Der Midas der Meere

Tankerkönig Onassis belieferte die Welt mit zweierlei Treibstoff: für Motoren und Fantasien. Aus dem Leben eines Lebemanns

„Er ist ein geborener Erzähler mit einer lyrischen Ader, und er kann eine Liste von Adjektiven mit stetig steigender Emphase und Ausdruckskraft aufbauen, die so vollkommen klingt wie eine musikalische Phrase.“

Das schrieb über ihn ein Journalist namens Randolph Churchill, seines Zeichens Sohn von Sir Winston, womit die Liga, in der die Geschichte spielt, bereits definiert ist. Allerdings lässt eine solche Charakterisierung an manchen denken, an einen Künstler und Dichter wohl am ehesten, nicht aber unbedingt an einen Mann, der es als eine Art moderner König Midas zu weltweiter Berühmtheit gebracht hat; weil das, was er anrührte, zu Geld und Gold wurde und er selbst zum Inbegriff der pekuniären Potenz, und nicht nur dieser. Aristoteles Onassis – schon der Name klingt wie aus dem Märchen, und dieser Name war in gewisser Weise das Programm: für die illustrierten Zeitschriften wie für ein Stück Zeitgeschichte, in dem die Sorayas und Aga Khans, die Playboys, Fürstensöhne und protzige Partys vorkamen.

Doch zugleich wurde der Name Onassis zur Chiffre eines extremen Lebensentwurfs – zwar der hoch modernen Neuzeit mit all den typischen Beifügungen und Klischees, doch auch mit jenen Bestandteilen des Dramas, die letztlich im Antiken wurzeln. Tratsch und Tragödie, Glanz und Elend bildeten die Schenkel dieses ebenso epochalen wie im Grunde banalen biografischen Spagats, der überdies eines der beliebtesten und beruhigendsten Vorurteile aller Normalverdiener bestätigte. Denn wer hoffte, ja wüsste nicht ohnehin, dass die Reichen und Superreichen samt und sonders im Grunde zu bedauern sind, weil ihnen das wirkliche Glück versagt geblieben ist?

„Ein reicher Mann ist oft nur ein armer Mann mit sehr viel Geld“, hat Onassis selbst einmal gesagt. In seinem Fall einer mit sehr, sehr viel Geld. Der Begriff Jetset wurde in Wahrheit erst zum geflügelten Wort, seit Onassis und seine Entourage die Bühne dieser Welt betreten hatten, stets die Frage auf den Lippen, was sie denn nun koste.

Ein Neureicher im eigentlichen Wortsinn war er, doch keineswegs ein Parvenü, sondern ein Mensch von exquisitem Geschmack, wie sich bis hin zur sorgsamen Auswahl nicht nur des luxuriösen Interieurs seiner Unterkünfte, ob zu Wasser oder zu Land, zeigte – sondern auch bei den Herzen, die er brach oder auch kaufte. Erst das von Athina („Tina“), der Tochter von Stavros Livanos, dem Reederpatriarchen. Dann – und vor allem und mit viel Gefühl – das von Maria Callas, der Königin der Nacht und der Koloratur schlechthin; und schließlich jenes der Kennedy-Witwe Jackie, das eine Trophäe ganz besonderer Art darstellte.

Onassis’ Geschichte begann Anfang des 20. Jahrhunderts in Izmir an der heute türkischen Küste, dort wo die Geschichte des alten Griechenlands und überhaupt die abendländische begann.

Aristoteles Onassis stammte aus einer wohlhabenden griechischen Tabakhändlerfamilie. Als die Griechen 1922 aus Anatolien vertrieben wurden, emigrierte er mit ein paar hundert Dollar in der Tasche ins Land seiner Väter, jobbte als Telefonist und als Portier und brachte dann das Familiengeschäft wieder in Schwung. Doch er hat diese Geschichte seines Ursprungs, wie so manches in seinem inszenierten Leben, im Nachhinein ein bisschen manipuliert: Nicht 1906, wie auf seinem Grabstein steht, und auch nicht 1900, wie in diversen Dokumenten verzeichnet ist, sondern 1904 wurde er dort geboren.

Wie dem auch sei, der Tabakhandel war ihm nicht genug. Bereits als junger Mann von Mitte zwanzig war er griechischer Konsul in Buenos Aires, und Anfang der dreißiger Jahre begann er mit dem Aufbau seines Reedereikonzerns. Im Zweiten Weltkrieg besaß er bereits eine Flotte von 26 Frachtern und Tankern, die er den Alliierten gegen beträchtliche Gebühr zur Verfügung stellte.

Als dann der Frieden ausbrach, profitierte auch das deutsche Wirtschaftswunder ein bisschen vom unaufhaltsamen Aufstieg des griechischen Magiers des Mammons: Die „Tina Onassis“, benannt nach seiner Frau, damals mit einer Länge von 236 Metern der größte Tanker der Welt, wurde auf der Howaldt-Werft gebaut. Doch nach diversen Rückschlägen, nach giftigen Intrigen, die sein Schwager und Reederrivale Stravros Niarchos einfädelte, sowie dem Platzen viel versprechender Ölgeschäfte mit den Saudis war es dann abermals der Krieg, der ihn endgültig rettete und dauerhaft reich machte, diesmal der Sueskrieg.

Niemand hatte in jenen Tagen so viele Kapazitäten wie Onassis mit seinen inzwischen 100 Tankern, der die Preise diktierte und die Transportkosten verdoppelte. Diese Krise war zugleich die Geburtsstunde der Supertanker: Da der Kanal gesperrt war, sollten für den lästigen Umweg um Afrika möglichst große Schiffe her, um nach dem Prinzip des Jumbofrachters vergleichsweise billig zu transportieren. Onassis stellte die Jumbofrachter bereit.

Als das private Vermögen von Onassis auf die seinerzeit unvorstellbare Summe von einer Milliarde US-Dollar angewachsen war und er Mitinhaber von 30 Schifffahrtsgesellschaften war, die unter fünf Flaggen fuhren, teilte er seine Geschäfte weiter auf und steckte sein Geld in Banken, in Versicherungen, in weitere Transportfirmen und eine Fluggesellschaft; dazu in Scorpios, seine eigene Insel vor Griechenland, und, nicht zu vergessen, in Monaco. Das kleine marode Fürstentum blühte in den fünfziger Jahren auf, nachdem Onassis seine Liebe zu ihm entdeckt und zum Zeichen dafür das Casino und den Hafen, viele Hotels und Villen hatte renovieren lassen, so dass der Zwergstaat zum Urlaubsparadies der gehobenen Kreise Europas avancierte.

Um das kleine Glück komplett zu machen, bekam Fürst Rainier dank der Kupplerdienste des Griechen seine Grace Kelly zur Frau. Die Filmschauspielerin entstammte einer amerikanischen Familie, die es im Baugewerbe zu enormem Reichtum gebracht hatte, und zu den Reichen und Neureichen Amerikas unterhielt der Tankerkönig gute Beziehungen.

Es war die Heirat mit der 17-jährigen Athina gewesen – 1946 in New York, dem Mittelpunkt der Welt, wo er naturgemäß noch oft weilen sollte –, die Onassis selbst den Zugang zu dem etablierten Athener Reedermilieu eröffnet hatte. Doch ein wirklich kompatibles Mitglied dieser alten, ehrbaren und überaus konservativen Zunft wurde er nie.

Onassis hasste geregelte Arbeitszeiten, und er hasste Büros. Aber dennoch war er ein Workaholic. Arbeiten sei besser als Sex, behauptete er einmal. Sein Büro war ein kleiner brauner Taschenkalender, und seine Arbeit verrichtete er vorzugsweise in Hotelbars und Clubs, wo sich womöglich das eine mit dem anderen verbinden ließ. All das passte zu jemandem, der nicht nur ein Geschichtenerzähler, ein Sammler und ein Jäger, sondern auch ein großer Spieler war, ein Playboy eben.

„Ab einem bestimmten Punkt wird Geld bedeutungslos. Es ist nicht mehr das Ziel. Nur noch das Spiel ist wichtig“, lautet ein weiteres Onassis-Bonmot. Er war der Herr über die größte Tankerflotte des Globus, ein frühzeitiger Globalisierer, was fast zwangsläufig den Argwohn der globalen Supermacht Amerika weckte.

Die warf ihm vor, widerrechtlich Kriegsschiffe gekauft und für Transporte eingesetzt zu haben, was ihn sieben Millionen Dollar Strafe kostete. Und dann bekam er auch noch Ärger mit der CIA. Angesichts des exklusiven Transportrechts für Öl, das Onassis durch seine vorzüglichen Verbindungen zu den Saudis erlangt hatte, befürchtete der Geheimdienst, der Tankermogul könne am Ende mächtiger werden als ein Staat. Monatelang wurden die Geschäfte torpediert, und schließlich fand man einen saudischen Beamten, der bestochen worden war.

Nun sollte der Handel öffentlich gemacht werden, doch keine Zeitung in Griechenland wollte die Geschichte drucken – bis der Onassis-Schwager Stavros Niarchos eine Athener Tageszeitung kaufte, die sie publizierte. Nun ging die Story um die Welt, einschließlich der Spekulation, Niarchos habe Onassis an die CIA verraten – eine Intrige der besonders bizarren Art.

Onassis’ größte Rachetat gegen die Schmähung durch Amerika war später die Hochzeit mit Jackie Kennedy, der Witwe des ermordeten amerikanischen Traums namens JFK. Das war auch in gewisser Weise eine Neuauflage des Raubes der schönen Helena in einem Krieg um Macht und Ansehen – und letztlich um die Bilder in den Köpfen der Menschen, die auch damals schon eine große Rolle spielten, obgleich das so genannte Medienzeitalter noch in den Kinderschuhen steckte.

Seine Millionen und Milliar- den machte dieser Aristoteles, der im Unterschied zum antiken Namensvetter weniger ein Welterklärer, sondern mehr ein Weltbeweger war, mit dem Transport jenes Stoffes, der die moderne Welt mobil macht und von dem sie abhängt wie der Junkie von seinem Suchtmittel: Öl.

Zugleich lieferte er einen anderen Treib- und Triebstoff, einen für die Köpfe der Menschen. Er bot, wie die olympischen Götter des Altertums, die Projektionsfläche für Wünsche und Sehnsüchte und Ahnungen des Abgrunds, der in jedem lauert.


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 43. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 43

No. 43April / Mai 2004

Von Benjamin Worthmann

Benjamin Worthmann (Mathias Zschaler)ist Journalist und Autor und lebt in Berlin. Sein Roman Etwas ist immer ist im Goldmann-Verlag erschienen. In mare No. 41 erklärte er, warum sich koreanische Schiffbaumeister ein Beispiel an der Schildkröte nahmen.

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Vita Benjamin Worthmann (Mathias Zschaler)ist Journalist und Autor und lebt in Berlin. Sein Roman Etwas ist immer ist im Goldmann-Verlag erschienen. In mare No. 41 erklärte er, warum sich koreanische Schiffbaumeister ein Beispiel an der Schildkröte nahmen.
Person Von Benjamin Worthmann
Vita Benjamin Worthmann (Mathias Zschaler)ist Journalist und Autor und lebt in Berlin. Sein Roman Etwas ist immer ist im Goldmann-Verlag erschienen. In mare No. 41 erklärte er, warum sich koreanische Schiffbaumeister ein Beispiel an der Schildkröte nahmen.
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