Im Winter 1741 wird Kapitän Vitus Bering langsam bei lebendigem Leib begraben. Krankheit zerfrisst den 60-jährigen Leib, Fieber schüttelt ihn, die einzige Hitze in dieser unfassbar kalten Welt. Bering liegt in einem Erdloch, das seine Kameraden mühsam geschaufelt haben. Darüber haben sie aus Treibholz, Stoffen und den frisch abgezogenen Häuten von Polarfüchsen ein Zelt gespannt. Draußen rüttelt der Sturm an dem armseligen Behelf, die Luft schmeckt nach Schnee, die Nächte sind endlos, und wenn doch die Sonne aufgeht, durchdringt ihr Licht den Nebel nicht, der aus dem Nordpazifik quillt. Sand rieselt Korn für Korn auf Berings gelähmten Körper. Seine Männer wollen ihn freischaufeln, doch er wehrt ab. Dafür, immerhin, reicht noch die Kraft: Die Decke aus Sand gibt ihm wenigstens eine Illusion von Wärme.
Bering verdämmert seine letzten Tage auf einer kargen Felseninsel irgendwo zwischen Kamtschatka und Alaska. Diese Insel wird einmal seinen Namen tragen. Auch die Meerenge zwischen Asien und Amerika nördlich davon wird seinen Namen tragen. Bering wird als einer der größten Entdecker aller Zeiten geehrt werden. Doch vermutlich wird der Gedanke an Ruhm nichts Tröstliches haben, eher wird sich Bering im Sterben als Gescheiterten wähnen, gescheitert mit seiner Mission und seinem Leben.
Vitus Jonassen Bering wird am 31. August 1681 im jütländischen Horsens getauft – viel mehr weiß man nicht über seine Herkunft. Abenteuerlustig wird der junge Däne wohl sein, denn er heuert auf Ostindienfahrern an. 1703 tritt er in russische Dienste, was keinesfalls ungewöhnlich ist. Zar Peter der Große, der Russland reformiert, baut eine Marine auf. Dafür wirbt er ausländische Experten an.
Bering kommandiert schon als 23-Jähriger ein russisches Schiff, bewährt sich in Kriegen gegen Schweden und das Osmanische Reich. 1724 hat er die Hälfte seiner 43 Jahre auf Nord- und Ostsee, Atlantik und Indischem Ozean, Mittelmeer und Schwarzem Meer verbracht und dem Zaren zwei Jahrzehnte lang loyal gedient – einem Zaren, der nun sein Ende nahen fühlt. Im Dezember 1724, kurz vor seinem Tod, befiehlt Peter der Große noch ein letztes gewaltiges Unternehmen.
Russland erstreckt sich im fernen Sibirien ins Irgendwo, der Zar weiß nicht, wo die Grenzen seines Imperiums liegen. Kosaken haben zwar seit dem 16. Jahrhundert die schier unendliche Weite für Russland erobert und – spärlich genug – besiedelt. Russland hat Stützpunkte in Sibirien und auf der Tausende Kilometer entfernten Halbinsel Kamtschatka. Doch die Küsten dort sind praktisch nicht kartiert. Niemand weiß, wo Russland aufhört, ja, ob es überhaupt aufhört.
Denn die Westküste Nordamerikas ist Europas Gelehrten bislang ebenfalls nur bis Kalifornien bekannt. Wie geht es nördlich weiter? Existiert eine Landbrücke zwischen Asien und Amerika? Könnten Peters Kosaken also zu Pferd von Kamtschatka aus bis zu Spaniens Konquistadoren vorstoßen? Oder endet Russland im Nordpazifik? Und falls ja: Wo genau trennt der Ozean Asien von Amerika?
Vitus Bering soll für den Zaren diese Frage klären. Er soll quer durch Sibirien reisen, an den fernsten Gestaden Schiffe bauen und von Asien aus Amerika ein zweites Mal entdecken. Was einst der Genueser Kolumbus für Spanien leistete, das soll der Däne Bering nun für Russland tun. Am 5. Februar 1725 bricht Bering mit Offizieren, Kartografen, Seeleuten, Handwerkern und einem Geistlichen aus Sankt Petersburg auf – und erreicht nach strapaziöser Durchquerung Sibiriens im März 1728 Kamtschatka. Kolumbus’ Entdeckungsfahrt hat neun Monate gedauert – Bering braucht drei Jahre, um überhaupt den Ausgangspunkt seiner Expedition zu erreichen.
Im Sommer 1728 sticht Bering mit dem auf Kamtschatka zusammengezimmerten Segler „Gabriel“ in See. Bering kreuzt wochenlang auf 60, 64, schließlich 67 Grad nördlicher Breite. Einmal sieht er ein Eiland, das er Diomede tauft, an dem er aber nicht landet. (Tatsächlich sind es zwei Inseln.) Am 15. August 1728 kehrt er um, er fürchtet, im eisigen Meer vom Winter überrascht zu werden. Für Bering ist die Mission erfüllt: Gerade, weil er Amerika nach so langem Kreuzen nicht gesehen hat, gilt ihm das als Beweis, dass die Kontinente vom Meer getrennt sind. Es gibt keine Landbrücke, sonst hätte er sie ja entdeckt.
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Autor Cay Rademacher, geboren 1965, hat im Lauf der Jahre schon über viele Entdecker geschrieben – doch kaum einer schien ihm so hartnäckig und so rätselhaft zu sein wie dieser dänische Seefahrer.
| Lieferstatus | Lieferbar |
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| Vita | Autor Cay Rademacher, geboren 1965, hat im Lauf der Jahre schon über viele Entdecker geschrieben – doch kaum einer schien ihm so hartnäckig und so rätselhaft zu sein wie dieser dänische Seefahrer. |
| Person | Von Cay Rademacher |
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| Vita | Autor Cay Rademacher, geboren 1965, hat im Lauf der Jahre schon über viele Entdecker geschrieben – doch kaum einer schien ihm so hartnäckig und so rätselhaft zu sein wie dieser dänische Seefahrer. |
| Person | Von Cay Rademacher |