Samstags auf dem Wochenmarkt im Hamburger Eppendorf. Hier kaufen die Angehörigen der kulinarischen Informationselite die Zutaten ihrer gastrosophischen Abendessen. Beliebter Treff ist der Stand eines Feinkosthändlers, der seine Stammkunden mit kostbaren Naturalien versorgt, darunter seltenste, edelste Meersalze. Ein Gespräch unter zwei Berufsconnaisseuren, nennen wir sie Herr S. und Frau W.:
Herr S.: „Guten Tag, liebe Kollegin, Sie auch da. Wieder das Bedürfnis, Ihrem kulinarischen Leben eine ungekannte Würze zu geben?“
Frau W.: „Ja, schadet ja nicht, mir so wenig wie Ihnen. Aber angesichts Ihrer Auflage ist es bei mir wenigstens nur das kulinarische.“
Herr S.: „Touché. Aber lagen Sie nicht kürzlich auch wieder mal falsch, als Sie Ihren Lesern dieses hawaiianische Alaea-Salz als höchstes Erdenprodukt priesen? (Legt achtlos den rückständig aussehenden Karton in die Auslage zurück.) Wer außer ein paar Affektköchen salzt denn noch mit so etwas? Die Farbe schon: roter Vulkanlehm, quasi reines Eisenoxid. Indiskutabel. Außer bei Kalua Pork Jerky. Aber das haben wir schon den Achtzigern hinter uns gelassen, werte Kollegin.“
Frau W.: „Was wollen Sie gegen dieses Salz einwenden? Mehr Raffinesse, subtileres Abbild von dem Geschmack des Meeres werden Sie kaum finden. Da können Sie glatt einpacken, Sie mit Ihrem ewigen fleur de sel. Im Übrigen haben Sie mich nicht richtig gelesen, typisch. Ich hatte Alaea empfohlen – gepriesen habe ich australisches Murray River Flake! Hier sehen Sie (wiegt zärtlich ein Gläschen, artisanal verpackt zu 15 Euro die Unze), das ist nun wirklich ultimativ, ein ganz anderes Repertoire, diese Aromen der Rotalgen …“
Herr S.: „Mit Verlaub, Kollegin, ich habe schon über farbiges Salz geschrieben, als Sie noch Klatschspalten redigierten. Immerhin war ich es, der Maine Hickory Smoked (zeigt in eine – hinterste – Ecke des Sortiments) Deutschlands Restaurants geschenkt hat. Meine Zunge hat ein paar mehr Jährchen die harten Löffel der Haute cuisine geleckt. Wenn ein bergischer Drei-Sterne-Koch bei mir schreibt, französisches fleur de sel Noirmoutine ist eine Geschmacksgeheimwaffe, unglaubliche kicks auf glacierter Aprikose, dann geschieht das in tiefer Verantwortung für …“
Frau S.: „… immer die gleichen Nasen, denen Sie auf den Leim gehen. Drei Sterne: not bad, aber am Ende nur was für Manager und uns Gastrokritiker, also Spesenritter. Meinetwegen schieben Sie’s auf meine Jugend, ich bin eben gewohnt, global zu essen. Think global, eat local – das ist schlau verbrämter, aber reinster Wirtschaftsprotektionismus, haha. Ganz schön old school, mein Lieber.“
Herr S.: „Da empfehle ich Ihnen, die Koffer zu packen und sich die Salzmoore in der Guérande anzusehen. Chefs aus aller Welt stehen sich die Beine in den Bauch, um den Bauern ein Säckchen fleur de sel rosé frisch von der Kelle abzubetteln. Echt global. Warum in die Ferne schweifen?“
Frau W.: „Alles schon gesehen. Ist ja ganz nett, wie die Jungs mit ihren weißen Höschen barfuß über die Dämme ihrer œuillets laufen. Jedem erzählen sie dann mit lückenhaftem Verführerlächeln die Mythen ihres Salzes: hauchzarte Mittagskristalle, allerreinst, höchstgradig eutroph, nur bei einem Nordwest von 5 bis 6 Beaufort entstehend und nur bei 26,5 Grad im Schatten, das Schöpfsieb vom Urgroßpapa, dieses ,Das lernt man nicht, das hat man im Blut‘ – hach, subventionierte Agrarfolklore! Ich sehe dort nur Heilung suchende Visagen von Deutschen mit übler Gastronomia nervosa. Und wenn ihre Dosis ausgegangen ist, kaufen sie Nachschub bei diesem Nostalgieversand, der mit den schönen Texten. Der Otto für Gutverdiener!, sag ich dazu, ach nein: P-o-s-t-m-a-t-e-r-i-a-l-i-s-t-e-n. Ignoranten, wenn Sie mich fragen. Profis haben schon mehr Salz drauf als … hier, sehen Sie mal, kennen Sie das? (Zeigt auf Bali Coconut & Lime, ein Beutelchen zum Preis von waffenfähigem Uran.)
Herr S.: „Ja, ja, hab ich letztens ins Nudelwasser geschmissen, zu mehr nicht zu gebrauchen, zwei Klassen schlechter als walisisches Halen Môn. Aber ich sage Ihnen: Suchen Sie nicht länger. Sie könnten bis zu Ihrer Rente über fleur de sel schreiben, Ihre Zeilen würden die Fülle der Aromen nicht bewältigen und die Finessen der paludiers und sauniers. Die sind übrigens alle sozialversichert. (Greift sich ein Säckchen Esprit du sel, Ile de Ré, kleine Appellation, schwer zu kriegen, sehr teuer.) Nein, Kollegin, Sie übertreiben, I blame it on your youth. Wir Älteren schreiben seit zwei Jahrzehnten die Spalten voll, um die Deutschen über den Tellerrand zu heben, und Sie machen daraus gleich Küchensoziologie. Wie Sie wissen, wissen wir praktisch nichts von den Salzbauern in Fünftweltländern, denen Sie so gern den Schnee abkaufen. Sie sind ja bloß beeindruckt von exotischer Arbeitsromantik: blinde Jungfrauen, die in Indien singend das Salz von den Korallen kratzen, lachende Maori-Kinder, die nackt über die Strände der Cook Strait tapsen und Salz schippen …“
(Ein dritter Kunde schiebt sich durchs Gedränge an den Verkaufsstand.)
„Excusez-moi, Messieurs-dames. Isch benötige bitte nur eine kleine Säckschen fleur de sel au basilic. Für ein Tomatenbrot reischt das völlisch.“
Karl J. Spurzem, geboren 1959 im Rheinland, studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Städtebau. Nach Stationen bei der Berliner Tageszeitung Die Welt, einer Hamburger Musikzeitschrift und als freier Journalist wurde er im Sommer 2001 Chef vom Dienst bei mare, im Frühjahr 2008 stellvertretender Chefredakteur und Textchef. Seither lernt der Segelflieger das Segeln.
Hans Hansen lebt als freier Fotograf in Hamburg.
Vita | Karl J. Spurzem, geboren 1959 im Rheinland, studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Städtebau. Nach Stationen bei der Berliner Tageszeitung Die Welt, einer Hamburger Musikzeitschrift und als freier Journalist wurde er im Sommer 2001 Chef vom Dienst bei mare, im Frühjahr 2008 stellvertretender Chefredakteur und Textchef. Seither lernt der Segelflieger das Segeln.
Hans Hansen lebt als freier Fotograf in Hamburg. |
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Person | Von Karl J. Spurzem und Hans Hansen |
Vita | Karl J. Spurzem, geboren 1959 im Rheinland, studierte Kunstgeschichte, Romanistik und Städtebau. Nach Stationen bei der Berliner Tageszeitung Die Welt, einer Hamburger Musikzeitschrift und als freier Journalist wurde er im Sommer 2001 Chef vom Dienst bei mare, im Frühjahr 2008 stellvertretender Chefredakteur und Textchef. Seither lernt der Segelflieger das Segeln.
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