Der Knochensammler vom Blue Hole

Das Blue Hole von Dahab ist der gefährlichste Tauchspot der Welt. Hier, vor der Ostküste der Sinaihalbinsel, jagen technische Taucher nach Tiefenrekorden – und Hunderte von ihnen lassen ihr Leben. Der Ägypter Tarek Omar holt die Toten zurück nach oben

Das Blue Hole

Was muss ein Loch haben, das einen hinunterzieht? Es muss blau sein am Anfang, verheißungsvoll, damit es einen empfängt; dahinter muss es dunkler werden, einen Abgrund bieten, denn Tiefe ohne Dunkelheit ist keine Tiefe. Es muss fremd sein, es muss Neuland sein, unerforscht, nicht zu betreten. Es muss den Reiz des Verbotenen haben; eine Linie haben, die man überschreiten kann, eine Linie, die trennt: in jene, die davor bleiben, und jene anderen, Besonderen, Außergewöhnlichen, die sie überschreiten. Man muss sich dem Tod nähern, Schritt für Schritt, man muss sie spüren, die Angst; man muss erleben, wie einem die Welt oben abhanden kommt. Es muss im übertragenen Sinn ein Taufbecken sein; die, die aus dem Loch wieder auftauchen, dürfen nicht mehr die Gleichen sein, die hinabgestiegen sind, nicht mehr dieselben Menschen sein, die sie waren.

Ein Loch wie das Blue Hole. 90 Meter tief, 50 Meter breit, ein Berg aus Wasser, auf den Kopf gestellt. Der Mount Everest der Taucher.

Das Blue Hole liegt an einer Felsenbucht, zehn Kilometer nördlich von Dahab an der Ostküste der Sinaihalbinsel am Golf von Akaba. Wer nicht tauchend die Magie des Blue Hole erleben kann, der steigt abends den Hügel hinauf, der sich über dem Blue Hole erhebt. Die roten Berge verglühen im Ascheschwarz. Die Cafés unten, die sich an die Bucht drängeln, sind menschenleer. Der Abstieg ins Blue Hole beginnt fünf Meter von den Liegestühlen am Strand entfernt. Tagsüber ist das Loch eine graue Fläche im Uferriff, und man kann sich nicht vorstellen, dass da unten Hunderte gestorben sind und noch Leichen am Grund liegen. Erst wenn das Blue Hole keine farblose Brühe mehr ist, in der Erdnusstüten schwimmen und dicke Touristen schnorcheln, erst wenn es das tiefe Nachtblau des Himmels annimmt, dann erst versteht man den Namen. Und dass es einen hinabzieht nach unten.

 

 

Oben funkeln die Sterne, und unten blinken die Leuchtfische, die kometengleich ihre Lichtschweife durch das Rund ziehen; unten der dunkle Saum, oben der dunkle Saum, Blinken hier, Blinken dort, Himmel und Erde und ein blauer Spiegel dazwischen, durch den man in den Himmel blickt.

Abends leuchtet das Blue Hole für die Nichttaucher und morgens für die Taucher. Wer hinabtaucht, für den wird es nicht sofort dunkler. Im Loch wird es erst blauer, das Blau wird flächig, verliert die Dimension der Tiefe, verdichtet sich zu einem blauen Nebel, bevor auch das Licht darin verschwindet. Nach 40, 50 Metern wird es heller. Das Blue Hole ist nach unten hin nicht geschlossen, ab 53 Metern öffnet sich an seiner Wand ein 30 Meter hoher Torbogen, der bis an den Grund des Blue Hole in 90 Meter Tiefe reicht. Dieser Torbogen ist der Eingang zu einem 26 Meter langen Tunnel, der zum offenen Ozean führt.

Tagsüber, wenn die Sonne im Zenit steht, ist es im Blue Hole am dunkelsten; morgens aber, wenn sie schräg aus Saudi-Arabien herüberscheint, leuchtet sie durch den Tunnel bis auf den Grund hinab und erhellt die Tiefe magisch. Mit ein bisschen Tiefenrausch im Blut glauben die Taucher den Himmel zu sehen. Inmitten gleißender Lichtstrahlen sinken sie beseelt weiter, Sonnenlicht umhüllt ihre Körper, alle Dunkelheit und Angst sind auf einmal verschwunden, und diese drei, vier Meter sind es dann, die manche Taucher tatsächlich in den Himmel bringen.

Mit 56 Metern ist die kritische Grenze des Presslufttauchens erreicht. Unter steigendem Wasserdruck verwandelt sich Sauerstoff nämlich zunehmend zu einem Zellgift, und spätestens ab dieser Tiefe kann der Organismus kollabieren. An seinem Ausgang liegt der Tunnel 57 Meter unter dem Meeresspiegel.

Tarek Omar

Wer in Dahab nach dem Blue Hole fragt, bekommt als Antwort: Geh zu Tarek Omar, der weiß alles über das Loch. Der erste Ägypter, der sich hinabgewagt hat, und das zu einer Zeit, als noch viele Israelis auf dem Sinai waren. Der ihnen gezeigt hat, was tief, richtig tief tauchen ist. Der Erste, der das Blue Hole erforscht hat; er kennt jeden Stein und jeden Fisch da unten. Der Erste, der herausgefunden hat, dass das Blue Hole einen Boden hat. Der Erste, der die Toten unten gesehen hat.

Tarek Mamoud Omar ist in einem Berberdorf an der Grenze zu Libyen geboren; 1994 ist er nach Dahab gekommen. Er wollte etwas mit Touristen machen, hatte aber keine Lust, ein Hotel oder ein Café zu eröffnen. Er wurde Tauchlehrer. Heute betreibt er die Tauchbasis Tek Tribe, die erste Schule für technisches Tauchen in Dahab. Berühmt gemacht haben ihn die Leichenbergungen im Blue Hole. Man nennt ihn den Knochensammler.


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mare No. 90

No. 90Februar / März 2012

Von Dimitri Ladischensky und Jan Windszus

Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, ist in Dahab erstmals mit Flaschen getaucht;

Jan Windszus, geboren 1976, Fotograf aus Berlin, hatte dort seine Premiere in Unterwasserfotografie. Sie waren beeindruckt, dass die Freediver Bewusstlosigkeit so selbstverständlich einkalkulieren wie Fußballer eine Zerrung.

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Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, ist in Dahab erstmals mit Flaschen getaucht;

Jan Windszus, geboren 1976, Fotograf aus Berlin, hatte dort seine Premiere in Unterwasserfotografie. Sie waren beeindruckt, dass die Freediver Bewusstlosigkeit so selbstverständlich einkalkulieren wie Fußballer eine Zerrung.
Person Von Dimitri Ladischensky und Jan Windszus
Vita Dimitri Ladischensky, Jahrgang 1972, mare-Redakteur, ist in Dahab erstmals mit Flaschen getaucht;

Jan Windszus, geboren 1976, Fotograf aus Berlin, hatte dort seine Premiere in Unterwasserfotografie. Sie waren beeindruckt, dass die Freediver Bewusstlosigkeit so selbstverständlich einkalkulieren wie Fußballer eine Zerrung.
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