Der König von Madagaskar

Graf Benjowski war vieles in seinem Leben: Soldat, Abenteurer, Weltreisender, Schriftsteller – und Herrscher über Madagaskar

Im Jahr 1776 trennen sich zwei höchst verschiedene Kolonien gewaltsam von Europas Mächten: Amerika und – Madagaskar. Doch während die Declaration of Independence zum weltgeschichtlichen Ereignis wird, ist Madagaskars Unabhängigkeitserklärung ein Schelmenstück. Absurderweise illustriert gerade die Unabhängigkeitserklärung einer afrikanischen Insel den Größenwahn der Europäer im 18. Jahrhundert, zumindest den Größenwahn eines Möchtegernkonquistadoren, der ganz allein das Schicksal Madagaskars bestimmen will: Moritz August Graf von Benjowski.

Er, der sich 1776 zum König des freien Madagaskar krönt, wird in der heutigen Slowakei geboren, 1741 oder 1746, schon das ist in seinem turbulenten Leben nicht klar, ebensowenig, wie man sich bis heute auf die Schreibweise seines Namens einigen kann. Der Adlige mit ungarischen, slowakischen und polnischen Ahnen ist eigentlich österreichischer Untertan, als 14-Jähriger tritt er in Wiens Armee ein und kämpft im Krieg. Doch nach einem Erbschaftsstreit um ein Landgut weist Kaiserin Maria Theresia 1765 Benjowski als „Rebellen“ aus ihrem Reich.

Er treibt sich zwei Jahre lang in Europas Häfen herum, ist in Hamburg, Plymouth, Amsterdam, Danzig. Als sich 1767 polnische Adlige gegen den russischen Zaren erheben, den Oberherrn ihres Landes, stürzt sich Benjowski heißblütig in diesen Krieg. Doch die Russen fangen ihn und verbannen ihn auf die öde Halbinsel Kamtschatka, weiter fort von Europa kann man kaum sein. All das wissen wir vor allem aus seinen Memoiren, in denen uns ihr Verfasser als höflicher, kluger, überlegener Kriegsmann entgegentritt – aufmerksame Leserinnen und Leser fragen sich nur, warum dieser Genius bloß mit allem scheitert, was er anpackt.

1771 jedenfalls schmachtet der Graf mit Dutzenden anderen Verbannten auf Russlands fernster Halbinsel. Kamtschatka er- weist sich jedoch keinesfalls als Endstation seiner Karriere, sondern als deren eigentlicher Beginn. Wenn man seine Memoiren vorsichtig interpretiert, dann geht die Geschichte so: Benjowski wird von Kamtschatkas Gouverneur als Sprachlehrer für dessen 15-jährige Tochter engagiert. Der in Europa bereits verheiratete Graf verspricht dem Mädchen die Ehe, verführt es – und nutzt ihre Hilfe aus, um den Gouverneur vor den Augen eben dieser Tochter zu töten. Mit 96 Verbannten flieht er anschließend auf ein kleines Segelschiff.

Benjowski will sich zu den europäischen Kolonien in China durchschlagen – doch landet er zuerst auf den Aleuten vor Alaska, dann, nach weiteren Irrfahrten, in Japan, dann auf Formosa, dem heutigen Taiwan, und schließlich, an Bord der königlichen „Dauphin“ auf dem Weg nach Frankreich, 1772 auf Madagaskar.

Die Insel vor Afrikas Ostküste ist den Europäern zwar schon lange bekannt, sie (und auch arabische Kaufleute) handeln mit den untereinander oft verfeindeten einheimischen Stämmen, Frankreich hat dort die Faktorei Fort Dauphin errichtet. Doch keine Macht hat Madagaskar bislang unterworfen. Frankreich hat es bloß vermocht, die zuvor unbesiedelten kleinen Eilande Île de France (Mauritius) und Île Bourbon (La Réunion) östlich Madagaskars in Besitz zu nehmen. Benjowski sieht sich auf der „feinen und großen Insel“ nur ein paar Stunden um, lang genug, um zu beschließen, dieses Eiland zu unterwerfen: Der in Österreich, Polen und Russland gescheiterte Graf wird nun eben für Frankreich eine Rieseninsel im Indischen Ozean kolonisieren!

Man wüsste ja schon gern, was in Benjowskis Kopf vorgeht, wie er redet, was er denkt – Charme und Charisma muss er haben, das ist sicher. Denn als der nahezu mittellose und unbekannte Graf im Sommer 1772 endlich in Frankreich landet, gelingt es ihm tatsächlich, König Ludwig XV. seinen Eroberungsplan aufzuschwatzen. Vielleicht hilft es, dass ein Onkel Benjowskis am Hof dient. Vielleicht hilft es, dass sich niemand in Versailles sonderlich um jenes ferne Madagaskar kümmert. Soll Benjowski sich dort doch austoben, was hat man schon zu verlieren?

Marineminister Bourgeois de Boynes jedenfalls überreicht dem Grafen des Königs Order, auf Madagaskar „eine Niederlassung zu gründen, um in zukünftiger Zeit das Vertrauen des dortigen Königs, seiner Prinzen und Häuptlinge zu gewinnen, sodass sie ihre Insel schließlich unter den Schutz Seiner Majestät stellen“. Ein Freibrief zur Eroberung. 300 Freiwillige für eine Armee darf der Graf anwerben, er bekommt ein Schiff und Kanonen, er selbst hofft, dass ihm auf der Île de France zudem noch „Handelswaren für 200 000 Livres“ zur Verfügung gestellt werden.


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mare No. 134

No. 134Juni / Juli 2019

Von Cay Rademacher

Cay Rademacher, Jahrgang 1965, lebt als Autor in der Provence – und verneigt sich kollegial vor Benjowski, dessen Autobiografie seines abenteuerlichen Lebens sich liest wie Münchhausen, nur in echt. Zumindest ungefähr.

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Vita Cay Rademacher, Jahrgang 1965, lebt als Autor in der Provence – und verneigt sich kollegial vor Benjowski, dessen Autobiografie seines abenteuerlichen Lebens sich liest wie Münchhausen, nur in echt. Zumindest ungefähr.
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