dabei Rekordgröße: 60 000 Quadratmeter bei 276 Meter Durchmesser. Dank verstellbarer Rippen aus kohlefaserverstärkter Plastik nimmt das Segel Schüssel- oder Sattelform an. Auf diese Weise wird „Niña“ gesteuert und in drei Achsen lagestabilisiert. Navigieren sollte der Segler mit Hilfe neu entwickelter optischer Sensoren sowie einer Funkeinrichtung, die die Abstände zu Sonne und Erde messen.


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mare No. 20

No. 20Juni / Juli 2000

Von Michael Odenwald

Michael Odenwald, geboren 1950, ist Wissenschaftsredakteur bei Focus in München. Als Fußballer pflegte er Bälle auf interstellare Reise zu senden, auf Nimmerwiedersehen

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Vita Michael Odenwald, geboren 1950, ist Wissenschaftsredakteur bei Focus in München. Als Fußballer pflegte er Bälle auf interstellare Reise zu senden, auf Nimmerwiedersehen
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